Architekturquartett NRW in Essen: "Nachtjacken und Neureiche"

Das 12. „Architekturquartett NRW“ diskutierte am 21. Juni 2018 über drei innerstädtische Wohnungsbauprojekte in Köln, Düsseldorf und Essen. Der Journalist und Moderator, Jörg Thadeusz, leitete in im Haus der Technik in Essen ein intensives Gespräch über die Parameter für gelungene neue „Heimat!“.

20. Juli 2018von Christof Rose

Zum Best-Of: AKNW-Architekturquartett NRW: Heimat!(YouTube)

„Wenn eine jahrzehntelange Brachfläche in ein hochwertiges Stadtquartier verwandelt werden kann, ist das grundsätzlich erst einmal eine Erfolgsgeschichte!“ Mit dieser Aussage wies Christa Reicher, Professorin an der TU Dortmund, darauf hin, dass die Nutzung von Konversionsflächen für Stadtentwicklungsprojekte ein notwendiger und richtiger Weg sei, um neues urbanes Wohnen zu ermöglichen.

Wie ihre Mitdiskutanten des 12. Architekturquartetts NRW, das mit über 120 Teilnehmern am 21. Juni im Haus der Technik in Essen zum Leitthema „Heimat!“ stattfand, schätzte Prof. Reicher die drei vorgestellten Projekte aber durchaus unterschiedlich ein. „Die gebaute Umwelt bildet einen wichtigen Teil unserer Heimat“, konstatierte NRW-Heimat- und Bauministerin Ina Scharrenbach. Die Landespolitik könne baurechtliche und fördertechnische Rahmenbedingungen optimieren - die Umsetzung erfolge aber letztlich in Verantwortung der Kommunen und der Bauherren vor Ort. 

„Wieviel Bau ist in Ihrem persönlichen Heimatgefühl?“ Mit dieser Eingangsfrage lockte Jörg Thadeusz, bekannter Journalist und Gesprächsleiter des Abends, seine Gesprächspartner zunächst aus der Deckung. Prof. Ludwig Wappner (Allmann, Sattler, Wappner Architekten, München) gestand, dass auch für ihn eine Mischung aus wichtigen Bauten seiner oberfränkischen Heimat, seiner langjährigen Wohnung im Olympiadorf in München und von Menschen, die ihm wichtig seien, Identität und Heimat darstelle. Für die Debatte sei ihm aber wichtiger, so Wappner, „dass es uns ein Anliegen sein muss, Quartiere zu gestalten, in denen sich Menschen dauerhaft wohlfühlen“. Hier sehe er seit einigen Jahren vielfach Defizite. 

Von den drei Beispielen, die Christof Rose, Pressesprecher der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen, jeweils ausführlich vorstellte, sagte Prof. Wappner am meisten die Bebauung des neuen Clouth-Quartiers in Köln zu. „Hier findet eine Ergänzung innerhalb eines gewachsenen Quartiers statt, die in der Dimension und Dichte passt.“ 

Ähnlich positiv sah Prof. Christa Reicher das „Universitätsviertel – neue grüne Mitte“, das in Essen zwischen der nördlichen Innenstadt und der Universität auf einer jahrzehntelangen Brachfläche errichtet wurde. „Ein Gebiet, das lange als ‚Nachtjackenviertel‘ verrufen war“, wie Christof Rose in seiner Einführung erläuterte. „Hier erfährt ein Stadtbezirk, der mit vielen Problemen zu kämpfen hat, eine deutliche Aufwertung“ beurteilte Prof. Reicher das neue Quartier, „und zwar nicht nur in der anspruchsvollen Wohnbebauung, sondern auch durch die öffentliche Grünanlage, die für alle Bürgerinnen und Bürger attraktiv ist.“

Eher kritisch sahen die Diskutanten die Entwicklung des „Quartier Central“, das in Düsseldorf auf dem Gelände des früheren Güterbahnhofs Derendorf entstanden ist. „Man kann Vielfalt nicht planen“, meinte Ludwig Wappner. Eine bunte Mischung aus Fassaden und nachempfundenen Baustilen ergebe noch keine urbane Mischung, urteilte auch Jörg Thadeusz.

Ministerin Ina Scharrenbach verwies auf die oft langfristigen Entwicklungszeiträume für die vorgestellten Stadtentwicklungsprojekte. Wichtig sei, dass überhaupt Grundstücke genutzt und Bauflächen entwickelt würden. „Wir brauche noch viel mehr solcher Vorhaben“, betonte die nordrhein-westfälische Bauministerin.

Prof. Christa Reicher wies darauf hin, dass Quartiersentwicklungen immer Zeit benötigten, um zu wachsen und ihre Qualitäten zu entfalten. „Auch die Wohnungsbauten der Jahrhundertwende, die heute in saniertem Zustand geschätzt werden, hatten ihre kritischen Phasen, in denen sie als rückständig abgelehnt wurden.“ Man müsse den neuen Gebieten, die innerhalb weniger Jahre entstünden, Perspektiven und Räume für die Entwicklung geben. 

Zu den Details, die in vielen zeitgenössischen Wohnungsbauprojekten generell kritisch zu diskutieren seien, zählte das 12. Architekturquartett NRW die Behandlung der Erdgeschosszonen, die Höhen- und Dachgestaltung sowie die Aufenthaltsqualitäten der Grün- und Freiflächen. Gefragt wurde auch jeweils nach der sozialen Mischung der neuen Quartiere. Während auf dem Clouth-Gelände 30 % der neuen Wohneinheiten preisgedämpft oder öffentlich gefördert errichtet wurden, sind die Wohnungen im Quartier Central Düsseldorf bis auf wenige Ausnahmen frei finanziert.

„Man fragt sich manchmal, ob sich in solchen Stadtvierteln nur noch Neureiche das Wohnen erlauben können“, verglich Jörg Thadeusz die Entwicklung mit Preissprüngen in Hamburg, Berlin oder München. Christa Reicher hob in diesem Zusammenhang hervor, dass die Frage der sozialen Mischung jeweils im Einzelfall vor Ort entschieden werden müsse. „Hochwertige Wohnangebote können in bestimmten Fällen schwierige Stadtviertel deutlich aufwerten“, unterstrich die Architektin und Stadtplanerin. 

Für den Präsidenten der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen, Ernst Uhing, zeigten die drei Beispiele, wie vielfältig Stadtentwicklung gegenwärtig in Nordrhein-Westfalen aktiv angegangen werde. Die Nutzung von innerstädtischen Brachflächen sei richtig, aber nicht immer einfach, wie die Lage des Quartier Central in Düsseldorf entlang der Hauptbahnstrecke zeige. Hervorzuheben sei, dass in allen drei Beispielen Wettbewerbe, Mehrfachvergaben und die Beauftragung verschiedener Architekturbüros erfolgt sei. „Hier wurde überall um Qualität gerungen, um Bürgerinnen und Bürgern eine neue Heimat zu schaffen.“         

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