Aufbruch durch Architektur

Eine Fachexkursion führte AKNW-Mitglieder auf die Expo 2017 in die kasachische Hauptstadt Astana und in die "Sowjetmoderne" (1960 – 1990).

20. Februar 2018

"Energie der Zukunft: Maßnahmen für weltweite Nachhaltigkeit" – so lautete das Motto der diesjährigen Weltausstellung, die vom 10. Juni bis zum 10. September in der kasachischen Hauptstadt Astana stattfand. "Man hat ja kein konkretes Bild von der Architektur und der Lebenswirklichkeit der Menschen in Zentralasien vor Augen", erläuterte Architekt Markus Schmale aus Grevenbroich seine Motivation, an einer Architekten-Fachexkursion zur Expo 2017 teilzunehmen. Insgesamt rund 70 Architekten, Planer und Gäste verwandter Berufsgruppen nahmen an den Reisen teil, die im Juni und September von der Agentur Poppe-Reisen in Kooperation mit der Akademie der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen durchgeführt wurden. Thematischer Schwerpunkt neben dem Besuch auf dem neu entwickelten Gelände der Weltausstellung: Die sowjetische Moderne in Astana, der früheren Hauptstadt Almaty sowie in Taschkent, der Hauptstadt von Usbekistan.

 

Aus europäischer Perspektive ist Kasachstan ein erstaunliches Land. Der flächenmäßig neungrößte Staat der Welt besteht zu 80 Prozent aus Wüste und Steppe und liegt in unterschiedlichen Klimazonen. Mit 17 Millionen Einwohnern ist das Land allerdings nur so bevölkerungsreich wie Nordrhein-Westfalen. Die heutige Präsidialdemokratie Kasachstan wurde 1991 unabhängig; 1997 wurde das heutige Astana zur Hauptstadt erklärt. Es folgte eine Epoche gewaltiger Baumaßnahmen, die von Präsident Nursultan Nasarbajew persönlich beaufsichtigt wurden und die bis heute anhalten. Teil der Stadtentwicklungsmaßnahmen ist das Expo-Gelände, das zwischen Flughafen und Stadtzentrum liegt und nach Beendigung der Weltausstellung als Bank- und Technologiepark weitergenutzt wird. 

 

Nachhaltigkeit in einem Erdölstaat

Kasachstan ist ein wohlhabendes Land: Die Erdölvorräte sollen nach Prognosen noch für vier Generationen reichen; Uranvorkommen und zahlreiche seltene Erden werden als Bodenschätze genutzt, allerdings überwiegend ohne weitere Verarbeitung direkt exportiert. Die rasche Entwicklung des Landes führte dazu, dass der sekundäre Wirtschaftssektor kaum ausgeprägt ist: Arbeit finden Kasachen vorrangig in der Ausbeutung der Bodenschätze und im Dienstleistungssektor.

 

Expo Astana 2017: "Energie der Zukunft"

Vor diesem Hintergrund schien den Teilnehmern der Architektenreise das Expo-Motto "Energie der Zukunft“ durchaus treffend gewählt. Das zentrale Bauwerk, der Pavillon des Gastgebers Kasachstan, ragte schon von weitem sichtbar wie eine glänzende Glaskugel aus der kasachischen Steppe. Im Inneren wurde auf sieben Etagen erläutert, was Nachhaltigkeit bedeutet, welche regenerativen Energien genutzt werden können und welche Möglichkeiten des Ersatzes fossiler Energieträger es bereits gibt. Dargeboten in einer futuristischen Architektur mit einem attraktiven Ausstellungskonzept, schien das Thema didaktisch durchaus überzeugend umgesetzt. 

 

Das Expo-Gelände liegt am Rande der bisherigen Bebauung Astanas, in Fortschreibung einer der zentralen städtischen Achsen. "Aller Voraussicht nach wird es gelingen, das Areal städtebaulich in die weitere Stadtentwicklung zu integrieren", urteilte Dr. Thomas Schriefers. Der Kölner Architekt, Künstler und Expo-Experte begleitete die NRW-Architektengruppe auf ihrer Fachexkursion und führte über das Gelände der Weltausstellung. "Erstaunlich, dass von diesen wichtigen Erkenntnissen des Klimaschutzes in der Praxis so wenig umgesetzt wird", wunderte sich Bernhard Wohlgemuth. Der Essener Architekt, der über viele Jahre im Stadtplanungsamt der aktuellen "Grünen Hauptstadt Europas" tätig war, konnte nicht nachvollziehen, wie man heute eine neue Stadt bauen kann, ohne Solar- oder Windkraft zu nutzen. In der Tat mutete es vielen Besuchern skurril an, dass zwar im Expo-Logo drei Windradflügel zu sehen waren, aber kein einziges Windkraftwerk im Lande entdeckt werden konnte. Und das in einer offenen Steppenlandschaft, die kräftige Winde aushalten muss.

 

Deutscher Pavillon zeigt "Energy on track"

Auch im deutschen Expo-Pavillon wurde über technische Möglichkeiten zum effizienten Umgang mit Energie und zur Nutzung alternativer Energiequellen informiert. Der von der Arbeitsgemeinschaft „insglück", "gtp2 architekten" (Düsseldorf) und "mac" konzipierte Show stellte die Energiewende "made in Germany" vor, indem die Besucher an einzelnen Statio-nen Kenntnisse sammeln und auf einem Me-mory-Stick symbolische Wissenspunkte erwerben konnten. Viele Exponate der zwei Bereiche "Karte der Zukunft" und "Stadt der Zu-kunft" luden zum Anfassen und Mitmachen ein. Neben der Wissensvermittlung ging es in dem vom Bundeswirtschaftsministerium verantworteten Pavillon auch darum, die Leistungsfähigkeit der deutschen Ingenieurskunst und der heimischen Energiewirtschaft zu präsentieren. Viele Besucher zeigten sich fasziniert von den vorgestellten Windkraftanlagen, Wasserkraftturbinen und den Innovationen deutscher Autobauer.

 

Höhepunkt des Rundgangs durch den deutschen Expo-Pavillon war die "Energy-Show": Auf einem großen Rundtisch konnten die Besucher ihre Memory-Sticks ablegen und dadurch ihre Wissenspunkte in einer spektakulären Lasershow grafisch in den gemeinsamen Wissenspool der Menschheit einspeisen. "Wir versuchen hier, für ein wichtiges Thema zu sensibilisieren, und wollen zugleich wirtschaftliche Kontakte deutscher Unternehmen in den wachsenden eurasischen Markt anregen", erläuterte Dietmar Schmitz, Generalkommissar des Deutschen Expo-Pavillons, der Architekten-Besuchergruppe aus NRW bei einem exklusiven Empfang im VIP-Bereich.

 

Der Besuch der Architektengruppe fand am Vortag des großen Abschlussfestes der Weltausstellung 2017 statt. "Wir sind sehr zufrieden mit den Besucherzahlen", resümierte Schmitz. Von den rund vier Millionen Besuchern der Expo Astana 2017 wollen 600.000 die deutsche Show "Energy on track" erleben. – Wie später bekannt wurde, gewann Deutschland damit den Gold-Award der Expo 2017, die höchste Auszeichnung des BIE (Bureau international des expositions, Paris).

 

Für den Expo-Experten Dr. Thomas Schriefers gehörte die Expo Astana 2017 durchaus zu den interessanteren der "kleinen Expos". Im Unterschied zu den großen Expositionen, bei denen jede Nation sich in einem eigenen Pavillon präsentiert, finden sich bei den kleinen Expos die Nationen unter einem Hallendach zusammen. Hier muss also die Qualität der Show überzeugen. Mit der Expo Astana 2017, so betonte Dr. Thomas Schriefers in einem abendlichen Vortrag vor der Architekten-Reisegruppe, fand zum ersten Mal überhaupt eine Weltausstellung auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR statt. "Aber auch hier gilt: Mit jeder Weltausstellung baut sich eine Generation ein Stück neuer Stadt." 

 

Vom Nomaden zum Stadtmenschen

Städtebau in der eurasischen Steppe – das scheint fast ein Paradoxon, waren die kasachischen Völker doch über Jahrtausende Nomaden, die in Jurten lebten. "Meine Großmutter zog noch als Nomadin mit ihrer Familie durch das Land", berichtete Arman (40) den deutschen Architektinnen und Architekten. Der erfolgreiche Kleinunternehmer wohnt mit seiner elfköpfigen Familie in einem Steinhaus in dem kleinen Dorf Myktykol unweit der Hauptstadt. Empfangen wurde die Gruppe aber vor zwei Jurten, den traditionellen Wohnzelten. Arman und seine Familie bringt Gästen hin und wieder die kulturellen Wurzeln der Kasachen nahe – in Kleidung, Speisen, Gesang und Erzählungen. "Gastfreundschaft wird bei uns großgeschrieben", betonte Arman. Die Nomaden begrüßten ihre Besucher herzlich, mit saurer Stutenmilch und süßem Gebäck, und erkundigten sich zunächst nach dem Wohlergehen der Familie und des Viehs. Um dann herauszufinden, zu welcher Sippe in welchem Stamm der Besucher gehörte.

 

Der Sprung von der Jurte in die Stadt sei ein gewaltiger Prozess, der sich innerhalb von drei Generationen vollziehen musste, berichtete Arman. Auch Magripa Seitbattalova wusste von den Umbrüchen der letzten Jahrzehnte viel zu berichten. Die Pensionärin, die seit zehn Jahren deutsche Besuchergruppen führt, stammt aus dem Gebiet Semipalatinsk im Nordosten Kasachstans, auf dem die Sowjetunion von 1949 bis 1991 insgesamt 496 bekannte Atomwaffentest durchführte. Das heute stillgelegte Gelände ist noch immer mit extremer Strahlung belastet; viele der Menschen in den angrenzenden Ortschaften leiden unter strahlentypischen Krankheitsbildern, vor allem Krebs. "Als ich Kind war, lebten in unserem Dorf 79 Familien. Heute gibt es dort noch zwei. Wer konnte, ist weggegangen – aber sehr viele sind schon gestorben", berichtete Magripa. Noch immer werden in der Region Kinder mit Missbildungen geboren. "Die Russen haben uns Kasachen damals als Versuchskaninchen missbraucht", meinte Magripa. Entschädigungszahlungen wurden nicht geleistet.

 

Kasachisches Selbstbewusstsein

Einer von vielen Gründen, warum Kasachen ihren russischen Mitbürgern bis heute mit Misstrauen begegnen. Ein kleines Nomadenvolk, das immer wieder fremdbeherrscht wurde, positioniert sich als Vermittler zwischen Ost und West, als selbstbewusster Staat im Herzen Eurasiens. Um dieses Selbstverständnis zu verdeutlichen (und um russische Expansionsgelüste einzudämmen), verlegte Präsident Nursultan Nasarbajew im Jahr 1997 den Regierungssitz von der früheren Hauptstadt Almaty (Alma-Ata) nach Aqmola. Die damals noch recht kleine Stadt im subsibirischen Norden des Landes heißt seitdem Astana ("Hauptstadt") und wird systematisch ausgebaut. Große, emblematische Bauwerke suggerieren Geschichte (ein neoklassizistisches Opern-haus), Macht (der Präsidentenpalast im Stil des Weißen Hauses) und Innovationskraft (der Turm Bajterek, den der Präsident angeblich selbst in Grundzügen entworfen hat).

Architekten aus aller Welt haben dabei mitgeholfen, aus der im Kern russischen Siedlung am rechten Ufer des Flusses Esil mit einer Neustadt am linken Ufer eine der modernsten Großstädte der Welt zu machen. 

 

Wohnen zwischen Chruschtschowka und Penthouse

Die bauliche Operationalisierung der unter Stalin verordneten neuen Sesshaftigkeit der kasachischen Völker fand in der Nachkriegszeit ihren Ausdruck im seriellen Wohnungsbau. In den meisten großen Städten des damaligen Russlands finden sich die "Chruschtschowki": Die meist fünfgeschossigen Wohnzeilen gehören ihren Bewohnern und wurden über die Jahrzehnte durch individuelle Ausbaustrategien ergänzt. Den Wohnungsbau der Sowjetmoderne erläuterte vor Ort Dr. Philipp Meuser. Der Berliner Architekt und Verleger (DOM-Publisher) arbeitet mehrere Monate im Jahr in Kasachstan und den Nachbarrepubliken. In Astana führte er die Architektengruppe zu dem Wohnhaus von Nurbibi Bekbobatova. Ihr Wohnriegel "Sheltoksan 20/1" wurde 1960 erbaut, zu Beginn der 2. Russischen Moderne.

 

Während das Umfeld und das Treppenhaus wenig gepflegt erscheinen, werden die Wohnungen zurückhaltend, aber wertig ausgestattet. In nomadischer Tradition reichen vielen Kasachen Bett, Tisch, Stühle und ein Kühlschrank. Wertgegenstände werden in Truhen verwahrt, Teppiche auf dem Boden und an den Wänden schmücken die nüchternen Wohnungen. Nurbibi Bekbobatova zeigte sich glücklich über ihre 58 m2 groß "Wohnung Nr. 45", in der sie mit ihrer Familie schon lange wohnt. "Ein enormer Vorteil ist die für Eigentümer, dass sie keine Miete zahlen müssen", erläuterte Dr. Philipp Meuser. Denn bei Durch-schnittseinkommen von 500 bis 1000 Dollar im Monat, Wohnungspreisen aber in Höhe von mehreren tausend Dollar pro Quadratmeter, wäre heute eine Wohnung in Astana für kaum einen der alteingesessenen Kasachen noch erschwinglich.

 

Heute wird darum gestritten, ob die veralteten Wohnriegel der "Sowjetmoderne" abgerissen oder behutsam modernisiert werden sollen (vgl. Info am Textende). Noch gibt es in Astana entsprechende "Altstadt-Viertel"; in der Wahrnehmung der Besucher dominieren aber große Neubauten von Hotels und Bürotürmen, Einkaufszentren und öffentlichen Bauwerken, die teilweise von internationalen Star-Architekten realisiert wurden – von Sir Norman Foster über Studio Nicoletti Associati bis SOM. Die Stadt, so die einhellige Meinung der Reisegruppe aus Deutschland, entwickelt deshalb auch keinen Charme. Noch jedenfalls wirkt Astana eher wie eine Investoren-Fantasie, die vom Reißbrett direkt in die Realität übertragen wurde.

 

Kulturzentrum Almaty

Ganz anders die frühere Hauptstadt des Landes, Almaty (ehemals Alma-Ata). Die mit 1,7 Millionen Einwohnern immer noch größte Stadt Kasachstans liegt 1000 km weiter südlich, an der Grenze zu Kirgisistan und China – und in einem weitaus milderen Klima. Hier mischen sich Bauwerke aus der kolonialen Zaren-Vergangenheit mit jenen der Sowjetmoderne und ambitionierten Neubauten. Viele Gebäude sind kaum einer Epoche zuzuordnen, weil Bauherren und Architekten historische Vorbilder in angepasster Form wiederaufleben lassen. Dennoch zeigten sich die Architekten der AKNW-Fachexkursion beeindruckt von den stadtbildprägenden Werken der 1960er Jahre, vom Filmtheater Arman (A. Korschempo, I. Slonow, 1968) über den früheren Leninpalast (N. Ripinski, W. Kim, Ju. Rutschny u. a., 1970) bis hin zum Hotel Kasachstan (Juri Ratuschny u.a., 1978) – allesamt zeichenhafte Bauwerke, die bis heute Optimismus und Aufbruch ausdrücken.

 

Typisch für die größte Stadt Kasachstans sind auch die zahlreichen Sport- und Kulturbauten, die sich bis heute großer Akzeptanz und Beliebtheit erfreuen – vom Zirkus (W. Ka-zew, I. Slonow, 1972) bis zum international bekannten Eisstadion Medeo (Wladimir Kazew u.a., 1972). "Zu beklagen ist die oft mangelnde Pflege unserer Baukultur aus dieser Zeit", erläuterte Mustafa Kanapia, der die Gruppe gemeinsam mit der deutschen Fachjournalistin Edda Schlager in Almaty empfing. Der Kasache, der in Almaty geboren wurde und die frühere Landeshauptstadt für "die schönste Stadt der Welt" hält, hatte keine Scheu, Staatspräsident Nursultan Nasarbajew offen zu kritisieren. "Er führt unser Land schon zu lange und hat eine Clique aus Verwandten und Vertrauten um sich geschart, was u.a. zu einer grassierenden Vetternwirtschaft und zu einem System der Bestechlichkeit geführt hat", meinte Mustafa Kanapia. Auf seine Stadt ließ er aber nichts kommen. Almaty sei sehr grün, fungiere unbestritten weiterhin als kulturelles Zentrum des Landes und entwickele sich auch baulich positiv. Erst 2011 wurde eine neue U-Bahn-Linie im Zentrum der Stadt eröffnet – neben der usbekischen Hauptstadt Taschkent die einzige Metro in ganz Zentralasien.

 

Taschkent: Zwischen Tradition und Moderne

In der Tat ist auch die Hauptstadt Usbekistans eine Metropole, die aus europäischem Blickwinkel modern und attraktiv erscheint. Breite Straßen, die von Grünzügen eingebettet werden, gepflegte Wohnbauten der Sowjetmoderne, zeitgenössische Kultur- und Verwaltungsgebäude lassen die Drei-Millionen-Einwohnerstadt freundlich und luftig wirken. Taschkent blickt auf eine lange Tradition zurück. Obwohl etwas nördlich der alten Seidenstraße gelegen, ist Taschkent eine der ältesten Städte Zentralasiens mit einer Geschichte, die mehr als 2200 Jahre zurückreicht. 

 

Das Jahr 1966 setzte eine radikale Zäsur: Ein Erdbeben zerstöre einen Großteil der Gebäude im Stadtkern, rund 300 000 Menschen wurden obdachlos. Die Sowjetführung ordnete sofort ein gigantisches Wiederaufbauprogramm an. Baugruppen aus allen Sowjetrepubliken wurden unmittelbar nach dem Unglück nach Taschkent entsandt, so dass bis 1971 zahlreiche neue Wohnsiedlungen in Plattenbauweise, aber mit Akzenten der jeweiligen Region, denen die Bauleute angehörten, entstanden. Kennzeichnend wurden großformatige Mosaike, die an den Stirnseiten der Wohnriegel angebracht wurden. Teilweise zeigten sie abstrakte Formen und orientalische Ornamente, teilweise aber auch zeitgenössische Bildwelten, die das Selbstverständnis der Republik bzw. der UdSSR ausdrückten: Bilder des Aufbaus, der Brüderlichkeit unter den Sowjetvölkern, aus der Raumfahrt. "Insgesamt", so erläuterte Dr. Philipp Meuser der Reisegruppe, "erscheint Taschkent deutlich homogener als etwa Astana."    

 

Fachreisen weiten den Horizont

Einige Teilnehmer aus der nordrhein-westfälischen Architektengruppe reisten ergänzend einen Teil der historischen Seidenstraße entlang, um bedeutsame Orte wie Buchara und Samarkand kennen zu lernen. Die vielfältige, über Jahrhunderte gewachsene Gestalt der Bauwerke, die Freundlichkeit der Menschen und die besondere Geschichte der besuchten Orte hätten einen tiefen Eindruck hinterlassen, resümierte Dr. Thomas Schriefers am Ende der Fachexkursion. "Für mich als Architekt und Künstler war das ungemein inspirierend", berichtete Schriefers. Es sei sehr bereichernd, über die Fragestellungen des Alltags hinauszublicken und Orte kennenzulernen, die westlichen Architektinnen und Architekten bislang doch wenig vertraut seien. Für Dr. Philipp Meuser entwickelt sich Kasachstan gegenwärtig "zum Bindeglied zwischen Russland und dem Westen". Für den Berliner Architekten und Verleger ist Astana der Prototyp der eurasischen Großstadt, wie sie vom belarussischen Minsk im Westen bis zur sibirischen Millionenstadt Omsk im Osten zu finden ist. Eine Region, deren kulturelle, wirtschaftliche und politische Bedeutung in den kommenden Jahren deutlich wachsen wird.  

 

Schwerpunktthema: Umgang mit der Platte

In einer Diskussion im Goethe-Institut von Taschkent lieferten sich Dr. Philipp Meuser, Architekt und Verleger aus Berlin, und Prof. Dr. Sultan I. Akhmedov von der Staatlichen Hochschule für Architektur und Bauwesen Taschkent (TASI) am 12.09.2017 vor der Architektengruppe aus NRW einen lebendigen, oftmals packenden Austausch der Argumente zu der Frage, wie mit den Wohnungsbauten der zweiten Sowjetmoderne heute umzugehen sei. Während Prof. Akhmedov die mangelnde bauphysikalische Qualität der Wohnungsbauten der 1960er und 70er Jahre beklagte, die oftmals einen Abriss und Neubau unumgänglich machten, verwies Dr. Meuser auf die identitätsstiftende Wirkung und die städtebauliche Qualität der Wohnsiedlungen der Sowjetmoderne.

 

In Taschkent, wo nach einem verheerenden Erdbeben 1966 mehr als 300 000 Einwohner obdachlos waren, seien die Bauten des Wiederaufbaus von besonderer emotionaler Bedeutung. Ein Argument, das von Anwohnern der usbekischen Hauptstadt, die im Publikum an der Diskussion teilnahmen, bekräftigt wurde. Gleichwohl verwies Prof. Akhmedov auf technische Probleme: Anders als vielfach angenommen, erlaube die Plattenbauweise keinen einfachen Austausch der Bauelemente. Dazu seien die Einzelelemente zu fest verbunden. Er vertraue aber auf die Ideen der jungen Architektengeneration, die gegenwärtig sehr gut ausgebildet werde, so Prof. Akhmedov – auch an europäischen Universitäten.

 

Autor: Christof Rose

Literaturhinweise: Philipp Meuser (Hrsg.): Architekturführer Ka-sachstan. DOM publisher, Berlin, 2014
Philipp Meuser (Hrsg.): Architekturführer Taschkent. DOM publisher, Berlin, 2012

 

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