Kommentar: Vom Umgang mit der großen Form

StadtBauKultur NRW rückt mit der Projektreihe "Big Beautiful Buildings" Großbauwerke der Nachkriegsmoderne in den Fokus. Die Architektenkammer NRW hält die Auseinandersetzung mit den Bauwerken der Wirtschaftswunderjahre für dringend notwendig. - Ein Kommentar von AKNW-Präsident Ernst Uhing

18. April 2018

Liebe Kollegin,
lieber Kollege!

„Hier fällt ein Haus, dort steht ein Kran, und ewig droht der Baggerzahn“. Als Jörg Müller und Heinz Ledergerber ihr bekanntes Bilderbuch „Zur Veränderung der Stadt“ am 1. Januar 1977 veröffentlichten, wollten sie auf die radikalen Brüche in den urbanen Wandlungsprozessen aufmerksam machen, die im Zuge des Wiederaufbaus und der Modernisierung unserer Städte in den 1950er bis -70er Jahren entstanden waren. Damals wurde kritisiert, dass Altbaubestände der „modernen Stadt“ geopfert wurden; dass kleinteilige Bebauung großen Hochhäuser, Siedlungskomplexen, Hochgaragen und Straßen weichen mussten. Heute, gut 40 Jahre später, hat sich die kritische Fragestellung umgekehrt. Heute sorgen wir uns um den Erhalt und die Zukunftsfähigkeit der Neubauten jener Jahre, die inzwischen alt, teilweise auch brüchig geworden sind.

Die großen Bauvolumina der Nachkriegsmoderne sind zweifellos bis heute markante Bauten, die oftmals stadtbildprägende Wirkung entfalten. Das Rathaus in Marl der niederländischen Kollegen van den Broek/Bakema, der „Weiße Riese“ in Gelsenkirchen von Ewald Baumeister oder das Einkaufszentrum „Forum City“ in Mülheim von Hanns-Henning Lautz, gmp und RKW sind nur drei prominente Beispiele für skulpturale Großprojekte jener Jahre, die einen ungeheuren Aufbruchsgeist ausstrahlten, in den Folgejahren aber immer wieder in der kritischen Diskussion standen. Ich bin sehr froh, dass diese Bauwerke gepflegt und erhalten wurden. Anderen dagegen droht tatsächlich der Baggerzahn. Bundesweit für Aufmerksamkeit sorgen gegenwärtig die vier denkmalgeschützten City-Hof-Hochhäuser am Hauptbahnhof in Hamburg (Architekt: Rudolf Klophaus, 1958), deren Abriss der Senat am 28. Februar dieses Jahres beschlossen hat; oder die Debatte um den Erhalt des (ebenfalls unter Denkmalschutz stehendenden) Rathauses in Mainz von Arne Jacobsen und Otto Weitling (Fertigstellung 1974). Stets steht die Frage des gesellschaftlichen Interesses am Erhalt solch‘ markanter Bauwerke den Zwängen zu einer wirtschaftlichen Nutzung der Gebäude bzw. Grundstücke gegenüber.

Lange Jahre waren Großbauten der 1950er bis -70er Jahre in der breiten Öffentlichkeit wenig beliebt. Erst in jüngster Zeit, da der Verlust vieler Bauwerke durch Abriss droht, mehren sich Stimmen, die den Erhalt, die Sanierung und Weiterentwicklung dieser Objekte fordern. Ein zentrales, neues Motiv dafür ist die (Wieder)Entdeckung des skulpturalen Ausdrucks der großen Form. Zahlreiche Internetforen und Interessensgruppen haben sich gebildet, welche die Ästhetik des „beton brut“ und die urbane Strahlkraft der „großen Schönheiten“ betonen.

Ich freue mich sehr über das neue Projekt unserer Landesinitiative StadtBauKultur NRW, die unter dem Titel „BBB: Big Beautiful Buildings“ die architektur-historische Bedeutung der Großbauwerke der Nachkriegsmoderne herausstellen will und damit zu einer kontroversen Diskussion einlädt. Zum Auftakt wurde am 11. April in Gelsenkirchen dem Musiktheater im Revier von Werner Ruhnau, Harald Deilmann und anderen symbolisch der BBB-Award verliehen. Weitere Gebäude jener Jahre sollen ebenfalls durch die Auszeichnung zurück ins öffentliche Bewusstsein gehoben werden - dann auch Bauten, die in der Öffentlichkeit kritisch gesehen werden und teilweise gefährdet sind. Die Architektenkammer NRW hält die Auseinandersetzung mit den Bauwerken der Wirtschaftswunderjahre für dringend notwendig. Wir unterstützen die Kampagne „Big Beautiful Buildings“ deshalb als Projektpartner und stellen Details im „Blickpunkt“ dieses Deutschen Architektenblattes vor.

Die Bauwerke, um die es geht, sind nicht nur Ausdruck einer prägenden Epoche unserer Geschichte. Sie stiften oftmals auch Identität, sind Heimat für viele Menschen und binden nicht zuletzt große Ressourcen und viel graue Energie. Vor diesem Hintergrund ist die Frage nach der „Schönheit“ der Bauwerke eher symbolisch zu verstehen. Es wird in jedem Einzelfall zu erwägen sein, welchen baukulturellen Wert ein Bauwerk hat, wie seine städtebauliche Bedeutung einzuordnen ist, wie zukunftsfähig es scheint - und was es der Gesellschaft im Zweifelsfall Wert sein muss, herausragende Bauten zu erhalten. Der Baggerzahn sollte im Städtebau die ultima ratio bleiben. Das gilt heute in gleicher Weise wie zu der Zeit, als die Nachkriegsmoderne gebaut wurde.

Es grüßt Sie herzlich
Ihr


Ernst Uhing
Präsident der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen
uhing@aknw.de


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