StadtBauKultur NRW: Big Beautiful Buildings

Sie sind nicht zu übersehen und wirken oft stadtbildprägend. Vielfach haben sie den Charakter von Landmarken, die allerdings trotz ihrer expressiven Aussagekraft nicht von jedem geliebt oder zumindest geschätzt werden. Vielmehr droht gegenwärtig zahlreichen großen Bauwerken der Nachkriegsmoderne der Abriss. Die Landesinitiative StadtBauKultur NRW und die Technische Universität Dortmund haben nun mit dem Projekt „Big Beautiful Buildings. Als die Zukunft gebaut wurde“ (BBB) eine Kampagne gestartet, um auf die baukulturelle Bedeutung vieler Großvolumina der 1950er bis -70er Jahre hinzuweisen und um eine Diskussion über den Umgang mit dem Erbe der Nachkriegsmoderne zu initiieren. Am 11. April fand im Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen (Werner Ruhnau, Harald Deilmann u.a., 1959) der Auftakt statt. Die Architektenkammer NRW unterstützt die Kampagne als Partner und dokumentiert zahlreiche der angesprochenen Bauwerke auf der Internetplattform www.baukunst-nrw.de.

18. April 2018von Christof Rose / SBK NRW

„Innovationsgeist, Aufbruch, Experimentierfreude - das war der Geist, der die 1950er bis 1970er Jahre geprägt hat“, beschrieb Dr. Jan Heinisch, Staatssekretär im Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes NRW, die Entstehungszeit der Großbauwerke, um die es geht. In vielen Ländern Europas ging es damals wirtschaftlich bergauf, Kultur, Technik und Gesellschaft zeugten von Ideenreichtum und Experimentierfreude. Auch die Architektur und der Städtebau dieser Boomjahre erzählten von politischem Wandel und sozialen Utopien, von konstruktiven Innovationen und gestalterischen Visionen. In keiner anderen Zeit entstanden so viele neue Schulen, Universitäten und Rathäuser, Kirchen, Kaufhäuser und Wohnsiedlungen. „Heute müssen wir uns intensiv mit diesem reichen baulichen Erbe auseinandersetzen“, erklärte Staatssekretär Heinisch. Er warnte allerdings davor, die Bauwerke jener Jahre, die heute oftmals gravierende bauliche Schäden aufwiesen, generell zu „romantisieren“. Sanierung, Erhalt und ggf. Umnutzung seien gute Wege, um das Potenzial dieser Bauten zu nutzen. Manchmal sei aber auch ein Abriss nicht zu vermeiden, um die Städte weiterzuentwickeln. „Big Beautiful Buildings“ berge durchaus kontroverses Potenzial. „Mit der Initiative wollen wir die Augen öffnen.“

Im Europäischen Kulturerbejahr 2018 wird dieses bauliche Erbe nun in ein neues Licht gerückt. „Big Beautiful Buldings“, ein gemeinsames Projekt von StadtBauKultur NRW und der TU Dortmund, lädt dazu ein, große und kleine, bekannte und unbekannte, auffällige und unscheinbare Gebäude wieder oder auch ganz neu zu entdecken. Dazu werden bis zum Jahresende umfangreiche Informationen angeboten und vielfältige Veranstaltungen durchgeführt. Angestrebt wird auch ein lebendiger Austausch internationaler Fachleute. „Wir haben das Projekt bewusst innerhalb des Europäischen Kulturerbejahres im Segment ‚Erinnern und Aufbruch positioniert“, erklärte Prof. Christa Reicher von der Technischen Universität Dortmund anlässlich der Eröffnung der Kampagne in Gelsenkirchen. „In der aktuellen, erneuten Boomphase des Wohnungsbaus in Deutschland können wir aus der Analyse des Baubooms der 1950er bis -70er Jahre viel lernen.“

Beispielhaft für viele andere Städte und Regionen in Europa richtet sich der Blick zunächst auf das Ruhrgebiet, das wie kaum eine andere Region durch Bauwerke und Siedlungsstrukturen der Wirtschaftswunderjahre geprägt ist. Vor allem im Norden – etwa in Marl oder Dorsten – fanden kühne Großstadtträume ihren architektonischen und städtebaulichen Ausdruck, während in Bochum, Duisburg, Essen und Dortmund mit den neuen Universitäten auch die Zukunft jenseits der Industrie in den Blick genommen wurde.

Herausforderung für Eigentümer und Planer
Heute ist die Aufbruchstimmung dieser Jahre nur noch an manchen Stellen spürbar. Einige Bauten, wie die Grugahalle in Essen oder das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier, aber auch der Dortmunder Fernsehturm Florian haben sich zu Wahrzeichen entwickelt, die von der lokalen Bevölkerung ebenso sehr geschätzt werden wie von auswärtigen Besuchern. Andere kämpfen mit Sanierungsstau oder dem Wegfall der ursprünglichen Nutzung und warten auf gute Konzepte für ihre Weiterentwicklung. Wieder andere fristen ein unscheinbares Dasein in der Peripherie. Ihr Image in der Öffentlichkeit ist oft negativ belastet. „Sanierungsstau und schlechtes Image: Das kann lebensbedrohlich sein für Architektur“, spitzte Tim Rieniets, Geschäftsführer StadtBauKultur NRW, die aktuelle Situation für zahlreiche Großbauten aus den 1950er-, -60er und -70er Jahren zu. Es sei deshalb wichtig, mit „Big Beautiful Buildings“ nicht nur die Fachwelt anzusprechen, sondern auch eine breite Öffentlichkeit zu sensibilisieren.
Jene, die sich mit diesen Beständen auseinandersetzen müssen – Eigentümer, Nutzer, Architekten, Denkmalpfleger – stehen nicht selten vor großen Herausforderungen. Dazu zählt der Umgang mit Konstruktion und Material, aber auch die mangelnde Akzeptanz, die den Ruf nach Abriss der vermeintlich hässlichen „Betonklötze“ laut werden lässt.

„Big Beautiful Buildings“ hat sich zum Ziel gesetzt, die Architektur der Nachkriegsmoderne wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen und zu einer Diskussion über ihre Werte und Potenziale anzuregen. Dabei soll auch deutlich werden, dass diese Architektur mehr ist als menschenfeindlicher Beton, sondern dass sie vielmehr ein breites Spektrum an Formen, Materialien und Dimensionen sowie funktionellen und räumlichen Konzepten umfasst, die den Ansprüchen der modernen, vielfältigen und demokratischen Gesellschaft gerecht werden sollten.

Entdecken und erleben
Im Kulturerbejahr steht das Entdecken und Erleben dieser Architektur im Mittelpunkt. In den kommenden Monaten werden ausgewählte Bauten der Wirtschaftswunderzeit im Ruhrgebiet deutlich sichtbar ausgezeichnet, um den Blick auf die Gebäude als „Big Beautiful Buildings“ zu lenken und ganz bewusst zu der Frage anzuregen, was sie „groß“ und „schön“ macht. Den Auftakt macht das Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen (Werner Ruhnau, 1959). Zu diesem und zu vielen weiteren Bauwerken sind auf der Website des Projektes umfangreiche Informationen zu finden, die die Hintergründe ihrer Entstehung erklären und auf Besonderheiten aufmerksam machen. Themenrouten laden ein, diese Bauten mit dem Rad oder zu Fuß zu erkunden.

Gemeinsam mit vielen Partnern in der Region wird zudem ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm entwickelt, das fachliche Vorträge, Diskussionen und Exkursionen umfasst, aber auch Angebote, bei denen die Architektur auf unterhaltsame Weise neu bespielt wird. So sollen besondere Erlebnisse in den Bauten der Ruhrmoderne geschaffen werden, um neue positive Emotionen und Assoziationen mit ihnen zu verknüpfen. Neben einer Vielzahl kleinerer Veranstaltungen werden im August/September 2018 einige besondere Projekte realisiert:

Mission Impossible!!! – Forum City, Mülheim an der Ruhr
In Mülheim an der Ruhr können sich Besucher auf eine „unmögliche Mission“ durch das Forum City begeben. Die Teilnehmer der Performance „Mission Impossible!!!“ erfüllen geheime Aufträge als Agent des BBB. Das Projekt der Gruppe LIGNA lenkt den Blick auf unsichtbare Räume, auf Räumen hinter den Räumen.

Die Stimme der Stadt – Forum (Rathaus), Castrop-Rauxel
In Castrop-Rauxel lässt die Künstlerin Pia Janssen „Die Stimme der Stadt“ sprechen. Die Geschichten der Bürger werden in wandernden Tonstudios gesammelt und schließlich in das „demokratische Herz“ der Stadt, den Ratssaal, implantiert. Die erlebten Geschichten reanimieren die ursprüngliche Idee des Architektenteams: Das Rathaus als zentraler Ort des demokratischen Prozesses.

Auf Wiedersehen Utopia – Neue Stadt Wulfen, Dorsten
In der Neuen Stadt Wulfen in Dorsten-Barkenberg geht es um den Pioniergeist und den Technikglauben im Wohnungsbau der Nachkriegsmoderne, um Erfolgsgeschichten, aber auch um das Scheitern großer Visionen. Im Rahmen des Design-Build-Projekts „Auf Wiedersehen Utopia“ der TU Berlin unter Leitung von Prof. Jan Kampshoff entsteht in Sichtweite zu Finnstadt und Habiflex eine gebaute Kommunikationsplattform. Sie dient als temporärer Veranstaltungsort, Diskussionsarena und als Ausgangspunkt für Expeditionen in die Neue Stadt Wulfen.

Die vielfältigen Formate, die im Ruhrgebiet 2018 erprobt werden, sollen nicht nur lokal langfristige Wirkung zeigen, sondern auch auf andere Orte übertragbar sein. Deshalb wird von Anfang an auch der Austausch mit internationalen Institutionen und Initiativen gesucht. Im Mai und im Juli treffen sich Studierende aus ganz Europa zur internationalen Sommerschule in Dortmund. Zu den geplanten Programmpunkten zählen außerdem eine internationale Tagung im Oktober in der Christuskirche in Bochum und eine Ausstellung, die Station in mehreren Ländern machen soll.

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