ASG-Bildungsforum: Gibt es ein Recht auf Wohnen in der Stadt?
Wohnen ist nicht allein eine soziale Anforderung; es ist auch eine ethische Frage. „Soziale Gerechtigkeit muss ein Kriterium für die urbane Resilienz sein“, postulierte Klaus Brüggenolte, Vizepräsident der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen, zur Einführung in die Veranstaltung „Lebensraum Stadt. Eine Zukunftsvision (für alle?)“, die am 7. Oktober live aus dem Haus der Architekten im Düsseldorfer Medienhafen gestreamt wurde. Rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer folgten dem interdisziplinär aufgestellten Gedankenaustausch aus Architektur, Soziologie und Theologie.
„Der Paradiesgarten vom Anfang der Welt wird am Ende des Johannes-Evangeliums in eine himmlische Stadt integriert“, führte Dr. Georg Henkel vom ASG-Bildungsforum aus. Die christlichen Kirchen seien von Beginn an urban geprägt gewesen. Heute bewirtschaften die katholische und die evangelische Kirche in Deutschland über 140.000 Wohnungen. „Unsere Themenstellung ist insofern nicht nur theoretisch fordernd, sondern auch von ganz praktischer Bedeutung für uns als Kirche.“
Dr. Clemens Wustmans zeigte Perspektiven aus der theologischen Sozialethik auf. „Der Kirche geht es um Gerechtigkeit, die sich in einer Privilegierung der sozial Benachteiligten ausdrückt“, wies der Theologe auf biblische Grundlagen hin. Bis in die 1960er Jahre seien in den großen Kirchen Eigentumsdebatten geführt worden, die stark mit dem traditionellen Familienbild verwoben gewesen seien. In den 1970er Jahren sei dann das Problem der steigenden Baulandpreise in den Fokus gerückt - ein Thema, das heute wieder von großer Aktualität ist.
Ein nicht vermehrbares Gut als Handelsware?
„Ein nicht vermehrbares Gut wie der Boden darf nicht wie ein reines Wirtschaftsgut behandelt werden“, so der Konsens der Kirchen. Dr. Clemens Wustmans, der das DFG-Projekt „Gibt es ein Recht auf urbanen Wohnraum? Sozialethische Analysen“ an der HU Berlin betreibt, ging auch auf aktuelle Herausforderungen des Klimaschutzes ein. Das „Nachhaltigkeitstrilemma: sozial, ökologisch, ökonomisch“ müsse bei allen Bauprojekten abgewogen werden. Auch stelle sich vermehrt die Frage, ob es eine Gleichbeachtung von Stadt und Land gebe, die in Deutschland rechtlich und ethisch gefordert werde. Die Evangelische Kirche in Deutschland habe erst im Frühjahr ein Positionspapier „Bezahlbar wohnen“ veröffentlicht. Die Evangelische Stadtakademie Düsseldorf war Mitveranstalter der Online-Vortrags- und Podiumsveranstaltung im Haus der Architekten. Als Akteure am Wohnungsmarkt seien die Kirchen von hoher Diversität gekennzeichnet. „Es gibt viele kleine Gemeinden vor Ort, die unterschiedliche Professionalitätsgrade aufweisen“, führte Dr. Clemens Wustmans aus. Zudem seien auch Gemeinden auf Renditen aus dem Immobilienbesitz angewiesen. „Man muss differenzieren, wenn wir über ‚die Kirche‘ sprechen“, erinnerte der Theologe und warnte davor, die Debatte „aus einer Gesinnungsethik heraus“ zu führen.
Die Wohnraumfrage als soziale Frage analysierte Ralf Zimmer-Hegmann am Beispiel der Landeshauptstadt Düsseldorf. Der Sozialforscher vom Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS Dortmund) legte die Preisentwicklung dar, die im Neubaubereich aktuell bei 14,50 Euro und im Bestand bei 11,15 Euro liege. „Einen Corona-Einbruch hat es hier nicht gegeben“, resümierte Zimmer-Hegmann. Es sei dagegen über Jahre ein Rückgang in der Wohnungsbautätigkeit zu verzeichnen gewesen, vor allem auch im geförderten Wohnungsbau.
Wohnen macht arm!
„Es wird zu wenig gebaut, es wird zu teuer gebaut, und es wird das Falsche gebaut“, stellte der Sozialforscher vom ILS fest. Offensichtlich sei, dass der freie Markt im Wohnungssektor versage. Es sei zu einer eklatanten Unterversorgung von breiten Teilen der Gesellschaft gekommen. „Wohnen macht arm und einsam“, so Ralf Zimmer-Hegmann. Einkommensschwache Haushalte müssten bis zur Hälfte ihres Einkommens in die Miete investieren, „da bleibt oft nichts mehr für eine soziale Teilhabe übrig“. Die Folgen seien auch in der Stadtentwicklung ablesbar - durch Segregation, Gentrifizierung und den Verlust der Handlungsfähigkeit kommunaler Stadtplanung.
Hier seien moralische Fragen zu stellen; etwa danach, ob es richtig sein kann, über Wertsteigerungen Einnahmen ohne Arbeitsaufwand zum Nachteil anderer zu erzielen. „Wir brauchen deutlich mehr Investitionen im sozialen Wohnungsbau“, forderte Zimmer-Hegmann. „Und wir müssen Mietsteigerungen begrenzen.“ Nicht zuletzt müsse der Mietwohnungsmarkt geschützt werden, insbesondere vor Kurzzeitvermietungen und Umwandlung in Eigentum. „Insgesamt muss die Handlungsfähigkeit der Kommunen deutlich ausgebaut werden, rechtlich und finanziell.“ Ratsam sei für alle Kommunen die Einrichtung langfristiger Bodenfonds, um frühzeitig - noch zu bezahlbaren Konditionen - Grundstücke ankaufen zu können.
Nachverdichtung als soziale Bereicherung
Zwei konkrete Bauprojekte, die auf aktuelle Herausforderungen am Wohnungsmarkt reagieren, stellte Architekt Sven Grüne (PostWelters Architekten & Stadtplaner, Dortmund) vor. „Wie kann Wohnraum als sozialer Lebensraum aussehen“, laute die Leitfrage für derartige Projekte. Es gehe dabei um gute Nachbarschaft, inklusive Lebensräume, Nachverdichtung als soziale Bereicherung, ökologische Aspekte und einen Beitrag zum Quartier. Das „Haus Zeppelinstraße“ in Herne-Wanne, das vom Büro Post Welters realisiert wurde, ist ein integratives Wohnhaus für Menschen mit psychischen Behinderungen. Das Bauwerk sei von den Außenräumen her gedacht worden, die durch Bebauungen der 1920er Jahre geprägt gewesen seien. Ein neuer Gebäudewinkel wurde in eine Hofsituation eingefügt und schuf neue Höfe. Eine Streuobstwiese schafft Verbindungen zur Nachbarschaft. Das Bauwerk wurde in einem Erbpachtmodell mit der Kirche realisiert.
Das Projekt „Alter Steinbruch“ in Herdecke ist ein Mehrgenerationenhaus, das als Mieterbaugemeinschaft realisiert wurde. „Ein neuer Ansatz, bei dem die künftigen Mieter in den Planungsprozess eingreifen konnten“, berichtete Sven Grüne. Das Projekt mischt Wohnungstypologien vom Kleinstappartment bis zur Wohnung für große Familien und wurde je zur Hälfte frei und gefördert finanziert.
„Wir sehen in vielen Städte Potenzial für Umnutzung alter Gebäude in Verbindung mit Nachverdichtungen“, bekräftigte Architekt Grüne auf Nachfrage von Moderatorin Patrycja Muc (Institut für Medienentwicklung und -analyse, Sankt Augustin). Eine Herausforderung sei aber immer das Aushandeln solcher Vorhaben mit den bestehenden Nachbarschaften, die von Beginn an eingebunden werden müsse.
In der abschließenden Diskussion zeigten sich die Referenten einig, dass der Wohnungsmarkt steuernde Eingriffe benötige. Ob diese besser über regulatorische Eingriffe oder durch Förderanreize zu erzielen seien, wurde dabei unterschiedlich gesehen.
Die Veranstaltung „Lebensraum Stadt. Eine Zukunftsvision (für alle?)“ wurde von Baukultur Nordrhein-Westfalen gefördert.
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