Ausstellung: Kulturbauten im Ruhrgebiet nach 1945

Zehn Jahre nach Eröffnung des Chipperfield-Baus im Kulturhauptstadtjahr 2010 präsentiert das Museum Folkwang in einer Ausstellung „Biografien“ von bedeutenden Kulturbauten im Ruhrgebiet, die nach 1950 entstanden. Dazu zählen frühe Beispiele der jungen Bundesrepublik wie das Gelsenkirchener Musiktheater, dessen Eröffnung im Jahr 1959 große Begeisterung hervorrief. Mit dem Kommentar „Und so etwas steht in Gelsenkirchen.…“ brachte ein Besucher sein Staunen beim Anblick dieses modernen Theaterbaus vor der Kulisse einer Industriestadt des Wirtschaftswunders zum Ausdruck.

27. Oktober 2020von Dr. Anna Kloke / Dipl.-Ing. Christos Stremmenos

Doch die Strahlkraft des Gebäudes in Form einer leuchtenden Vitrine im Stadtraum machte nicht Halt vor regionalen oder nationalen Grenzen: Als „feierlich und glamourös“ preiste die New York Times den Gelsenkirchener Theaterbau, und für die britische Sunday Times galt er gar als „der fortschrittlichste und gelungenste auf der Welt“. In Paris, Wien und New York wurde in Ausstellungen dem internationalen Publikum der prägnante „Glaskasten“ aus dem Revier präsentiert. Am Big Apple entstand 1961 während der Vernissage der Ausstellung „The new theatre in Germany“ die Aufnahme mit dem Modell des Gelsenkirchener Baus, glanzvoll präsentiert vom Hollywoodstar Joan Crawford in zeitgenössisch eleganter Abendgarderobe.

Es war ein neues, sich westlich orientierendes Deutschland, das sich mit dieser Schau dem amerikanischen Publikum präsentierte. Die über 100 in den 1950er Jahren in Westdeutschland realisierten Theaterneubauten und die zahlreichen Theaterproduktionen demonstrierten nicht nur die Entwicklungen des Neuen Deutschen Theaters, sondern zeugten von der freiheitlich demokratischen Aufbruchsstimmung im Land.

Dabei wurde das Ruhrgebiet mit der höchsten Dichte an öffentlichen Kulturbauprojekten zu einem bedeutenden Experimentierfeld zeitgenössischer Architekturtendenzen. Neben dem Gelsenkirchener Theaterbau bekunden viele weitere bemerkenswerte Beispiele in der Folkwang-Schau diesen Pioniergeist: Darunter das 1958 vom Finnen Alvar Aalto entworfene und nach dessen Tod von Harald Deilmann 1988 fertiggestellte Aalto-Theater in Essen, das eine weitere Auslegung der Moderne in weichen, organischen Formen darstellt.

Präsentiert wird auch das mit deutlichen Anleihen Mies´scher Raumkonzeptionen von Bernhard Küppers erdachte Josef Albers Museum Quadrat in Bottrop und der in einer pavillonartigen Architektur von Erich Hösterey, Werner Kreutzberger und Horst Loy in der Zeit von 1956 bis 1960 vorgenommene Wiederaufbau des Museum Folkwang in Essen, ein bauliches Bekenntnis zur Offenheit und Teilhabe für alle gesellschaftlichen Gruppen.

Dem Credo der Partizipation folgte auch das von Friedrich Mebes 1976 in organischer Formensprache realisierte Bürgerhaus Oststadt in Essen oder das 1978 von Albrecht Egon Wittig konzipierte Kunstmuseum Gelsenkirchen, deren „Biografien“ ebenfalls in der Ausstellung nachgezeichnet werden. Der aufmerksame Leser und kundige Beobachter wird sich fragen, weshalb Bauten wie das Lehmbruck Museum in Duisburg oder das Opernhaus in Dortmund in der Ausstellung nicht thematisiert werden. Im konkreten Fall werden ausschließlich Bauwerke präsentiert, die im Baukunstarchiv NRW durch Nachlässe und Bestände von Architektinnen und Architekten bzw. Bauingenieurinnen und Bauingenieuren überliefert sind. Somit rückt die Institution Archiv als Träger baukulturellen und städtischen Gedächtnisses in den Mittelpunkt der Betrachtung. Es sind Zeichnungen, Skizzen, Collagen, Modelle, Schriftgüter, Publikationen, historische Aufnahmen - allesamt Originale aus den Beständen des Archivs, aus denen heraus die Geschichten dieser Bauten in der Ausstellung erzählt werden und die eine ganze Epoche mit ihren Ideen und Visionen aber auch Debatten wieder aufleben lassen.

Das 2018 neu gegründete Baukunstarchiv NRW zog selbst in ein historisches Gebäude ein, das mit seiner Geschichte beispielhaft die Vielschichtigkeit der Traditionen der Kulturbauten im Ruhrgebiet veranschaulicht. Das ursprünglich 1875 von Gustav Knoblauch als Landesoberbergamt zur Verwaltung der Montanindustrie des Ruhrgebiets errichtete Bauwerk wurde bereits 1911 nach einer Initiative von Stadtbaurat Kullrich zum Städtischen Kunst- und Gewerbemuseum umgebaut. Mit dieser Transformation nahm Kullrich eine Entwicklung vorweg, die sich erst Jahrzehnte später zur gängigen Praxis hervortun sollte: Der Anstoß zum Strukturwandel durch den Einzug von Kunst und Kultur in ein Bauwerk vergangener industrieller Infrastruktur.

In der Nachkriegszeit organisierte die spätere Museumsleiterin Leonie Reygers inmitten der kriegszerstörten und teilerschlossenen Museumsruine schon ab 1949 Ausstellungen zu moderner Kunst, zu Architektur und Städtebau, Kunsthandwerk und industrieller Werkform. Mit Reygers etablierte sich das „Museum am Ostwall“ zu einer festen Adresse der Gegenwartskunst in der Museumslandschaft des Ruhrgebiets und der Bundesrepublik.

Als das Museum im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 in das Dortmunder U umzog, schien es wie das endgültige Aus für das historische Bauwerk. Mit Ankündigung des Abrissvorhabens organisierten sich jedoch die Dortmunder Bürgerinnen und Bürger in Initiativen und Vereinen zum Erhalt und bewahrten so ihr liebgewonnenes Haus, das ihnen seit Generationen die Welt der Kunst nahe gebracht hatte, für die Zukunft.

Die zahlreichen Verwandlungen des Hauses vom Oberbergamt zum Kunst- und Gewerbemuseum, zum Museum für Gegenwartskunst und schließlich zum heutigen Baukunstarchiv NRW bekunden, dass die Geschichte der Kulturbauten des Ruhrgebiets auf Fundamenten und Traditionen permanenten Wandels ruht.
„Wandel durch Kultur - Kultur durch Wandel“ – mit diesem dem Gründer des Museums Folkwang Karl Ernst Osthaus zugeschriebenen Leitsatz bewarb sich das Ruhrgebiet um den Titel der Kulturhauptstadt Europas 2010. Es präsentierte sich als ein vielschichtiger Topos der Kultur und des Wandels, der sich historisch viel weiter zurückverfolgen lässt als allgemein wahrgenommen. Wie das ehemalige Oberbergamtsgebäude in Dortmund aufzeigt, ist es ein Wandel, der auch durch die Geschichte der zahlreichen Kulturbauten erzählt werden kann. In den Nachkriegsjahren bildeten sie Höhepunkte der Wiederaufbauprogramme der Städte und wurden als architektonische Sinnbilder eines demokratischen Neubeginns konzipiert.

Die Ausstellung im Museum Folkwang eröffnet Einblicke in die „verborgenen Schätze“ des Baukunstarchivs NRW und zeichnet aus ihnen heraus ein Stück Stadt(planungs)geschichte des Ruhrgebiets der Nachkriegsjahre am Beispiel ausgewählter Kulturbauten nach. Kuratiert von Anna Kloke, Christin Ruppio, Sonja Pizonka und Christos Stremmenos, ist die Ausstellung Produkt des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsprojektes „StadtBautenRuhr“ der Kooperationspartner Baukunstarchiv NRW, Technische Universität Dortmund und Museum Folkwang. Zeitgleich zur Ausstellung erscheint im Kettler-Verlag Dortmund die Buchpublikation „Und so etwas steht in Gelsenkirchen.“ Kultur@Stadt_Bauten_Ruhr, herausgegeben von Hans-Jürgen Lechtreck, Wolfgang Sonne und Barbara Welzel.

Zur Ausstellung:
„Und so etwas steht in Gelsenkirchen …“ Kulturbauten im Ruhrgebiet nach 1950
Museum Folkwang, 11. Sept. 2020 – 10. Januar 2021
Kurator*innen: Anna Kloke, Sonja Pizonka, Christin Ruppio, Christos Stremmenos
Eine Kooperation des Museum Folkwang, der TU Dortmund und des Baukunstarchiv NRW
Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung
Unterstützt durch die Allbau GmbH

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