Impulsgeber für einen lebendigen Austausch (v. l.): Susanne Crayen (AKNW-Vizepräsidentin), Reiner Nagel (Vors. Bundesstiftung Baukultur), Dr. Turit Fröbe (Baukulturvermittlerin) und Prof. Rolf-Egon Westerheide (AKNW-Vorstand) – Foto: Christof Rose / Architektenkammer NRW

Diskurs anregen - und Transparenz wagen

17. Erfahrungsaustausch der nordrhein-westfälischen Gestaltungsbeiräte in der Stadthalle Mülheim/Ruhr: Rund 50 Mitglieder von Gestaltungs- oder Planungsbeiräten in Nordrhein-Westfalen trafen sich am 28. Oktober in der Stadthalle Mülheim/Ruhr. Auf Einladung der Architektenkammer NRW zielte der 17. Austausch der ehrenamtlich aktiven Beiräte darauf ab, praktische Erfahrungen aus der Arbeit vor Ortabzugleichen und zu überlegen, wie weitere Planungs- und Gestaltungsbeiräte im Lande angeregt werden könnten.

01. Dezember 2021von Christof Rose

Die von der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen organisierten Treffen finden seit 2003 statt; damals gab es 17 Gestaltungsbeiräte in NRW. „Heute konnten wir 54 Beiräte einladen, ein beeindruckender Zuwachs“, stellte Architektin Susanne Crayen fest. Die Vizepräsidentin der Architektenkammer NRW wies darauf hin, dass sich das Instrument der Planungs- und Gestaltungsbeiräte als äußerst flexibel erwiesen habe. So habe die Landeshauptstadt Düsseldorf einen „Hochhausbeirat“ eingerichtet, der Landschaftsverband Westfalen-Lippe für den ländlichen Raum in Westfalen einen „Mobilen Gestaltungsbeirat“ eingerichtet. „Wir sehen in den ländlichen Regionen des Rheinlandes und weiteren nicht-urbanen Räumen noch deutlichen Bedarf“, betonte Vizepräsidentin Crayen.

Bundesweit 133 – NRW 54

Auch Prof. Rolf-Egon Westerheide, Vorstandsmitglied der Architektenkammer NRW und Vorsitzender des Ausschusses „Stadtplanung“, wertete die Planungs- und Gestaltungsbeiräte als „Erfolgsgeschichte“. Die Beiräte seien vor über 20 Jahren bundesweit als Gremien entwickelt worden, die ein besseres und schöneres Bauen im gestalterischen Sinn zum Ziel gehabt hätten, führte Westerheide als Moderator des Treffens aus. Heute rücke die Aufgabe der strategischen und ökologischen Ausrichtung des Planens und Bauens in den Städten in den Vordergrund.

Die Dichte an Gestaltungsbeiräten sei in Nordrhein-Westfalen mit 54 sehr hoch, stimmte Reiner Nagel dem zu. Bundesweit gebe es aktuell 133 Beiräte, führte der Vorsitzende der Bundesstiftung Baukultur, mit einem Impulsvortrag in die Veranstaltung ein. Der Kreis der Akteure, der in baukulturelle Bestrebungen eingebunden werden müsse, ist seiner Meinung nach allerdings breiter, als in der Branche vielfach angenommen. „Wir müssen nicht nur die planenden Berufe, sondern auch die Bauherrenseite sowie die Bauwirtschaft und die Baustoffhersteller einbeziehen, wenn es darum geht, nachhaltige Stadtstrukturen zu entwickeln“, unterstrich Reiner Nagel. Die Bundesstiftung Baukultur habe dazu den „Kodex für Baukultur“ aufgelegt, mit dem alle Unterzeichner die Selbstverpflichtung eingingen, die acht Davos-Kriterien für „Hohe Baukultur“ zu erfüllen.

Den Gestaltungsbeiräten komme insgesamt eine wichtige Funktion für die konkrete Arbeit vor Ort, vor allem aber auch für den Architekturdiskurs in den Städten und Gemeinden zu. Deshalb müsse die Organisation der Gremien in den Kommunen „zur Chefsache“ erklärt werden, empfahl Reiner Nagel. Hilfreich für die Kommunikation seien Stadtmodelle im Maßstab 1:500, zwischen Architektur und Städtebau. „An einem solchen Modell kann man auch Laien wunderbar städtebauliche Zusammenhänge und Folgen von neuen Projekten deutlich machen.“

Nur „das Schlimmste verhindern“?

Die Architekturhistorikerin Dr. Turit Fröbe zeigte sich zwiespältig bezüglich des Instruments der Gestaltungsbeiräte, die oftmals „nur das Schlimmste verhindern können“. Mit ihrem Büro „Die Stadtdenkerei“ führt sie kommunikative Maßnahmen zur Stadtgestaltung durch, mit denen im Verlauf einer Woche den Bürgerinnen und Bürgern einer Stadt spielerisch vermittelt werden soll, welchen Wert die gute Gestaltung der gebauten Umwelt hat. „Wir arbeiten immer mit einem liebevollen Blick, der Zugang und Austausch ermöglicht. Wir wollen die Menschen ermutigen und ermächtigen.“

Die Architekturhistorikerin Fröbe hat in den vergangenen zwanzig Jahren mehrere „Abreiss-Kalender“ herausgegeben, mit denen sie auf Bausünden hingewiesen hat. Sie habe durch diese Arbeit gelernt, vermeintliche Bausünden zu hinterfragen, das Schöne im Hässlichen zu finden und mit Menschen über Bauqualitäten zu sprechen. „Ich habe das Gefühl, dass Deutschland seit 20 Jahren in einer bleiernen Architektur-Langeweile feststeckt“, formulierte Turt Fröbe provokativ. Ihr fehle eine Haltung der Gesellschaft zur Architektur und zur Baukultur; „daran müssen wir arbeiten!“ Essenziell sei eine umfassende baukulturelle Bildung für die gesamte Gesellschaft, Teilhabe und die Bereitschaft, junge Architektinnen und Architekten mehr bauen zu lassen. „Ich wünsche mir, dass die Baukultur wieder mutiger wird in Deutschland“, so Turit Fröbe.

Neue Aufgabenfelder und Angebote

Thesen, auf die im offenen Austausch zwischen den anwesenden Mitgliedern von Gestaltungs- und Planungsbeiräte sowie der Vertreter*innen der Kommunen intensiv eingegangen wurde. Einhellig zeigte sich der Wunsch nach mehr Transparenz der Beiratsarbeit sowie nach Einbindung der Bürger*innen - allerdings auch das Dilemma, dass die Arbeit der Beiräte Vertraulichkeit voraussetzt und zudem konzeptionell den Charakter eines Experten-Beratungsgremiums aufweist. Die Anwesenden kamen zu dem Ergebnis, dass es keinen einheitlichen Weg geben kann, sondern jeweils projektbezogen, aber auch nach der Mitwirkungsbereitschaft der Akteure ausgerichtet gehandelt werden müsse.

Weitere Themen der Diskussion waren der Umgang mit denkmalgeschützten Gebäuden und die Einbindung der Denkmalpflege, die Besetzungen von Gestaltungsbeiräten auch mit Mitgliedern der Fachrichtungen Innenarchitektur und Landschaftsarchitektur.

Konsens herrschte in der Einschätzung, dass Gestaltungsbeiräte grundsätzlich ein mittlerweile vielfach bewährtes Instrument sind, um für mehr Architekturqualität zu werben und um den Architekturdiskurs in den Kommunen anzuregen. „Wir alle wünschen uns sicherlich eine flächendeckende Etablierung von Gestaltungsbeiräten in NRW“, fasste Moderator Rolf Westerheide zusammen. Empfohlen wurde zudem, auch für die ländlichen Regionen des Rheinlands einen „Mobilen Baukulturbeirat“ einzurichten - nach dem Vorbild des Modells des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe.

Über die Gestaltungsbeiräte in Nordrhein-Westfalen

Die Architektenkammer NRW führte im Jahr 2020 eine Umfrage unter den Gestaltungsbeiräten in Nordrhein-Westfalen durch, deren Ergebnisse in Mülheim vorgestellt wurden. Demnach umfassen die meisten Beiräte vier bis sechs stimmberechtigte Mitglieder, die in der Regel ortsfremd (und damit unabhängig von örtlichen Rücksichtnahmen) sind; oftmals ergänzt um nicht stimmberechtigte Mitglieder, zumeist Vertreter des Rates. „Das zeigt die Wertschätzung der Tätigkeit des Beirats und ist wichtig, um die Argumente aus der Beiratssitzung in die zuständigen Ausschüsse und den Rat zu tragen“, hob Prof. Rolf-Egon Westerheide hervor. Die meisten Beiräte tagen vier- bis sechsmal im Jahr und besichtigen die betreffenden Objekte im Vorfeld. Die Amtszeit beträgt in der Mehrheit vier bis sechs Jahre, bisweilen auch weniger. „Da die Beiräte sich finden müssen, sind weniger als drei Jahre nicht sinnvoll“, kommentierte Moderator Westerheide, der selbst Mitglied in drei Gestaltungsbeiräten ist. Die Bauherrschaft wird in der Regel zu den Sitzungen eingeladen; in den meisten Beiräten nicht allerdings die Öffentlichkeit. Beraten werden nicht nur Hochbauprojekte, sondern auch städtebauliche Planungen. „Vielleicht ist auch die Erstellung von B-Plänen eine denkbare Aufgabe für die Gestaltungsbeiräte“, meinte Moderator Prof. Rolf-Egon Westerheide.

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