Diskussionen um „Frau Architekt“

Sie wolle nicht „Architektin“ genannt werden, soll Zaha Hadid, die erste weibliche Pritzkerpreisträgerin gesagt haben, sondern auch Architekt - womit sie die gendermäßig korrekte Bezeichnung, wie sie heute üblich ist, nicht übernahm. Was sie meinte aber, war deutlich: Nur um Qualitätsmaßstäbe in der Beurteilung von Architektur solle es gehen, nicht um eine vermeintliche weibliche architektonische Handschrift. Dass es Frauen in diesem Beruf jedoch nicht leicht gemacht wird, zeigte gerade auch der Fall der Irakerin, die ihren Erfolg nur nach langen Jahren und wohl auch dank einer privilegierten familiären Situation erreichen konnte. Wer sich der Frage heute jedenfalls nicht stelle, so Kammerpräsident Ernst Uhing, mache einen Fehler.

08. Oktober 2020von Dr. Frank Maier-Solgk

Zwei Podiumsdiskussionen, veranstaltet von der Landesinitiative „Baukultur Nordrhein-Westfalen“, als Rahmenprogramm der Ausstellung „Frau Architekt. 100 Jahre Frauen im Architekturberuf“ (11.08. - 02.10.2020) im Düsseldorfer „Haus der Architekten“, gingen den nach wie vor aktuellen Genderfragen auf den Grund. Denn trotz der Frauen, die Bedeutendes leisten, im Hochbau wie im Landschaftsbau (und nicht nur im Innenarchitekturbereich, um ein weiteres Klischee anzusprechen), sind die meisten Frauen gewissermaßen inkognito tätig, arbeiten als angestellte Planungs- oder Bauleiterinnen den männlichen Chefs zu, die in den Büros, aber auch an den Hochschulen das Geschehen dominieren. Warum das noch immer so ist, welche Rollenbilder und gesellschaftspolitischen Bedingungen hierbei wirksam sind, und was man schließlich gegen die zu geringe Beachtung von Frauen in der Architektur tun könnte, dazu nahmen eine Reihe von überwiegend weiblichen Vertretern ihrer Zunft Stellung. Mit dabei ein männlicher, feministischer Blogger sowie ein Professor für Architekturvermittlung; diskutiert wurde lebhaft und pointiert. - Eine weibliche Revolution aber scheint nicht bevorzustehen.

Die Zukunft wird weiblich(er)

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Während die Zahl der weiblichen Studierenden seit Jahren steigt und heute bei über 60 Prozent liegt, spiegeln sich diese Fakten noch nicht direkt in den Beitrittszahlen zur Architektenkammer NRW wider. Je älter die Kammermitglieder, desto männlicher, kann man als Prinzip konstatieren. Immerhin steigt auch die Zahl der weiblichen Kammermitglieder kontinuierlich an: Lag sie 2009 in NRW noch bei gut 28 Prozent, so sind es aktuell 37,4 Prozent; wobei der Wendepunkt, ab dem es mehr Frauen als Männer in der AKNW geben wird, auf das Jahr 2038 hochgerechnet werden kann.

Demgegenüber liegt der Anteil der Büroinhaberinnen bei Büros ab einer Größe von zehn Mitarbeitern laut Bundesarchitektenkammer bei gerade einmal einem Prozent in Deutschland. Insgesamt werden 24 % aller Architekturbüros von Frauen geleitet. Und auch beim Einkommen liegen Frauen hinter den männlichen Kollegen und entsprechen damit dem gesamtgesellschaftlichen „gender pay gap“: Weibliche Angestellte erhalten im Mittel 80 Prozent des Gehalts ihrer männlichen Kollegen, wobei der Verdienst in den Büros unterhalb der Einkommen im öffentlichen Dienst liegt (BAK, 2018).

Gesellschaftliche Verhaltensmuster
Die Gründe für die bestehenden Ungleichgewichte sind vielschichtig. In der Diskussion „Frauen im Architekturberuf: innovativ, mutig – und doch nicht sichtbar“ am 15. September im „Haus der Architekten“ verwies der Blogger und Feminist Robert Franken auf gesellschaftliche Strukturen und lange eingeübte Verhaltensmuster: Frauen hinterfragen sich stärker, treten weniger bereitwillig in den Mittelpunkt und sind auch faktisch durch zeitliche Beanspruchung für Haus- und Kinderarbeit weit stärker in ihren beruflichen Möglichkeiten eingeschränkt als Männer (Stichwort: gender care gap).

Dieser Hintergrund ist zwar keineswegs neu, führt aber häufig zu einer Skepsis hinsichtlich der späteren Inanspruchnahme durch einen Beruf, zu dessen traditionell gepflegtem Image die 60- bis 70-Stunden-Woche mit vielen Nachtsitzungen gehört. „Kann und will ich mir das zumuten?“, ist eine in der Regel weibliche Frage, die spätere Karriereperspektiven beeinflusst. An dieser Stelle wirke, so mehrere Teilnehmerinnen auch auf dem Podium der zweiten Diskussionsveranstaltung („Von der erfolgreichen Studentin zur unsichtbaren Architektin!“ am 23.09.20 im Haus der Architekten), wiederum negativ, dass es zu wenig bekannte und erfolgreiche Architektinnen gebe, die als Vorbilder psychologisch motivierend wirken könnten. Die Helden von Profession Heike Hannada (TU Dortmund) sind nach wie vor männlich, auch wenn in diesem Jahr mit den irischen Pritzker-Preisträgerinnen Yvonne Farrell und Shelley McNamara (Grafton Architects) ausnahmsweise zwei Architektinnen im medialen Rampenlicht standen. Allgemein gilt als Befund: Die berufliche Situation von Architektinnen ist nach wie vor geprägt von faktischen gesellschaftlichen Bedingungen, beruflichen Rollenbildern und psychologischen Selbst-Einschätzungen, die in ihrer Gesamtheit eine Hürde für eine Karriere darstellen.

Vorschläge, die zu einer größeren Präsenz von Frauen im Beruf führen könnten, gab es gleichwohl auch. Während Blogger Robert Franken eine betriebliche Selbstüberprüfung im Hinblick auf die Persönlichkeitsentwicklung jedes und jeder Einzelnen für sämtliche Unternehmen und Institutionen für zeitgemäß hielt, richteten sich die berufsspezifischeren Vorschläge vor allem auf eine stärkere Beteiligung von Frauen an Wettbewerben, die - da anonym - eine gute Chance für mehr öffentliche Präsenz böten und noch zu wenig genutzt würden. Mehrfach wurde sowohl auf den beiden Diskussionspodien im Haus der Architekten als auch im Saal eine stärkere weibliche Besetzung von Gremien angemahnt, die sowohl in den Kammern als auch an den Universitäten und in den großen Büros noch immer alles andere als paritätisch seien.

Moderne, vielfältige Arbeitswelten
Vielleicht für den beruflichen Alltag am wichtigsten: Es müsse, so Claudia Roggenkemper, die erste Frau, die es bei HPP-Architekten in Düsseldorf bis zur geschäftsführenden Partnerin gebracht hat, mit der Legende aufgeräumt werden, man könne als Projektleiterin keinen guten Job mit einer Halb- oder Dreiviertelstelle machen. Nach wie vor bilde diese Fehleinschätzung eine wesentlich Hürde für die berufliche Perspektive von Frauen. Darüber hinaus, so Roggenkemper, sei in der Tat Durchsetzungsvermögen vonnöten, um sich im Kreis der männlichen Partner, die in der Regel mit einem hohen Maß an Selbstbewusstsein ausgestattet seien, Gehör zu verschaffen. Ähnliches bestätigte auch der Psychologe und Professor für Architekturvermittlung an der Universität Karlsruhe Riklef Rambow, der bei seinen weiblichen Studierenden die analytische Fähigkeit der Selbstkritik als Merkmal konstatierte, während bei männlichen Studierenden - „pointiert gesagt“ - die Tendenz zur Selbstüberschätzung auffalle.

Die gerne aufgeworfene Frage, ob es weibliche Architektur im Sinne einer weiblichen architektonischen Handschrift gebe, wurde in den Diskussionen der Baukultur NRW (wie zu erwarten) negativ beschieden. In der Tat erschiene – um zwei Beispiele zu konstruieren - eine Gleichsetzung von Zaha Hadids geschwungenen Fassaden oder von Louisa Huttons Betonung von Farbe in der Architektur mit weiblichen Eigenschaften nicht nur als klischeebeladenes Vorurteil, sondern politisch geradezu als kontraproduktiv. Die Frauen, die bei den Veranstaltungen in der Architektenkammer über ihre eigenen Motive und Fähigkeiten sprachen, sahen ihre Stärken in Eigenschaften wie Organisationstalent, technischem Interesse und anderen „harten“ Eigenschaften. Dass auch die Fähigkeit zur Kommunikation wichtig sei, betonte die Düsseldorfer Architektin Friederike Proff. So sei sie auf Baustellen oft auf Arbeiter gestoßen, die gesagt hätten, sie würden lieber mit Architektinnen als männlichen Bauleitern zusammenarbeiteten.

Weiblicher Blick auf den Städtebau
Statt das Geschlecht vom Gebäude abzulesen, verspricht ein anderer Aspekt mehr Perspektiven. Die Vorsitzende der Architektinnen-Initiative NRW Katja Domschky betonte, es fehle heute im Bereich der Stadtplanung eine Betrachtung aus Nutzerinnenperspektive; hier seien Neuüberlegungen lohnend. Das reiche von der verkehrsgerechten Stadt, bei der zumindest der Verdacht naheläge, sie sei lange Jahre männlich geprägt gewesen, über fehlende Sitzgelegenheiten auf öffentlichen Plätzen, zu wenig beleuchtete Wege, die Errichtung von Sport- und Jugendplätzen (deren Skateboardanlagen fast ausschließlich von Jungen genutzt würden) bis zu mehr weiblichen Plätzen in Tiefgaragen oder die Frage der Platzierung von Toiletten in öffentlichen Gebäuden.

Ob sich hier Ansätze einer neuen ‚weiblichen‘ Architektur bieten? Eine Diskussion über das Thema scheint im Gang. Die Ausstellung der Baukultur Nordrhein-Westfalen in der Architektenkammer NRW war dazu sicherlich ein wertvoller Beitrag. Gerade ist auch ein neues Buch mit dem Titel „Feminist City – Wie Frauen die Stadt erleben“ (Leslie Kern) erschienen.

Die Berichte über die Podiumsdiskussionen zur Ausstellung „Frau Architekt“ finden Sie - ebenso wie die Live-Mitschnitte unter www.baukultur.nrw

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