Chiara Erhardt und Luca David Steinert auf der Preisverleihung im Baukunstarchiv NRW in Dortmund – Foto: Christof Rose/Architektenkammer NRW

Gewinner des Förderpreis 2023: Interview mit Chiara Erhardt und Luca David Steinert

​​​​​​​Die Stiftung Deutscher Architekten vergibt alle zwei Jahre Förderpreise an besonders begabte Absolventinnen und Absolventen der NRW-Architekturstudiengänge. Die unabhängige Jury unter Vorsitz von Stadtplaner und Architekt Prof. Rolf Westerheide hat im Februar getagt und drei besonders talentierte Nachwuchs-Planerinnen und -Planer ausgewählt. Einen Förderpreis erhielten Chiara Erhardt und Luca David Steinert für die Arbeit „ritrova.riesi – Impulse und Handlungsstrategien für die Stadt Riesi“, vorgeschlagen von Univ.-Prof. Anke Naujokat (RWTH Aachen).

24. Mai 2023von Vera Anton-Lappeneit

Chiara Erhardt und Luca David Steinert, am Beispiel der schrumpfenden Stadt Riesi in Sizilien befassen Sie sich mit der Frage, welchen Beitrag die Architektur als Baustein für mögliche Transformationen und nachhaltige Stadtentwicklung leisten kann. Wieso haben sie gerade diesen Ort für die Analyse ausgewählt?

Luca Steinert: „Riesi kenne ich seit meiner ehrenamtlichen Tätigkeit für eine soziale Einrichtung, dem Servizio Cristiano. Ich lebte dafür ein Jahr in Riesi und lernte die Stadt gut kennen. Sie ist Außenstehenden vor allem durch negative Schlagzeilen zum Thema Abwanderung und Zerfall bekannt. Von den heute noch knapp 11 000 lebenden Einwohnern Riesis sind laut dem Einwohnermeldeamt ca. 7400 im Ausland registriert. Das hinterlässt nicht nur im Stadtbild deutliche Spuren, sondern auch kulturell, sozial und ökonomisch.

Meine persönliche Erinnerung ist aber vor allem durch die Geschichten und gemeinsamen Erlebnisse mit den Menschen vor Ort geprägt. Diese wertschätzende Wahrnehmung der Stadt wollte ich unbedingt sichtbar machen. Dazu kam Chiaras sizilianischer familiärer Hintergrund und ihre eigene Motivation, das Sizilien von heute zu erforschen.“

Konnten Sie bei Ihrer Analyse auch Ableitungen für andere europäische Standorte mit ähnlicher Problematik erkennen?

Chiara Erhardt: „Da die Herausforderung im Umgang mit schrumpfenden Städten europaweit besteht, wurde es uns früh ein Anliegen, eine Methode zu finden, die sich auch übertragen lässt. Wir haben Riesis besondere Orte gesammelt und mit den Erinnerungen der Bewohner*innen und räumlichen Analysen verknüpft. Aus diesen Fragmenten haben wir ein Leitbild entwickelt, das die vielseitigen Facetten der Stadt widerspiegelt und Regeln für den anschließenden Entwurfsprozess setzt. Somit verkörpern die beiden Entwürfe hybride und heterogene Räume Riesis. In diesem Prozess wurde uns besonders deutlich, dass eben auch die subjektive Wahrnehmung der Stadt eine maßgebliche Bedeutung für den Umgang mit Bausubstanz haben kann.“

Luca Steinert: „Der intensive Einbezug und der Austausch mit den Bewohner*innen hat unsere Sichtweise auf unsere Aufgabe stark beeinflusst und ihr eine neue Richtung gegeben. Dazu war es für uns sehr wichtig, für mehrere Wochen in Riesi zu leben. Wir glauben, dass diese Form des Austausches, Verständnis und vor allem Zuhörens Grundlage jeder Aufgabenstellung in der Architektur und Stadtplanung sein sollte.“

Die Jury hat Ihnen beiden eine besondere Beobachtungsgabe und ein großes Talent im methodischen Arbeiten sowie ein beseeltes Einfühlungsvermögen in gesellschaftliche Prozesse und deren Spiegelung in Stadtraum und Architektur bescheinigt. Möchten Sie im Bereich der Stadtplanung weiterarbeiten?

Chiara Erhardt: „Die Thesis war für mich sicherlich der Auslöser für die Orientierung in Richtung Stadtplanung und hat meinen Blick insbesondere auf partizipative Prozesse gelenkt. Da „wertvolle“ Räume nicht immer durch einen städtebaulichen Plan erkennbar und verständlich sind, war es mir wichtig, den Einbezug von Öffentlichkeit in Planungsprozessen weiterzuverfolgen. In Riesi wurde deutlich, dass der Verlust und Verfall des gebauten Umfeldes den Zerfall städtischer Öffentlichkeit und gesellschaftlichen Engagements nach sich zieht. Die wertschätzende Wahrnehmung der Stadt, die wir als Außenstehende hatten, sollte auch für die Bevölkerung vor Ort wieder sichtbar werden. Ich bin sehr froh darüber, diesen Weg eingeschlagen zu haben und diese Arbeitsweise weiterzuverfolgen.“

Welche Pläne haben Sie für Ihren weiteren beruflichen Werdegang?

Luca Steinert: „Die Auseinandersetzung mit Riesi hat mir gezeigt, welches Potenzial im Vorgefundenen schlummert. Ein besonderer Anreiz war es für mich, den Dialog zwischen Bestehendem und Neuem herzustellen, erlebbar zu machen und weiterzuerzählen. Dazu gehört es meiner Meinung nach, sowohl die Eigenschaften des Ortes als auch das Alltägliche, das die Menschen mit diesem verbindet, zu verstehen und – im Kontext Riesis - wieder ‚erlebbar‘ zu machen. Davon leitet sich auch der Titel ‚ritrovare‘, also wiederfinden oder sich wieder treffen, ab. Ich wünsche mir nach der langjährigen Arbeit mit Riesi, diese Erkenntnisse nicht nur als Architekt, sondern auch fachlich übergreifend in der Lehre vermitteln und vertiefen zu können.“

Videos mit den Preisträger*innen unter www.stiftung-deutscher-architekten.de

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