Im Blickpunkt: Die Zukunft der urbanen Landschaft

Lange liegen die Zeiten zurück, in denen das Ruhrgebiet mit innovativen Projekten und Prozessen für Aufmerksamkeit sorgte. Als die IBA Emscher Park Ende der 1980er Jahre begann, stand die Region vor riesigen Herausforderungen. Dazu gehörte nicht nur der industrielle Strukturwandel, sondern es galt auch, die post-industrielle Landschaft in die Zukunft zu führen. Seitdem ist viel passiert, sind viele große Projekte und Veranstaltungen gestemmt worden. Aber die Herausforderungen, vor denen das Ruhrgebiet steht, sind noch immer groß. Nun machen sich die Gründer*innen und Mitglieder der Initiative lala.ruhr auf die Suche. Im September lädt die Initiative lala.ruhr zur ersten Biennale der urbanen Landschaft in die Metropole Ruhr ein. Über zwei Wochen kommen dann viele verschiedene Akteure zusammen, um neue Formen der Zusammenarbeit zu erproben. 

24. August 2022von Dr. Juliane von Hagen

Gemeinsam mit einer Bandbreite von Akteurinnen und Akteuren suchen die lala.ruhr-Veranstalter*innen nach Lösungen für eine grüne Zukunft; eine, die gerecht und inklusiv, die produktiv und lebenswert, die resilient und klimaneutral ist. Zu den Akteuren gehören nicht nur professionelle Stadt- und Freiraumplaner. Aus der Sicht von lala.ruhr spielen bei der Gestaltung der urbanen Landschaft viele weitere Engagierte eine große Rolle.

lala.ruhr als Labor für die Landschaft

Die Initiative lala.ruhr geht auf die Kommunikationsexpertin Melanie Kemner und den Architekten Sebastian Schlecht zurück. Aus unterschiedlichen professionellen Hintergründen kommend, trafen sie im Rahmen der Grünen Hauptstadt Europas – Essen 2017 zusammen. Schon damals waren sie von der Perspektive des jeweils anderen auf die Stadtlandschaft fasziniert. Aus dieser Begegnung wuchs die Idee, den Diskurs über die Zukunft der Metropole Ruhr über Disziplinen hinweg zu verstetigen.

So gründeten Melanie Kemner und Sebastian Schlecht die Initiative „lala.ruhr – Das Labor für die Landschaft der Metropole Ruhr“. Dabei ist der Begriff Labor wichtig, denn die beiden Gründer und die Mitglieder des mittlerweile gewachsenen lala-Netzwerks sind auf der Suche nach Neuem und wagen Mutiges. Deshalb laden sie in diesem Herbst zu einem Experiment ein. Sie locken ganz unterschiedliche Menschen ins Ruhrgebiet, um auf einer ersten „Biennale der urbanen Landschaft“ einer grüneren Zukunft näher zu kommen.

Offenheit ist Programm

Über einen Zeitraum von gut zwei Wochen lockt lala.ruhr nicht nur bottom-up vor Ort engagierte Stadtmacher*innen nach Gelsenkirchen. Das Netzwerk holt auch digitale Expertinnen und Experten an den Tisch und lädt Studierende ein. Gleichermaßen kommen Vertreter von Kommunen, von lokalen Institutionen wie dem Regionalverband Ruhr oder Baukultur NRW sowie Engagierte aus international tätigen Organisationen wie „ICLEI – Local Governments for Sustainability“ zusammen.

So unterschiedlich die Hintergründe und Anliegen all dieser Gruppierungen und so verschieden ihre Arbeitsweisen sind, sie alle tragen auf ihre Art zur Gestaltung der urbanen Zukunft bei und sind dementsprechend auf der Biennale der urbanen Landschaft willkommen. Dabei ist Melanie Kemner und Sebastian Schlecht insbesondere an den Unterschiedlichkeiten, der Vielfalt der Perspektiven, Denkrichtungen und Kulturen gelegen. „Denn lala.ruhr ist ein Versuchsraum, der sich auf die Suche nach neuen Formen des Austauschs und der Zusammenarbeit begibt. Offenheit ist also Programm“, beschreibt Melanie Kemner die Idee von lala.ruhr und der Biennale. Diese Offenheit fängt bei Begrifflichkeiten an, die von verschiedenen Disziplinen unterschiedlich verstanden werden, und reicht bis zu neuen, unkonventionellen Formaten von Zusammenarbeit und Austausch. „Dabei denken wir Dinge von der grünen Seite aus. Wir wollen uns gemeinsam und auf vielfältige Weise einer grünen, urbanen Zukunft nähern“, fügt der Architekt Sebastian Schlecht hinzu. 

Vielfältiger Auftakt

Die Biennale der urbanen Landschaft bietet an drei Wochenenden und zwei dazwischenliegenden Werkwochen ein facettenreiches Programm. Das wurde von lala.ruhr kuratiert; die Ideen selber aber kommen von engagierten Stadtmacherinnen und Stadtmachern. Um den großen Pool von Interessierten und Ideen zu aktivieren, hat lala.ruhr einen „Call“ veröffentlicht. Der wurde im gesamten Netzwerk der Initiative und von allen Partner*innen verbreitet.

Aus mehr als 70 Rückmeldungen hat das lala.ruhr-Team ein facettenreiches Programm für das erste „Wochenende der Vielfalt“ zusammengestellt. Es reicht von Ausstellungen über Exkursionen und Vorträgen bis zu Workshops und Mitmachaktionen. Die Inhalte spannen einen Bogen von Workshops zum Upcycling über den „¡Change School! Explorer: Schulen handeln in der Klimakrise“ bis zu Vorträgen und Diskussionen zur nachhaltigen Stadtentwicklung – angeregt durch „Examples of Green and Blue Landscape Urbanism“. 

Im Rahmen einer Mitmachaktion wird sogar das Festivalzentrum der Biennale selber gebaut. Das bildet dann den räumlichen Mittelpunkt des zweiwöchigen Treibens am Rand des Wissenschaftsparks in Gelsenkirchen. „Die Auswahl dieses Ortes erfolgte nicht nur aus praktischen Gründen. Der Bau von Uwe Kiessler ist ein ebenso mutiges wie symbolträchtiges Gebäude der IBA Emscher Park und steht für Strukturwandel und eine neue Forschungskultur im Ruhrgebiet“, sagt Sebastian Schlecht.

Wochenenden/Werkwochen

Auf das erste Wochenende der Biennale folgt eine sogenannte digitale Werkwoche, in der ausgewählte Personen im Rahmen eines „Hackathon in Residence“ aktiv werden. Auch die Auswahl dieser Teilnehmer, der „Residencies“, geht auf einen international breitgestreuten Call zurück. Aus der dort aktivierten großen Zahl von Interessierten kommen 20 Teilnehmer*innen aus verschiedenen Disziplinen, Kontexten und Ländern nach Gelsenkirchen. 

Gemeinsam arbeiten sie dort in vier Teams an Lösungen für relativ konkrete Aufgaben. In einer geht der Blick zum Beispiel unter die Oberfläche einer Freifläche in Gelsenkirchen-Ückendorf. Hier wird erörtert, was sich unterirdisch verändern muss, damit es über der Erde resilienter und grüner werden kann. Ein anderes Team widmet sich einem von Blockrandbebauung gesäumten Straßenraum und versucht, die Konsequenzen des Klimawandels für einen solchen Stadtraum zu simulieren und zu veranschaulichen.

Das zweite und mittlere Wochenende der Biennale widmet sich ganz dem Digitalen. An diesen Tagen steht die Frage an: Wie können digitale Technologien dabei helfen, nachhaltigere Städte zu bauen? Das Programm des zweiten Biennale-Wochenendes greift dafür verschiedene Themen auf. Dazu gehört der „Digital Twin (einer Stadt)“ und die Frage, was dieser Ansatz einer Kommune bringen kann. Gleichermaßen wird Partizipation in der Stadtgestaltung unter die Lupe genommen und debattiert, wie sie mithilfe digitaler Tools verbessert werden kann. Schließlich wird es technischer, und künstliche Intelligenz und Simulationen in der Stadtplanung werden erprobt. Diese können mit Mikroklima-Simulationen oder Simulationen von Siedlungsstrukturen auf regionaler Ebene helfen, die Entwicklung nachhaltiger Städte zu unterstützen.

Analoger und gewöhnlicher muten dann die Aufgaben der Werkwoche der Biennale an. Dazu kommen Studierende der Hochschulen in Aachen, Dortmund und Höxter zusammen. Auch sie arbeiten gemeinsam, in gemischten Teams an „Design for Urban Uncertainties“. Sie sollen Konzepte entwickeln, die soziale, ökologische und ökonomische Verbesserungen vorsehen, eine lebenswerte und resiliente Stadt kreieren und damit positive Perspektiven für nächste Generationen aufzeigen. Die Überlegungen sollen am Beispiel von Gelsenkirchen-Ückendorf erfolgen, einem Stadtteil, der exemplarisch für einen Teil einer großen Metropole steht. Die Ergebnisse der studentischen Auseinandersetzungen werden am letzten Biennale-Wochenende präsentiert.

Partnerin: Baukultur NRW

Eine wichtige Partnerin und Mitgestalterin der Biennale ist die Initiative Baukultur NRW. Sie kuratiert mit 16 Veranstaltungen einen Teil des Programms. Dazu gehören zum Beispiel der „Baukultur-Garten”, der temporäre Pavillon „a-circus“ der Baukunstklasse der Kunstakademie Düsseldorf und eine Ausstellung aus Dänemark zur lebenswerten Stadt. Baukultur NRW lenkt die Aufmerksamkeit aber auch auf die „Stadt für alle: altersinklusive räumliche Praxis“. Gleichermaßen bekommen junge Nachwuchskräfte eine Bühne. So findet das Netzwerktreffen der „Architects For Future Ruhr“ im Rahmen der Biennale statt. Die Urbane Liga e.V. veranstaltet mit Unterstützung der Stiftung Mercator und JAS e.V. einen Workshop zur Entwicklung einer „Ruhrbanen Liga“, also einem regionalen Netzwerk von Stadtmacher*innen. Schließlich bespielen auch junge Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten einen Programmpunkt. Im Format „YOLA-Talk“ diskutieren sie über die „Grüne Stadt oder Stadt mit Grün?“

Die Architektenkammer NRW unterstützt die lala.ruhr ideell; Hauptgeschäftsführer Markus Lehrmann bringt sich in die Abschlussdiskussionen ein.

Zum Schluss: alle zusammen

Unter dem Motto „Wochenende der Visionen“ steht der Abschluss der Biennale. „Hier findet der Austausch von Wissen und der Diskurs in der sogenannten Convention statt“, be-schreibt Melanie Kemner das dritte Wochenende der Veranstaltung. Es startet mit den Ideen der Studierenden. Zusammen mit Projekten der Ruhr-Konferenz und der internationalen Organisation ICLEI wird dann eine Brücke zwischen regionalen Konzepten und internationalen Strategien geschlagen. Zum Abschluss stehen erste Rückblicke auf die Geschehnisse der Biennale an sowie die Fragen, was wir daraus für die Zukunft lernen. In Vorträgen, Diskussionen, Workshops und Panel-Gesprächen kommen Expertinnen und Experten zu Wort, wie zum Beispiel Tom Wild von der Universität Sheffield oder Anja Bierwirth vom Wuppertal Institut.

Der zweite Tag des finalen Wochenendes (und damit der letzte Tag der ersten Biennale der urbanen Landschaft) wirft einen „Blick zurück nach vorn – Die stetige Erfindung des Ruhrgebietes“. Dazu diskutieren unter anderem Experten wie Christa Reicher von der RWTH Aachen und Landschaftsarchitekt Carlo Becker über die Vergangenheit und die Zukunft der Region. Schließlich endet die erste Biennale mit einem feierlichen Abschluss, der zugleich „Start in die Zukunft“ ist. Damit deutlich wird, dass die urbane Zukunft von anderen Narrativen und Arten der Zusammenkunft leben wird, findet der Abschluss bei einem gemeinsamen Picknick vor der IBA-Ikone Wissenschaftspark statt. p

Programm/Magazin: www.lala.ruhr/biennale.

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