Jahrhundertherausforderung oder Chance? - Ein Kommentar von Klaus Brüggenolte

Im April hat die Landesregierung nun den Reviervertrag mit den Anrainerkommunen unterzeichnet und den Projektaufruf „Revier.Gestalten“ veröffentlicht. Damit wurde der Startschuss gegeben für die perspektivische Weiterentwicklung des Rheinischen Braunkohlereviers. - Ein Kommentar von AKNW-Vizepräsident Klaus Brüggenolte

10. Mai 2021
Dipl.-Ing. Architekt VAA Klaus Brüggenolte
Dipl.-Ing. Architekt VAA Klaus Brüggenolte - Foto: Lohnzich

Liebe Kollegin,
lieber Kollege!

Als Lippstädter verschlägt es mich weniger in die westlichen Regionen unseres Bundeslandes. Umso beeindruckender erscheinen die Braunkohlegruben, die von der A46 bei Erkelenz unmittelbar berührt oder von der neuen A44 sogar wie ein Deich durchschnitten werden. Die Ausmaße der bis zu 210 Meter tiefen Gruben sind mit dem bloßen Auge kaum zu erfassen.

Im April hat die Landesregierung nun den Reviervertrag mit den Anrainerkommunen unterzeichnet und den Projektaufruf „Revier.Gestalten“ veröffentlicht. Damit wurde der Startschuss gegeben für die perspektivische Weiterentwicklung des Rheinischen Braunkohlereviers, für welche der Bund 14,8 Milliarden Euro und das Land Nordrhein-Westfalen weitere Milliarden bereitstellen wollen. Ministerpräsident Armin Laschet erklärte, das Rheinische Revier stehe mit dem Ausstieg aus der Braunkohle vor einer „Jahrhundertherausforderung“, die aber gleichermaßen eine „Jahrhundertchance“ sei. Beides trifft zweifellos zu.

Nach dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichtes werden die Klimaschutzbemühungen in Deutschland weiter verstärkt werden müssen. Weiten wir den Blick auf den „Green Deal“ der Europäischen Union und die dort proklamierte „Renovation Wave“, wird deutlich, dass wir in Nordrhein-Westfalen mit dem Rheinischen Braunkohlerevier nicht alleine stehen. Viele Länder der europäischen Union haben ähnliche Gebiete, die in näherer Zukunft saniert, umgewidmet, rekultiviert und zu nachhaltigen Energielandschaften ausgebaut werden müssen. Insofern sollten wir in NRW die Chance ergreifen, voranzugehen und für unser Braunkohlebecken mutige, groß gedachte Perspektiven zu entwickeln. Visionen, die nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch und kulturell ambitioniert sind.

Die Ausweisung kommunaler Gewerbegebiete und neuer Siedlungsflächen kann dabei ebenso wenig genügen wie die Anlage von Wasserflächen mit Segelbooten. Notwendig sind echte Innovationen und Experimente, wie sie gegenwärtig im Zuge des Neuen Europäischen Bauhaus-Projektes von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen diskutiert werden: überkommunale und internationale Wissensnetzwerke und Forschungsverbünde, vielleicht die Installation von Reallaboren und experimentellen Baufeldern. Dazu gehört die Erprobung zukunftsfähiger Verkehrs- und Infrastrukturkonzepte genauso wie die Umsetzung echter Null-Emissions-Siedlungen.

Wie schwierig solche Entwicklungen in der Praxis sind, zeigt sich in diesen Wochen an den teilweise explosionsartig steigenden Baustoffpreisen. Wenn Sie aktuell Baustellen betreuen, die mit Holz arbeiten, werden Sie es bereits schmerzhaft bemerkt haben: Der Preis für Schnittholz ist um bis zu 300 Prozent gestiegen. Und das in einem Bundesland, das große Wälder und Holzvorkommen aufweist; und in dem nach dem Orkan Kyrill 2007 händeringend nach Verwendung für das zahlreiche Bruchholz gesucht wurde. Auch die Preise anderer Baustoffe, etwa für Sand und Kies, Stahl und Kupfer, ziehen gewaltig an.

Auch hier zeigt sich ein enormer Forschungsrückstand, insbesondere was die Wiederverwertung von Baumaterial und das sogenannte Urban Mining betrifft. Und es zeigt sich, wo wir ansetzen müssen, um im Bereich des Planens und Bauens hinsichtlich der ökologischen Ziele wirklich voranzukommen.

Ergreifen wir also die „Jahrhundertchance“, im Rheinischen Revier, aber auch an anderen Orten in unserem Bundesland echte Innovationen zu erproben. Der Sprung von der Industrie- zur Wissensgesellschaft schreitet voran. Unser dichtes Netz von Hochschulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen bietet ein gewaltiges Potenzial, um zu Vernetzen, um Forschung und Praxis zusammenzuführen, Labore zu etablieren, neue Verfahren und Produkte zu entwickeln. Um Leuchttürme zu errichten, die europaweit strahlen und Orientierung bieten - sei es im virtuellen oder im realen Raum.
Es grüßt Sie
Ihr

Dipl.-Ing. Klaus Brüggenolte
Vizepräsident der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen
brueggenolte@aknw.de

Teilen via