„Kammer vor Ort“: Siegen entwickelt sich im Bestand

Dass „weniger“ im Städtebau oft „mehr“ sein kann, hat die Stadt Siegen eindrucksvoll mit dem Rückbau der Betonplatte über der Sieg und der Neugestaltung des innerstädtischen Siegufers mit einer Treppenanlage bewiesen. „Das Projekt wird weiterhin bundesweit publiziert und als Vorbild besprochen“, unterstrich Henrik Schumann, Stadtbaurat von Siegen, in seinem Impulsvortrag zur „Kammer vor Ort“-Veranstaltung der Architektenkammer NRW. Rund 80 Mitglieder aus dem Siegerland waren der Einladung der AKNW am 25. August in das Kulturhaus Lys gefolgt, um über die aktuellen Entwicklungskonzepte der Stadt zu diskutieren und um sich mit den Repräsentanten der Architektenkammer NRW auszutauschen.

26. August 2022von Christof Rose

„Siegen hat sich in den vergangenen Jahren gewaltig verändert und enorm an Aufenthaltsqualität gewonnen“, stellte auch Prof. Dr. Hildegard Schröteler-von Brandt fest. Die langjährige Professorin für Architektur und Städtebau an der Universität Siegen erinnerte daran, dass Siegen nach schweren Kriegszerstörungen von der Architektur der 1950er Jahre sowie vom Konzept der „Autogerechten Stadt“ geprägt sei. Durch die Öffnung der Sieg, den Rückbau breiter Straßen und die Umnutzung großer Handelsimmobilien habe Siegen deutlich an Attraktivität und Aufenthaltsqualität im Bereich der Unterstadt gewonnen. Vor allem die Strategie, Fakultäten der Universität in die Innenstadt zu holen, verändere den Charakter der Stadt zusehends. „Was wir jetzt noch brauchen, sind multifunktionale Räume, die Wohnen und modernes Arbeiten verbinden“, meinte die emeritierte Professorin. Sie empfahl weiteren Mut zu Experimenten: „Reallabore, Experimentierräume, noch mehr öffentliche Freiflächen“.

Zu den wichtigen städtebaulichen Projekten der jüngsten Zeit gehörte in Siegen die Sanierung der Universität. Der Adolf-Reichwein-Campus, der in den 1970er Jahren mit vier weiteren NRW-Hochschulgründungen in Systembauweise entwickelt worden war, wurde durch das Essener Büro Nattler Architekten grundlegend saniert und erneuert. „Wir sind mit großem Respekt vor dem Bestand vorgegangen“, berichtete Thomas Höxtermann, geschäftsführender Gesellschafter von Nattler Architekten. Der Campus mit seinen rund 34 000 m2 Nutzfläche weise in seiner modularen Grundstruktur und mit seiner exponierten Lage auf dem Haardter Berg große Qualitäten auf, die herausgearbeitet werden sollten. Höxtermann betonte den nachhaltigen Ansatz, den die Weiterentwicklung des Gebäudebestandes in sich trage. „Wir haben nachgerechnet: Unser Umbau verursacht nur etwa 25 Prozent des CO2-Ausstoßes eines entsprechenden Neubauprojektes.“

Einen künstlerischen Blick auf die Architektur der Stadt warf im Rahmen der „Kammer vor Ort“-Veranstaltung der AKNW der Siegener Fotokünstler Thomas Kellner. Er hatte mit einer Fotoserie „Fachwerkhäuser des Siegener Industriegebietes heute“ dokumentiert und mit einer spezifischen Nachbearbeitung interpretiert. Viele der Bauten, die schon das Düsseldorfer Fotografenpaar Bernd und Hilla Becher in den 1950 - 70er Jahren fotografiert hatten, sind heute verkleidet und sehen sich sehr ähnlich. „Es ging mir darum, den individuellen Charakter herauszuarbeiten“, erläuterte Thomas Kellner sein Konzept. Die Ausstellung seiner Arbeiten ist noch bis zum 19. September im „Haus der Architekten“ in Düsseldorf zu sehen; ein Katalog ist erhältlich.

Die „Kammer vor Ort“-Veranstaltung in Siegen schloss mit einem Austausch der Teilnehmenden untereinander und mit den Repräsentanten der Kammer. Präsident Ernst Uhing wurde auf vielfältige Themen angesprochen – von Fragen zur neuen Junior-Mitgliedschaft über berufspolitische Themen bis hin zur Entwicklung des Versorgungswerks. „Wir freuen uns, dass unsere Architektenkammer zu uns nach Siegen gekommen ist“, lautete eine oft geäußerte Meinung. – Die AKNW wird ihre „Kammer vor Ort“-Reihe fortführen.

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