Bauen mit Glas: Architektur treibt die Entwicklung voran

Schon der Titel verwies auf die große Stärke des Baustoffes und seinen architektonischen Reiz: „Durchblicke – Neue Architektur mit Glas“ lautete das Thema des Architekturkongresses, zu dem die Messe Düsseldorf in Kooperation mit der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen und der Technischen Universität Dortmund im Rahmen der internationalen Messe „Glasstec“ am 25. Oktober nach Düsseldorf eingeladen hatte. Der Kongress fand bereits zum siebten Mal statt. Der Präsident der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen, Ernst Uhing, und Wolfram Diener, Geschäftsführer der Messe Düsseldorf, konnten fast 200 Teilnehmer begrüßen.

09. November 2018von Jan Schüsseler

Wolfram Diener hob die große Bedeutung von Architektinnen und Architekten für die Entwicklung des Glases im Bauwesen hervor: „Sie sind es, die durch Ihre Kreativität unserem spannenden Material Leben einhauchen“, so der Geschäftsführer der Messe Düsseldorf. AKNW-Präsident Ernst Uhing bestätigte diese Aussage: „Die Transparenz des Glases ist zweifellos faszinierend und inspiriert Architekten immer wieder zu Meisterleistungen.“

Einen Überblick über die Entwicklung des Werkstoffs Glas im Bauwesen verschaffte Prof. Dr. Ulrich Knaack von der TU Darmstadt. In seinem „Roadmap Glas“ betitelten Vortrag beschrieb er drei Generationen von Glasarten. Als erste Generation bezeichnete er die Verwendung von Glas als Gebäudehülle, die im 19. Jahrhundert begann und bis in die heutige Zeit andauert. Als zweite Generation stellte Prof. Knaack die seit einigen Jahren entwickelten Glasarten dar, die durch ihre Bauart den Energiehaushalt von Bauwerken aktiv beeinflussen könn können. Die dritte Generation sind für Ulrich Knaack konstruktive Glaselemente. Er zeigte Möglichkeiten auf, Glasbauteile zum Zweck des Lastabtrags auf verschiedene Weise zu verformen. „Glas fängt an, Form zu werden“, resümierte Prof. Dr. Knaack.  

Über die Entwicklung der Fassade für die neue Deichman-Bibliothek in Oslo berichtete Nils Ole Bae Brandtzaeg aus dem Atelier Oslo, das gemeinsam mit Lund Hagem Arkitekter für die Planung verantwortlich zeichnete. Das Projekt geht auf den Gewinn eines Wettbewerbs im Jahr 2009 zurück. „Die Fassaden haben wir als transluzent dargestellt, das war schon sehr ambitioniert“, räumte Brandtzaeg ein und berichtete ausführlich über die Recherche nach geeigneten Materialien für die Realisierung.

Mehrschichtiges Glas in der Fassade

Diese führte zur Entwicklung einer aufwändig konstruierten, dreilagigen Fassade mit unterschiedlich lichtdurchlässigem Glas und Profilen aus GFK. „Für den erfolgreichen Bau war die Kooperation mit einem deutschen Industriepartner die wichtigste Voraussetzung“, erläuterte Brandtzaeg und zeigte erste Aufnahmen der am Rohbau montierten Fassade, die für helle Innenräume sorgt und bei Nacht das Gebäude zum „Glühen“ bringt.  

Die in Paris lebende Architektin Lisa Ghotmeh mit libanesischen Wurzeln plant und realisiert Bauten in verschiedenen Ländern und stets an besonderen Orten. Sie beeindruckte die Kongressteilnehmer mit der Präsentation des Estnischen Nationalmuseums in Tartu, das aus der Landebahn eines ehemaligen Militärflugplatzes heraus entwickelt wurde und sich trotz seiner großen Baumasse und einer markanten Geometrie harmonisch in die Umgebung schmiegt. „Die Stahlbetonkonstruktion besitzt eine zweite Haut aus Glas, deren geometrische Bedruckung traditionelle estnische Motive aufgreift. Die Fassade reflektiert so die Natur und die Weite der Landschaft“, erklärte Ghotmeh.

Einen völlig anderen Entwurfsansatz verfolgte sie beim Bau eines Wohnblocks in Beirut, bei dem die unregelmäßig angeordneten Fensteröffnungen gezielt Perspektiven auf die Stadt und die umgebende Landschaft einrahmen. Ghotmeh zeigte weiterhin die Gestaltung von Innenräumen eines Restaurants und einer Schokoladenboutique, bei denen Glaselemente und Möbel aus Glas verwendet wurden.

Tragende Kraft von Glas

Die Ingenieurin Lisa Rammig aus dem Londoner Büro Eckersley O’Callaghan beschäftigte sich mit tragenden Glaskonstruktionen. In ihrem engagierten Vortrag zeigte sie anhand der von ihrem Büro entwickelten Apple- Pavillons, dass die Verwendung von gläsernen Tragwerken immer weiter vorangetrieben werde – bis hin zu einem gläsernen Rundpavillon mit 60 Metern Durchmesser.  

Besonders intensiv widmete sich Rammig der Verbindungstechnik. „Wir wollen Glas mit Glas verbinden, nicht mit Metall. Wir wollen die Reinheit der Konstruktion. Metallverbinder für Glaselemente sehen aus wie Akne“, verdeutlichte sie ihren Entwurfsansatz. „Wir wollen neue Füge-, Verformungs- und Fertigungstechniken entwickeln wie das Schweißen, Kleben und den 3-D-Druck von Glas“, ergänzte Rammig und zeigte zahlreiche spektakuläre Anwendungen, darunter eine Rutsche und eine Wippe aus Glas. „Es ist wichtig, Ziele zu formulieren und dann gemeinsam mit der Industrie nach Lösungen zu suchen. Dann kommt man oft weiter als man denkt“, hob Rammig hervor.  

Durchblicke nach Außen

Dieter Henke und Marta Schreieck formulierten klassische Entwurfsgrundsätze für ihre Arbeit: Bauen für den Ort, der Gesellschaft verpflichtet, Schaffung öffentlicher Räume bei allen Bauaufgaben. „Und wir verwenden viel Glas, weil wir Innen- und Außenräume verbinden und Räume auflösen wollen“, ergänzte Marta Schreieck. Besonders deutlich wurde dies bei der Erweiterung des denkmalgeschützten Parkhotels in Hall/Tirol um einen vollverglasten Turmbau mit Gästezimmern und bei einem 180 Meter langen Riegel eines Fakultätsgebäudes in Innsbruck. Als bisher bedeutendstes Werk des Büros stellten Henke und Schreieck die Hauptverwaltung der Erste Bank in Wien für 4.500 Mitarbeiter vor. „Wir haben den städtebaulichen Ansatz so gewählt, dass viele Durchblicke möglich sind, keine Gegenüberstellung von Baukörpern entstehen und der öffentliche Raum durch den Komplex hindurchfließt“, erläuterte Dieter Henke. Marta Schreieck ergänzte: „Wir wollten die Transparenz des Rohbaus auch nach der Montage der Fassade erhalten. Mit mineralarmem Glas in der äußeren Fassadenebene ist das gelungen.“ Mit der Präsentation des viel beachteten österreichischen Pavillons bei der 16. Architektur Biennale in Venedig schlossen Henke und Schreieck ihren beeindruckenden Vortrag.  

Hybrid Glas-Holz

ALA Architects aus Helsinki sind in den vergangenen Jahren durch Großprojekte bekannt geworden, die durch die Verwendung von Glas und Holz geprägt sind. Mitgründer Juho Grönholm stellte das Theater im norwegischen Kristiansand als das erste dieser Bauten vor, das aus dem Gewinn eines Wettbewerbs hervorgegangen war. 

Nachdem mehrere weitere Wettbewerbsgewinne nicht umgesetzt worden waren, ging aus dem Gewinn des Verfahrens zur Erweiterung des Flughafenterminals in Helsinki erneut ein Realisierungsauftrag hervor. „Baubeginn wird Januar 2019 sein“, freute sich Grönholm. Das Entwurfskonzept einer frei geformten Holzfassade und großzügiger Verglasung wurde auch bei dem bisher größten Projekt von ALA Architects beibehalten: Die mutig gestaltete, im Bau befindliche Zentralbibliothek in Helsinki, inmitten einer Vielzahl ausgezeichneter Bauten gelegen, soll zum Ende des Jahres 2019 eröffnet werden. „Das Gestaltungskonzept ist schon fast zu einem Markenzeichen unserer Arbeit geworden“, so Grönholm.    

Glas in der Bestandsentwicklung

Über die Entwicklung der Fassade des neuen Nike Flagship Store an der 5th Avenue in New York City berichtete Daniel Vos von Heintges Consulting Architects & Engineers. „Das ‚recladding‘ von Bestandsbauten ist einer unserer Tätigkeitsschwerpunkte. Für den Nike Flagship Store wurde eine Glasfassade entwickelt, deren Elemente regelmäßige, schräggestellte Wellen und Kerben aufweisen, um die Dynamik und Innovationskraft des Unternehmens zu symbolisieren“, erläuterte Vos. Er berichtete ausführlich über Belastungstests und die Montage des Glases hinter dem von Vorhängen verdeckten Gerüst. Detailfotos der erst vor wenigen Tagen montierten Fassade markierten einen stimmigen Schlusspunkt des überaus gelungenen internationalen Architekturkongresses. Nahezu alle Teilnehmer nahmen im Anschluss die Möglichkeit wahr, die Messe Glasstec und insbesondere die Sonderschau „Glass Technoloy Live“ zu besichtigen, in der mehrere der in den Vorträgen behandelten Glaskonstruktionen im Original besichtigt werden könnten.

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