Internationaler Architektenkongress der AKNW diskutierte in Rotterdam die „Stadt 4.0“

„Die Stadt ist das Laboratorium unserer Gesellschaft.“ Diese Aussage von Prof. Dr. Armin Nassehi fasste die Vorträge und Diskussionen des diesjährigen Internationalen Architektenkongresses der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen (30.05.-03.06.2018) treffend zusammen.

04. Juni 2018von Christof Rose

Rund 250 Architektinnen und Architekten sowie Gäste aus der Politik, Verwaltung und Verbänden diskutierten am 31. Mai und 1. Juni 2018 intensiv in Rotterdam über das Thema „Stadt 4.0 - Fata Morgana oder Lösung“? Fachexkursionen durch Rotterdam, eine wachsende und sich baulich rasant entwickelnde Metropole von etwa 640 000 Einwohnern in einer Agglomeration von 1,4 Millionen Menschen, rundeten das Kongressprogramm ab.

Urbanität, so führte der Soziologe Prof. Nassehi weiter aus, bedeute im Kern „das bürgerliche Privileg, in Ruhe gelassen zu werden“. Anders als das Dorf sei die Stadt vom Element des Fremden durchwoben. „Wir leben mit Menschen, die wir nicht kennen, aber dennoch nicht fürchten müssen - das ist eine großartige kulturelle Leistung“, so Armin Nassehi. Deshalb müsse Stadtplanung darauf abzielen, Vielfalt zu ermöglichen, sowohl funktionell als auch sozial. Dass der Weg zu einer erfolgreichen Stadtentwicklung nicht durch starre Leitbilder vorgezeichnet werden solle, sondern durch interaktive Prozesse, stand für Prof. Dr. Werner Durth von der Architekturfakultät der TU Darmstadt fest.

In einer beeindruckenden historischen Analyse zeichnete Durth die wichtigsten städtebaulichen Entwicklungsschritte der europäischen Stadt nach und stellte dabei fest: „Das Verständnis von Stadt hat sich innerhalb von drei Generationen fundamental gewandelt.“ Nach seiner Einschätzung sind partizipative Stadtentwicklungsinstrumente wie die Internationalen Bauausstellungen (Berlin, Ruhrgebiet, Hamburg, Limburg) der richtige Ansatz, um Stadt im Dialog zwischen Planern, Interessengruppen und Bürgern gemeinschaftlich und Projekt-bezogen voranzubringen. Wichtig sei eine solidarische Stadtgesellschaft.

Stadt als resilientes System

Eine Argumentationslinie, die der Sozialpsychologe Prof. Dr. Harald Welzer (Europa-Universität Flensburg) weiterführte. „Planungsutopien haben historisch nie funktioniert - und dennoch haben die Städte überdauert.“ Das System Stadt habe sich als resilienter erwiesen als das Konzept Nationalstaat oder andere Systeme. Welzer warnte vor einer blinden Technikgläubigkeit, wie sie in dem Titel „Stadt 4.0“ zum Ausdruck komme. Der Mensch werde zunehmend durch „angeblich intelligente Technik“ fremdgesteuert. Eine Technik, die anfällig mache und die auch dazu führe, dass wir „trotz aller Smartness und Zukunftsfähigkeit ständig mehr Ressourcen verbrauchen und Müll produzieren, als mit Blick auf kommende Generationen verträglich scheint“. Hinsichtlich der Stadtentwicklung empfahl Prof. Welzer eine bewusste Pflege des öffentlichen Raumes. „Je digitalisierter unser Leben wird, desto analoger muss der Stadtraum werden“, so seine pointierte These.

Öffentlichen Raum schätzen

Auch der Architekturtheoretiker Prof. Dr. Fritz Neumeyer warb dafür, die Stadt als „kulturellen Schatz“ zu begreifen und zu pflegen. Die Aufgabe des öffentlichen Raumes werde bereits seit den 1960er Jahren beklagt und zeige sich in der Tendenz, öffentlichen Raum zu privatisieren. „Gewinnmaximierung war aber noch nie ein guter Ratgeber für Stadtentwicklung.“ Deshalb müssten die Verantwortlichen darauf achten, dass moderne Bauten nicht egozentrisch Raum verbrauchen, sondern Räume im Sinne der Stadt definieren.

Mit der ökonomischen Seite der europäischen Stadtentwicklung setzte sich auch die Berliner Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann auseinander. Sie machte deutlich, dass unser kapitalistisches System auf Wachstum angewiesen sei. Unser Konsum sei heute nicht mehr notwendig, um Bedürfnisse zu befriedigen, sondern um das System zu stabilisieren. Angesichts der Grenzen des Wachstums, die durch die Endlichkeit der natürlichen Ressourcen, durch Klima- und Umweltprobleme gegeben seien, müsse über eine Exit-Strategie nachgedacht werden. „Es kennt heute aber noch kein Ökonom einen Ausweg.“

Autos raus = Raum für Räder

Immer wieder wurden in den Vorträgen das Problem der Mobilität und insbesondere der Automobilverkehr in den Städten thematisiert. Der Berliner Umweltexperte Dr. Axel Friedrich warb für ein vollständiges Umdenken - weg vom Auto, hin zum Fahrrad. „Stellen Sie sich nur einmal vor, wieviel Baugrund und öffentlichen Raum wir gewinnen würden, wenn unsere Städte im Kern autofrei wären!“

Die behutsame Integration von Architektur in die Natur stellt für das indische Architekturbüro „Vastushilpa Consultants“ ein zentrales Planungsmotiv dar. Für das Büro des diesjährigen Pritzker-Preisträgers Balkrishna Doshi stellte der Büropartner Rejeev Kathpalia Erfahrungen aus indischen Metropolen vor. Er verband den Anspruch, dass Architektur dem sozialen Miteinander der Menschen dienen müsse, mit dem Ziel, ökologisch verträglich oder sogar förderlich zu bauen. 

Hadid, Christiaanse, Riedijk

Wie unterschiedlich das Verständnis von Stadt aus Sicht von Architekten und Stadtplanern sein kann, machten die Vorträge von Prof. Kees Christiaanse (KCAP Architects & Planners), Dr. Patrik Schumacher (Zaha Hadid Architects), Michiel Riedijk (Neutelings Riedijk Architects) und Mattjis van Ruijven (Leiter der Städtebauabteilung Rotterdam) deutlich.Kulturelle Impulse kamen vom Filmemacher Prof. Adolf Winkelmann, der Bloggerin Simone Gorosics und dem Bochum Autor und Kabarettisten Frank Goosen. Der "Inselkongress“ der Architektenkammer NRW, der diesmal in der Rotterdamer Schule für Schifffahrt und Transport an der Maas stattfand, versteht sich auch als dialogisches Forum für den Austausch zwischen Planungsbranche und Politik.

Mehrere Abgeordnete des nordrhein-westfälischen Landtags sowie Vertreter aus Kommunen und verschiedenen Verbänden der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft waren unter den Teilnehmern. Auch NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach war nach Rotterdam gereist, um vor den 250 Kongressteilnehmern ein Fazit unter ein Jahr schwarz-gelbe Landesregierung in Nordrhein-Westfalen zu ziehen: Mit der in diesem Sommer anstehenden Modernisierung des Bauordnungsrechts werde das Planen und Bauen in Nordrhein-Westfalen einfacher und schneller, zeigte sich Scharrenbach sicher. Eine zentrale Aufgabe für Land und Kommunen sei es, Baugrund bereitzustellen, um insbesondere mehr Wohnungsbau anzuregen. Dazu werde die Landesregierung sich in den nächsten Monaten noch intensiver der Entwicklung von Konversions- und Brachflächen in den Städten widmen. 

Grundproblem Boden

Außerdem müsse der Landesentwicklungsplan künftig auch ländlichen Städten und Gemeinden wieder Entwicklungspotenzial bieten. "Wir als Menschen gestalten unsere Städte, und wir wollen auch den digitalen Wandel aktiv gestalten", hob die Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen hervor. Die Baukultur sei ein wichtiger Entwicklungsfaktor für die Städte; sie müsse Antworten geben auf ökonomische, ökologische, soziale und bauliche Fragestellungen unserer Gesellschaft.

Highlights von MVRDV und OMA

Am dritten Kongresstag hatten die Teilnehmer die Gelegenheit, die Stadt Rotterdam mit dem Fahrrad oder zu Fuß zu erkunden und dabei von architektonisch geschulten Führerinnen und Führern viele Details über die wichtigsten neuen Gebäude der Stadt zu erfahren - u.a. mit Besuchen in der neuen Markthalle von MVRDV sowie einem Büro im 31. Stockwerk des Ensembles „De Rotterdam“ von Rem Koohlhaas‘ Office for Metropolitan Architecture (OMA).

Eine Gruppe besuchte zudem die Internationale Architekturbiennale Rotterdam, die am 1. Juni eröffnet wurde und sich - passend zum Kongress der AKNW - mit der nachhaltigen Entwicklung der Stadt befasst.„Wir fahren mit vielen Impulsen, Anregungen zu weiteren Diskussionen und Erkenntnissen zurück nach NRW“, zog der Präsident der Architektenkammer NRW, Ernst Uhing, ein erstes Fazit unter den erfolgreichen Kongress, der von der Journalistin und Moderatorin (u.a. WDR) Asli Sevindim moderiert wurde. 

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