AKNW-Vizepräsident Dr. Christian Schramm - Foto: privat

Kommentar: Was ist Ihr Ideal?

Das DAB nutzt die „Sommerpause“, um seine Leserinnen und Leser nach ihrer Vorstellung von „ideal“ zu befragen: Ob Architektur, Arbeit, Stadt, Theorien oder Personen: „Was ist Ihr Ideal“, will das Team um Chefredakteurin Dr. Brigitte Schultz wissen.

09. Juli 2020

Liebe Kollegin, lieber Kollege!

„Monotonie in der Südsee...“ Was die Berliner Band „Ideal“ 1981 auf ihrer LP „Der Ernst des Lebens“ besang, war damals für die meisten Deutschen ebenso unerreichbar wie heute wieder. Die Corona-Pandemie beschleunigt viele gesellschaftliche Prozesse, sie intensiviert auch manches. Zum Beispiel die „Sommerpause“, die politisch wie gesellschaftlich durch die Beschränkung von Reiseaktivitäten in diesem Jahr besonders ruhig ausfällt. Und Zeit für Muße und Reflexion bietet.

Das Deutsche Architektenblatt nutzt diese Phase, um seine Leserinnen und Leser nach ihrer Vorstellung von „ideal“ zu befragen: Ob Architektur, Arbeit, Stadt, Theorien oder Personen: „Was ist Ihr Ideal“, will das Team um Chefredakteurin Dr. Brigitte Schultz wissen. Die interessantesten Statements, Beispiele, Beschreibungen oder Gedanken sollen in der Oktober-Ausgabe unseres Deutschen Architektenblattes veröffentlicht werden.

Ich möchte die Einladung aus unserer Bundesredaktion zum Mitmachen gerne an dieser Stelle an Sie weitergeben. Denn die aktuelle Situation, in der wir uns in der anhaltenden Corona-Pandemie befinden, schärft das Bewusstsein für die Unwägbarkeiten des Lebens und bringt so manche lieb gewonnene Gewissheit ins Wanken.

Das betrifft uns als Architektur- und Planungsbüros genauso wie viele andere gesellschaftliche Gruppen und Bereiche. Nach der jüngsten Befragung der deutschen Architektinnen und Architekten, welche die Bundesarchitektenkammer im Juni durchgeführt hat, steht unser Berufsstand im Sommer 2020 noch relativ gut da. Allerdings äußert jeder zweite Befragte die Sorge, dass die Auftragslage in den kommenden Monaten einbrechen wird. Was also wären ideale Rahmenbedingungen, die uns helfen könnten, als – systemrelevante – Anbieter qualifizierter Planungsleistungen durch die Corona-Krise zu kommen?

Meine Eindrücke aus der Praxis der letzten Monate sind: Vor allem muss uns Planung ermöglicht werden. Dazu muss die öffentliche Hand jetzt investieren und die erheblichen Fördermittel, die auf Bundes- und Landesebene bereitgestellt werden, zeitnah und gezielt in Projekte übersetzen. Außerdem müssen die kommunalen Genehmigungsbehörden in die Lage versetzt werden, schnell und zuverlässig Baugenehmigungen zu erteilen. Der ideale Bauherr ist derjenige, der ein Ziel verfolgt und der seinen Architekten bzw. seine Architektin die vielen kleinen, notwendigen Planungsschritte voller Vertrauen umsetzen lässt.

Was zeichnet eine ideale Stadt aus? Auch dieses Thema hat in den hinter uns liegenden Wochen einen Wandel vollzogen. Das Ideal der hochverdichteten, pulsierenden europäischen Stadt wird mit Blick auf pandemische Ereignisse neu hinterfragt. Wir alle haben ein geschärftes Gespür für die Bedeutung des öffentlichen Raumes gewonnen, für Freiräume in der Stadt, für Fragen der Durchlüftung und Distanz. Unser Kammerausschuss „Stadtplanung“ befasst sich gegenwärtig intensiv mit der Frage, ob die städtebaulichen Ideale der letzten zwei Jahrzehnte für die Zukunft noch tragfähig sind. Was wir brauchen, sind jedenfalls konkrete neue Ansätze für mehr bezahlbaren Wohnraum, für eine zukunftsfähige Infrastruktur und Verkehrsgestaltung, für eine resiliente, lebenswerte Stadt.

Eine „Idealstadt“ haben schon antike Philosophen skizziert; seit Vitruv existieren Planungskonzepte dazu. Der Blick in die Architekturgeschichte zeigt aber, dass es die „ideale Stadt“ so wenig geben kann wie eine „ideale Architektur“. Schon allein deshalb, weil Anforderungen an beides sich kontinuierlich mit gesellschaftlichen Prozessen ändern. Gleichwohl bleibt es Aufgabe für uns Architektinnen und Architekten, nach den besten Lösungen für Planungsaufgaben zu streben. Dass dies nur in einem interdisziplinär arbeitenden Team gelingen kann, ist dabei keine neue Erkenntnis, sondern war vermutlich schon immer so – wenngleich die Geschichtsschreibung sich gerne auf einzelne Akteure („Idole“) konzentriert.

Was also sind Ihre Ideale? Machen Sie mit bei der DAB-Leserumfrage in diesem Sommer (auf www.dabonline.de, bitte bis zum 17. August 2020).

Die B-Seite der „Monotonie“-Single von Ideal heißt übrigens „Geheimnis der Großstadt“; hilft aber allenfalls zur Inspiration: Es handelt sich um ein Instrumentalstück.

Es grüßt Sie
Ihr

Dr. Christian Schramm
Vizepräsident der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen


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