Landschaftsarchitektentag: „Wir müssen stachelig sein!“

Städte sind gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels besonders anfällig; aktuelle Stichworte lauten „innerstädtische Hitzeinseln“ oder „Überschwemmungen infolge von Starkregenfällen“. Welche Konzepte und Ideen Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten als Antwort auf solche und andere neue Anforderungen geben können, war das Thema des diesjährigen Landschaftsarchitektentages der Architektenkammer NRW. Rund 150 Angehörige des Berufsstandes kamen ins Baukunstarchiv NRW nach Dortmund, um Thesen zu diskutieren und best-practice-Beispiele kennenzulernen.

09. September 2019von Dr. Frank Maier-Solgk

Die Gestaltung von urbanen Freiräumen gewinnt durch die Folgen des Klimawandels an Komplexität. Der Präsident der Architektenammer, Ernst Uhing, wies in seiner Begrüßung darauf hin, dass Plätze und Parks schon heute eine Vielzahl von kulturellen, sportlichen und sozialen Aktivitäten ermöglichen sollen. Wie alles zusammen denkbar und auf gestalterisch hohem Niveau miteinander zu vereinbaren sei, darüber gaben die Referate von vier deutschen und zwei niederländischen Landschaftsarchitekten und Fachleuten Auskunft. Eine Kernbotschaft der Tagung: Landschaftsarchitekten sollten über die Grenzen der Profession hinaus stärker in eine integrierte Stadtentwicklung hineinwirken. Mehr Mut und Widerspruchsgeist sind gefragt!

Multicodierte Räume
„Multicodierung“ lautet der meist verwendete Begriff für die Summe an Erwartungen und Funktionen, denen städtische Freiräume heute gerecht werden sollen. In seinem Impulsreferat nahm Karl-Heinz Danielzik, Landschaftsarchitekt aus Duisburg und Vorstandsmitglied der AKNW, die vorgegebene Situationsanalyse auf und entwickelte anhand von Beispielen die breite Phalanx an Aufgaben, die sich der Profession der Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten heute stellen muss. Neu zu gewichten seien Aspekte wie der Umgang mit Regenwasser, generell das Thema einer besseren „blaugrünen Infrastruktur“ sowie die Aufwertung von wassernahen Lagen durch eine verbesserte Aufenthaltsqualität. Noch mehr seien auch die veränderten Formen von Mobilität (Stichwort Radwegebegrünung) im Auge zu behalten. Grüne Oasen auf Plätzen schlössen zukünftig auch Ausstattungselemente wie Wassercontainer und Retentionsbecken ein. Die aktuelle Klimadiskussion habe dabei durchaus ihr Gutes, meinte Karl-Heinz Danielzik. „Vielleicht können die neuen Jugendbewegungen wie ‚Fridays-for-Future‘ dazu beitragen, den Mangel an Fachkräften bei Landschaftsarchitekten in der Zukunft zu beheben.“

Mehr Selbstbewusstsein
Angesichts der hohen gesellschaftlichen, medialen und politischen Bedeutung des Themas „Grüne Stadt“ dürfte es Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten eigentlich derzeit an Selbstbewusstsein nicht mangeln. Dass aber die konkreten Ergebnisse vor Ort oft nicht weit genug gingen, hänge, so Carlo W. Becker (BGMR Landschaftsarchitekten, Berlin), mit der Planungsrealität und einer immer noch zu geringen Interdisziplinarität zusammen. „Wie kommen wir als Landschaftsarchitekten besser in Bereiche wie den der ‚grauen Infrastruktur‘ hinein?“, fragte der Berliner Landschaftsarchitekt. Im Rahmen des Wettbewerbs für das Schumacher-Quartier Berlin-Tegel hat sein Büro einen „Leitplan Regenwasser und Hitzeanpassung“ entwickelt, der Regenwasser als Ressource nutzt, um es durch Speicherung und Verdunstung für die Kühlung des neuen Stadtquartiers einzusetzen. Das Ergebnis war ein abflussloses Stadtquartier. Eine Botschaft seines Referats: Ziel muss sein, die graue Infrastruktur grüner zu machen und über den Bereich der Freiraumgestaltung hinaus stärker auch in Bereiche wie Gebäude- und Straßenbegrünung hineinzuwirken. „Wir müssen uns insgesamt gesellschaftlich stärker zu Wort melden und stacheliger sein“, appellierte Dr. Carlo Becker an den Berufsstand.

Politische Prozesse
Hannah Schubert (b+b urbanism and landscape, Amsterdam) führte das Publikum in ihrem Vortrag unter anderem nach Hilversum, Wien und Velsen. Projekte der Begrünung von Straßenzügen in Form von beidseitiger Baumbepflanzung wie im Fall einer zentralen, bisher vom Autoverkehr dominierten Einkaufsstraße in Wien oder einer zentralen Straße einer bisher eher gesichtslosen holländischen Kleinstadt machten anschaulich, was Straßenbegrünung mit Bäumen im Hinblick auf die Identität einer innerstädtischen Situation und für die Aufenthaltsqualität im Stadtraum leisten kann. Darüber hinaus machte Hannah Schubert deutlich:

Größere Umgestaltungsprozesse in Richtung shared space mit einem höheren Anteil an öffentlichen Räumen, die Fußgängern vorbehalten sind, sind nicht zuletzt politische Prozesse, bei denen nur durch Bürgerbeteiligung, durch Argumentieren und durch Testverfahren im Maßstab 1 : 1 die häufig anzutreffende Skepsis oder gar Anfeindungen („Rotgrüner Verkehrswahnsinn“) zu überwinden sind. In Wien, so berichtete die junge Landschaftsarchitektin, sei die anfängliche Skepsis gegenüber der vollständigen Umgestaltung einer verkehrsreichen Straße im Laufe des Prozesses einer 70-prozentigen Zustimmung gewichen. „Lasst uns intensiv mit den Bürgerinnen und Bürgern reden“, riet Hannah Schubert.

Insel der Natur
Für Christian Dobrick (West 8, Rotterdam) muss es der Anspruch von Landschaftsarchitekten sein, die „Anforderungen der Nachhaltigkeit zu erfüllen und gleichzeitig ein Potenzial von Poesie zu behalten“. Ein Ort, der diese doppelte Zielsetzung vor Augen führte, ist die unmittelbar vor der Spitze Manhattens gelegene Insel Governors Island, die ehemals als Armeestützpunkt diente und nun in eine Parklandschaft transformiert werden sollte. Befragungen der Bevölkerung und ausgedehnte Standortanalysen gingen den Master- und Umsetzungsplänen voraus, die inzwischen weitgehend abgeschlossen sind. Das Ergebnis ist eine naturnahe, nur zwischen Wasser und Himmel gelegene Inselwelt, die die Stadt vergessen machen soll. Der Hauptteil der Umgestaltung bestand aus einer teilweise an den Prinzipien des historischen englischen Landschaftsparks orientierten, abwechslungsreich gestalteten Parklandschaft, für deren neue Topografie die Verwendung des Bauschutts entscheidend war, der durch den Abriss der früheren Kasernen und einfachen Nutzbauten angefallen war.

Auch hierfür waren verschiedene Nachhaltigkeitsgesichtspunkte ausschlaggebend: Die bis auf 20 Meter Höhe ansteigenden Hügel, die neben spektakulären Ausblicken auch für Kinder die Möglichkeit sportlicher Aktivitäten vorhalten, stellen sicher, dass die Insel zu einem erheblichen Teil ihrer Fläche über das Überflutungslevel gehoben wird. „Das war ein ganz entscheidendes Argument für unsere Gestaltung, weil an der amerikanischen Ostküste immer mit Überflutungen infolge des Anstiegs des Meeresspiegels und von Hurrikans zu rechnen ist“, erläuterte Christian Dobrick. Er plädierte im Übrigen für eine engere Zusammenarbeit der Fachdisziplinen, um den Folgen des Klimawandels landschaftsarchitektonisch, infrastrukturell, bautechnisch und in angemessener Ästhetik begegnen zu können.

Mehr Bäume
Eine unverzichtbare Funktion für resiliente und zugleich attraktive Stadträume spielen Bäume. Bernhard von Ehren, geschäftsführender Gesellschafter der Baumschule Lorenz von Ehren in Hamburg, zeichnete zunächst ein düsteres Bild der Situation des Baumes in Deutschland. Nicht nur verliere Deutschland täglich zwischen 30 und 50 Hektar an Naturfläche; auch die meisten Städte wiesen heute eine negative Baumpflanzquote auf. „Es gehen einfach mehr Bäume verloren, als nachgepflanzt werden.“ Bedauerlich sei ferner, dass manche aufwändige neue Platzgestaltung ganz ohne Bäume geplant würde. Besonders aber der Raum, der Bäumen innerstädtisch zur Verfügung gestellt würde, sei stark verbesserungswürdig: Ein fünf Meter hoher Baum benötige eigentlich ca. 12 Kubikmeter im Wurzelbereich - und bekomme doch oft nur drei bis sechs Kubikmeter Raum für die Entwicklung seines Wurzelwerks. Von Ehren plädierte zudem für mehr Artenvielfalt; viele nichtheimische Bäume seien für die klimatischen Stressfaktoren, wie sie heute in Städten anzutreffen sind, besser gewappnet als Linde, Ahorn oder Buche. Seine Empfehlung für „Klimabäume“: Zirbelbaum, Ginkgo, Geweihbaum, Gleditsia, Lebensbaum und andere. „Bäume sind die besten Klimaschützer, die wir haben“, resümierte der Hamburger Kaufmann. „Leute, lasst uns endlich mehr Bäume pflanzen!“

Wasser macht Stadt
Antje Stokman, Professorin für „Architektur und Landschaft“ an der HafenCity Universität Hamburg, sah in Wasserlagen ein hohes Potenzial für neue sozial genutzte Landschafts- bzw. Freiräume; zwei Drittel aller Megacities nämlich lägen in Küstenregionen. In Hamburg, dessen Tidenhub sich infolge der Eindeichung und der Elbevertiefung in den letzten Jahren mehr als verdoppelt habe, ginge es zukünftig vor allem darum, die starre Trennung zwischen Flussraum, Schutzraum und dem Stadtraum zu überwinden. Die Stadt müsse auf die stärkeren Wasserdynamiken flexibler reagieren und auch die Deiche selbst über ihre Schutzfunktion hinaus als gestaltete Landschaftsräume in den Blick nehmen. „Wir müssen lernen, den Raum mit dem Wasser zu teilen“, so Prof. Stokman. Ihre Erfahrungen im Zusammenhang mit einem gewonnenen Wettbewerb für den Deichpark Spreehafen zeigten, dass auch hier neue Formen der Zusammenarbeit unterschiedlicher Disziplinen und ein Prozess behörden-übergreifender, wasserbezogener Stadt-entwicklung zu forcieren sei. Auch in die-sem Fall lautete die Botschaft für die Land-schaftsarchitektinnen und Landschaftsar-chitekten: „Grenzüberschreitungen und neue Kooperationen sind das Gebot der Stunde.“   

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