Neue Impulse für das Wohnen

Liebe Kollegin, lieber Kollege! Was ist in diesem heißen Sommer 2018, der hinter uns liegt, diskutiert worden? Rechtsextremismus, Flüchtlingspolitik, Rentensicherheit. Sozialpolitische Fragen, die die Menschen in unserem Land tief beschäftigen und bewegen.

14. September 2018

Was wir vermissen, ist eine emotional-intensive Debatte über das Problem mangelnden bezahlbaren Wohnraums. Ich denke, die drei genannten Themen resultieren in ihrer Heftigkeit auch aus der sozialen Unsicherheit vieler Menschen, die sich nicht mehr sicher sein können, sich morgen noch ihre Mietwohnung leisten zu können.
Seit Jahren wird ein Mangel an Wohnungen in unseren Schwarmstädten beklagt; in jüngster Zeit weitet sich das Problem auch massiv in Städte aus, deren Wohnungsmärkte früher als „entspannt“ galten. Ich verfolge als Einwohner des Ruhrgebiets seit Jahren, dass auch in meiner Region viele Menschen keine passenden Wohnungen finden. Ältere Mitbürger, Alleinstehende und große Familien, neuerdings auch zunehmend Studierende. Es ist deshalb richtig, dass die Landesregierung nun mit einer „Baukostensenkungskommission“ versuchen will, den Wohnungsbau auch für private Investoren wieder attraktiver zu machen. Die Architektenkammer NRW wirkt deshalb gerne in dieser Kommission mit.
Die Baukosten sind sicherlich nur eine Stellschraube, an der es zu drehen gilt. Zentral bleibt das Problem des mangelnden Baulandes. Und zwar nicht auf der grünen Wiese, die nämlich auch nicht unendlich groß ist, sondern in den Städten. Ich will hier nicht nach mehr Geld für die Wohnungsbauförderung rufen; diese ist mit insgesamt rund
1,1 Milliarden Euro im Jahr in Nordrhein-Westfalen eigentlich gut ausgestattet. Es geht mir eher darum, mehr Experimentierfreude zuzulassen und neue Wege zu erproben. Mit der Definition des „urbanen Mischgebiets“ und den Regelungen unserer neuen Landesbauordnung NRW ist hier manches möglich geworden. Es ist an den Auftraggebern und an uns Architekten und Stadtplanern, diese Möglichkeiten nun auch konsequent auszuschöpfen.
Ich denke daran, dass im Zuge von Sanierungsmaßnahmen an älteren Gebäuden vermehrt aufgestockt und angebaut werden müsste. Mitte dieses Monats findet in Köln wieder der „Europäische Kongress zum urbanen Bauen mit Holz“ statt, auf dem in einem Forum der Architektenkammer Kolleginnen und Kollegen aus dem In- und Ausland aktuelle Beispiele des Wohnungsbaus mit dem Werkstoff Holz vorstellen werden – darunter hohe Wohnbauten und modulare Bausysteme.
Richtig scheint mir auch der Ansatz, dass heute wieder große Unternehmen als Investoren im Wohnungsbau auftreten. Ob nun Supermärkte ihre Waren in zentraler Stadtlage mit kombiniertem Wohnungsbau verkaufen oder große Arbeitgeber wieder (auch das kennen wir bestens im Ruhrgebiet) in klassischen Werkswohnungsbau investieren, um qualifizierte Arbeitskräfte anzuwerben und zu halten – entscheidend ist, dass es vorangeht!
Wir blicken in diesem Jahr vielfach zurück auf geschichtliche Ereignisse. Als wir am 13. und 14. September auf dem Welterbe Zeche Zollverein gemeinsam mit unseren Partnern im Landesverbund „100 jahre bauhaus im westen“ über die Bedeutung dieser Architekturschule für unsere heutige Zeit dDieiskutiert haben, wurde vielfach auf die Innovationskraft abgehoben, die sich in der Architektur spiegelte und die auch von der Architektur und vom Städtebau jener Jahre ausging. Die Wohnsiedlungen von Gropius, Taut, Riphahn und van der Rohe waren in ihrer Zeit revolutionär – und funktionieren städtebaulich bis heute. Das gilt auch für viele Wohnsiedlungen der Nachkriegsmoderne, die teilweise von unserer Landesinitiative StadtBauKultur NRW mit dem Projekt „Big Beautiful Buildings“ ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zurückgerufen werden.
Solche Innovationswellen werden durch gesellschaftliche Umbrüche ausgelöst; ein solcher Umbruch ist in unserer gegenwärtigen, weiter prosperierenden Republik allen Schlagzeilen zum Trotz wohl nicht zu diagnostizieren. Die Lage auf dem Wohnungsmarkt, das Volksvermögen und die weiterhin niedrigen Bauzinsen legen es aber nahe, heute wieder Experimente im Wohnungsbau zu wagen – seien sie im Schwerpunkt bautechnisch, sozial oder investiv.

Das wünscht sich mit kollegialen Grüßen
Ihr

Dr. Christian Schramm

Vizepräsident derArchitektenkammer Nordrhein-Westfalen

schramm@aknw.de

 

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