„Planungsleistungen werden in Deutschland von Architektinnen und Architekten erbracht!“

Ein Interview mit Ernst Uhing, Präsident der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen, zum "HOAI-Urteil" des EuGH, das sich Anfang Juli jährt.

30. Juni 2020
Ernst Uhing, Präsident der Architektenkammer NRW - Foto: Ingo Lammert

Anfang Juli jährt sich das „HOAI-Urteil“ des EuGH, in dem die bis dahin geltende Verbindlichkeit der Höchst- und Mindestsätze für Planungsleistungen für europarechtswidrig erklärt wurde. Ist die HOAI damit nun irrelevant geworden?
Richtig ist, dass die Richter am EuGH Teilen der HOAI eine fehlende Europarechtskonformität attestiert haben und damit das gesetzliche Verbot, die Honorarsätze zu unter- bzw. zu überschreiten, beanstandet haben. Wichtig ist aber zu betonen, dass der EuGH nicht die HOAI als solche oder die Höhe ihrer Honorarsätze beanstandet hat; lediglich die Verbindlichkeit der Mindest- und Höchstätze war dem höchsten europäischen Gericht ein Dorn im Auge. Mit anderen Worten: Die HOAI gilt selbstverständlich weiterhin. Sie ist und bleibt damit ein verlässliches Fundament für die Arbeit unseres Berufsstandes, und sie bildet nach wie vor einen verlässlichen Rahmen in der Kommunikation mit den Bauherren.        

Welche Bedeutung kommt diesem Urteil nach nun gut einem Jahr in der tagtäglichen Praxis der Planerinnen und Planer zu?
Bisher hat sich das Honorar des Architekten nicht zuletzt aufgrund der eindeutig definierten Leistungsbilder in der HOAI quasi von selbst ergeben. Auftraggeber und Auftragnehmer hatten ein Höchstmaß an Transparenz, Verhandlungen über Planungs- und Bauabläufe fanden auf Augenhöhe statt. Dies hat sich mit dem Urteil geändert, jetzt muss das Honorar individuell verhandelt werden. Sicherlich waren Vertragsverhandlungen insgesamt einfacher, als es in Honorarfragen nach oben und nach unten klare Begrenzungen gegeben hat. Aber wir stellen auch fest, dass Architekturbüros durch die fehlenden „Obergrenzen“ auch stark profitieren können.

Welche konkreten Auswirkungen hat das Urteil nach Ihrer Einschätzung auf die Qualität des Bauens und den Verbraucherschutz?
Ich bin nach wie vor der Auffassung, das gute und qualitätvolle Planung ihren Preis haben muss, und dass qualitätvolles Planen und Bauen Grundvoraussetzungen für den Schutz des Verbrauchers bilden. Ich bin guter Dinge, dass sich unsere Kolleginnen und Kollegen ihres Wertes und des Wertes ihrer Arbeit bewusst sind und sich - trotz der derzeitigen besonderen wirtschaftlichen Situation - nicht auf ein „Preisdumping-Spiel“ einlassen. Der Preis allein darf nie die Maßeinheit für gute Architektur sein. Nicht der Preis, sondern Qualität und Leistung müssen entscheiden.     

Der EuGH hat in seinem Urteil moniert, dass in Deutschland Planungsleistungen auch von Personen ohne den Nachweis einer entsprechenden fachlichen Eignung erbracht werden dürfen. Was muss in Ihren Augen geschehen, um die Inkohärenz des Planungsmarktes aufzulösen?
Ich mache keinen Hehl daraus, dass uns die Argumentation des EuGH in dieser Frage doch ein wenig überrascht hat. Denn der EuGH hat ja nicht gesagt, der deutsche Planungsmarkt sei überreguliert. Im Gegenteil: Er hat festgestellt, dass in Deutschland eigentlich „jeder“ Planungsleistungen erbringen darf und das als „Inkohärenz“ bezeichnet. Urteil und Begründung sind mittlerweile ausgiebig analysiert worden, und es geht nun darum, den Markt der Planungsleistungen insgesamt zu ordnen und auf Dauer die rechtlichen Lücken zur Beseitigung der vom EuGH festgestellten Inkohärenz zu schließen. Dies ist beileibe kein leichtes Unterfangen.

Aber auch hier gibt es Grenzen und rote Linien, hinter die wir nicht zurückfallen werden: Planungsleistungen erfordern eine besondere Fachkunde und müssen entsprechend qualifizierten Personen vorbehalten sein. Dazu gehören eine umfassende, ganzheitlich ausgerichtete Ausbildung, eine qualifizierte Berufszulassung und eine kontinuierliche und regelmäßig überprüfte Fortbildung unter Einhaltung hoher berufsethischer Standards – all dies gilt für unseren Berufsstand. Um es klar zu sagen: Planungsleistungen müssen in Deutschland qualifizierten Planerinnen und Planer zugeordnet werden. Das sind für mich in erster Linie Architektinnen und Architekten der entsprechenden Fachrichtungen.

Sie setzen sich gemeinsam mit der Bundesarchitektenkammer berufspolitisch für die Beseitigung der vom EuGH festgestellten Inkohärenz ein. Wo stehen wir hier derzeit im Verfahren, wann kann der Berufsstand möglicherweise weißen Rauch erwarten?
Der Ball liegt hier derzeit bei der Bundesregierung, die – und auch dank unserer interessenspolitischen Hintergrundarbeit – mehrfach zugesagt hat, die HOAI als Regelwerk grundsätzlich erhalten zu wollen. Daran werden wir Berlin messen.

Das federführende Bundeswirtschaftsministerium hat nun einen ersten Referentenentwurf vorgelegt, der die Anpassung der bestehenden Rechtslage an die Vorgaben des „HOAI-Urteils“ zum Ziel hat. Gemeinsam mit der Bundesarchitektenkammer werden wir uns nun in den anstehenden Gesetzgebungsprozess einbringen. Sollte dies gelingen, wäre ein wichtiger erster Etappenschritt erreicht. Der nächste Schritt wäre die Beseitigung der Inkohärenz auf dem deutschen Planermarkt. Dafür treten wir ein. Ein Selbstläufer ist das allerdings nicht. Wir werden ganz dicke Bretter bohren müssen.

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