Revisited: Der Lange Eugen wird 50

Der UN-Campus am Bonner Rheinufer ist exterritoriales Gelände. Wo die Abgeordneten des Bundestages früher zwischen den Sitzungssälen des alten Bundeshauses und den Büros im „Langen Eugen“ die sogenannte „Bonner Republik“ belebten, agiert heute eine 1000-köpfige, erkennbar internationale Angestelltenschar. Englisch ist Verkehrssprache, der Bundesadler wird allenthalben vom hellblauen UNO-Signet überstrahlt. Und es wird gebaut: Am 3. Juni 2019 fand das Richtfest für einen 17-geschossigen Hochhausneubau statt, in dem weitere 330 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Vereinten Nationen arbeiten werden (Stefan Lippert Architekten, Berlin). Inoffizieller Name des schlanken, 65 Meter hohen Büroturms: „Kurzer Eugen“, eine Reverenz an den „Langen“ Kollegen gegenüber, das ehemalige Abgeordnetenhaus, welches Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier in der damals viel diskutierten Hochhausversion durchgesetzt hatte. 1969, vor 50 Jahren, nahm das Haus seinen Betrieb auf.

01. Juli 2019von Dr. Frank Maier-Solgk

Heute ist der „Lange Eugen“ das Herz des Campus; die meisten der aktuell 19 „UN-Sekretariate“ haben hier ihre zentralen Büros, von denen aus die „Bekämpfung der Wüstenbildung“, der „Erhalt der wandernden, wild lebenden Tierarten“ oder die „Erhaltung der europäischen Fledermauspopulationen“ koordiniert werden und über das „Rahmenübereinkommen über den Klimawandel“ gewacht wird.

Seit dem Jahr 1951 ist Bonn Sitz einer UN-Niederlassung, seit Gründung des Campus 2006 jedoch ist es der wichtigste Standort der Vereinten Nationen, was das Thema Umwelt angeht. Und der Bau selbst? Ein 114 Meter hoher, 32-geschossiger, im Geist der Internationalen Moderne gehaltener rechteckiger Hochkantblock aus Glas und Stahl, eine Art europäisches Pendant zum UN-Hauptquartier in New York (1951).

Ähnlich wie dieses ist es vertikal in drei Abschnitte gegliedert, durch Egon Eiermanns vorgehängtes Gitternetz aus weißen Lamellen, Stahlblechkonsolen und Stahlbetonhalterungen jedoch auch in der Tiefe strukturiert: Hinter der filigranen Haut lassen sich sogar die aus Teakholz ausgeführten Fenster erkennen. Auch die Platzierung des Gebäudes erscheint subtiler als beim Mutterbau in den USA. Nicht frontal, sondern mit der Schmalseite weist der Bau zum Fluss. Nach Süden in Richtung Siebengebirge liegen die Büros, nach Norden die Sitzungssäle, ganz oben thront das Restaurant, von dem der Blick bei gutem Wetter auch den Kölner Dom erfasst.

Was Egon Eiermann hier Mitte der1960er Jahre für Bonn entworfen hatte, war damals bewusst als Provisorium geplant worden, das später auch anderen Nutzungen offenstehen sollte; eine entsprechende Klausel des provisorischen Hauptstadtstatus‘ Bonns wegen stand im Planungsauftrag. Dennoch entwickelte sich das Gebäude mit den Jahren zum baulichen Symbol der sich etablierenden Hauptstadt Bonn, vollzog quasi den „Schritt von der architektonischen Bescheidenheit zur baulichen Repräsentanz“. Um den Eindruck von Massivität zu vermeiden, verzichtete Eiermann auf Stahlbeton. Lediglich der Versorgungskern wurde in Beton ausgeführt. Die Abgeordnetenbüros sind an den Außenseiten der Etagen angeordnet und folgen dem Raster der Stahlskelettkonstruktion von 3,75 m Breite.

1979 erfolgte aus Brandschutzgründen der Bau eines äußeren Fluchttreppenhauses, das die Rechtwinkligkeit des Baus allerdings konterkariert. Dafür hat man bei der zwischen 2002 und 2006 durchgeführten Sanierung, bei der die Verglasung der Fassade aus Wärmschutzgründen komplett erneuert wurde (HPP Architekten, Düsseldorf), viele der Details im Inneren denkmalgerecht und in Absprache mit den Erben Eiermanns erneuert: Die Fliesen des Foyers wurden damals nachgebrannt; der karierte Teppichboden des Restaurants gar in England neu gewebt, weil in Deutschland ein passender Webstuhl nicht zu finden war.

Auch das Mobiliar und die zur Unterteilung der Etagenfoyers entworfenen Paravents vermitteln den westlich-international orientierten Geist jener Jahre. Der Lange Eugen war und ist erkennbar also eine internationale Erscheinung. Dass er heute in einem politischen Nutzungs- und Funktionsrahmen steht, der internationale Kooperationen im Programm führt, erscheint als glückliche Fügung der Geschichte. Eine Geschichte, die erfreulicherweise auch nach 50 Jahren nicht abbricht.

Der „kurze Eugen“, der mit vier zweigeschossigen Wintergärten die Natur ins Innere holt, höchsten ökologischen Standards genügen soll und das Umweltthema der UN somit auch architektonisch unterstreicht, soll im Laufe des kommenden Jahres bezugsfertig sein.

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