Stadtplätze heute - Überlegungen anlässlich der Ausstellung # AUF DIE PLÄTZE!

Stadtplätze gelten als Mikrokosmos des Urbanen, als Sinnbild der europäischen Stadt. Diesen Ruf haben sie sich bis heute erhalten, allen Prognosen zum Trotz, die vom Verlust der Öffentlichkeit zugunsten von Gentrifizierung und Kommerzialisierung sprachen, oder von der Verlagerung des Öffentlichen in den Raum digitalisierter Lebensbereiche. Zynischerweise haben die jüngsten terroristischen Anschläge diese traditionelle Rolle öffentlicher Stadträume nur bestätigt: Die Ramblas in Barcelona, Kölns Domplatte zu Silvester, der weihnachtliche Breitscheidplatz in Berlin, der Platz vor Westminster in London oder Nizzas Promenade waren nicht nur deshalb Anschlagsziele, weil die Orte stark frequentiert wurden. Sie galten ihnen auch als symbolische Orte. Auf einer der größten Demonstrationen der letzten Jahre versammelten sich Anfang 2015 mehrere Hunderttausend Menschen, darunter eine Vielzahl von Politikern, auf der Pariser Place de la Republique, um hier, auf einem kurz zuvor erneuerten zentralen Stadtplatz, die offene, westlich geprägte Zivilgesellschaft zu verteidigen.

05. September 2017von Dr. Frank Maier-Solgk

Stadtplätze sind daher in vieler Hinsicht politische Orte, und vermutlich ist dies auch der Grund, warum Gestaltungsdiskussionen oftmals kontrovers verlaufen. Stadtplätze verknüpfen architektonisch-gestalterische mit gesellschaftspolitischen Fragen. Hier werden Fragen nach dem Stand des Öffentlichen und der Kommerzialisierung ausgetragen, hier stellen sich Fragen der Sicherheit und der Überwachung (in Köln wurden soeben neue Poller und Sperren auf der Domplatte installiert), und hier bietet sich mehr als andernorts Spielraum für politische Entscheidungen – von der Verkehrs- bis zur Klimapolitik.

In Deutschland tut man sich nicht nur aus historischen Gründen mit der Gestaltung von Plätzen schwer. Zahlreiche prominente Beispiele sind Dauerbaustellen der Diskussion: Über den Gustav-Gründgens-Platz vor dem Düsseldorfer Schauspielhaus wurde über Jahrzehnte diskutiert, ohne eine vernünftige Lösung zu finden. Nicht weniger problematisch erwies sich die Kölner Domplatte. In beiden Fällen darf man auf die anstehenden Lösungsversuche gespannt sein.

In Berlin bieten die Lösungen an Potsdamer Platz und Alexanderplatz eher Anlass zur Kritik, als dass man den Verkehrsarealen zwischen den entstandenen oder entstehenden Hochhaustürmen Platzqualität nachsagen könnte. Die Bahnhofsvorplätze deutscher Großstädte, um diesen urbanistisch nach wie vor wichtigen Typus zu betrachten, demonstrieren vor allem die Schwierigkeit der Planer, mehrere Funktionen miteinander in Einklang zu bringen.  Der vor einigen Jahren erneuerte Bahnhofsplatz in Hannover demonstriert dies nicht weniger als die Bahnhofsplätze von Frankfurt am Main, Bonn, München oder Duisburg.

Neue Strategien in Europa


Sucht man international nach neuen Tendenzen urbaner Freiraumgestaltung, so zeigen sich in der Tat gemeinsame Ansatzpunkte. Sie dokumentieren vor allem, dass es eines politischen Ansatzes bedarf, um zu Paradigmenwechseln zu gelangen. Es sind dies Verkehrsberuhigung, Begrünung, Vernetzung und Bürgerbeteiligungen, die derzeit und in Zukunft die Rahmenbedingungen vorgeben.

Mailand. Platzgestaltung erfolgt hier zunehmend im Rahmen urbaner Gesamtstrategien, die sich in vernetzten, überwiegend grün geprägten Anlagen konkretisieren. Der Scope dieser Strategien ist dabei denkbar breit: Eine weit ausholende Dimension eines urbanen Masterplans erreichen die seit mehreren Jahren maßgeblich unter Regie des Duisburger Landschaftsarchitekten Prof. Andreas Kipar in Mailand entwickelten grüne Strahlen (raggi verdi). Beispielhaft ist die Entwicklung des Viertels Porta Nuova Garibaldi, dem von Hochhäusern dominierten neuen Finanzviertel der Stadt, das sich vom Zentrum ausgehend in Richtung der Randbezirke erstreckt. Die neu gestalteten verkehrsfreien Plätze und Wege sind Bausteine eines vernetzten Systems, das Freiräume miteinander verbindet und per Fuß oder Fahrrad begehbare Bezüge und Sequenzen einschließ-lich neuer Innenhöfe innerhalb der Stadt schafft; die Leitidee ist die einer „permeablen Stadt“. Sie soll (nach Kipar) eine lange vergessene urbane Qualität in eine hektische Stadt der Betriebsamkeit integrieren.

Paris. Viele europäische Metropolen experimentieren derzeit damit, ihre Innenstädte vom Verkehr zu befreien. Oslo ist die erste europäische Großstadt, die mit einem radikalen Autoverbot den Abgasausstoß drastisch senken will. Kopenhagen, 2014 Umwelthauptstadt Europas, will bis 2025 klimaneutral sein und hat seit zehn Jahren radikal auf Fahrradverkehr statt Autoverkehr gesetzt. 36 % der Bewohner der dänischen Hauptstadt nutzen das Fahrrad, um zur Arbeit zu gelangen.

Auch Paris verfolgt seit Jahren umweltpolitisch ehrgeizige Umbaupläne. Die Entwicklung bestand neben verkehrlichen Maßnahmen (neue Straßenbahnen, Verengung der Straßen, Fahrradstationen) schon seit den 1980er Jahren in Großprojekten wie der vermehrten Schaffung neuer Parkanlagen und derzeit einer Verlängerung der zentralen Ost-West-Achse von Paris, die als begrünter Streifen über La Defense und die Stadtgrenze hinaus weit bis ins Umland führen soll. Die jüngsten Pläne der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo scheinen diese Strategie noch weiter zu verstärken. Der neue Klimaschutzplan sieht in den nächsten 35 Jahren eine Reduktion der Treibhausgasemission um 75 Prozent vor. Die weitere Entfernung des Autoverkehrs und eine erhebliche Zunahme der Stadtbegrünung sind zwei der entscheidenden Maßnahmen, um dieses Ziel zu erreichen. Bis 2020 ist die Installation von einer Million Quadratmetern Dach- und Fassadenbegrünung vorgesehen, die grüne Umwandlung der stillgelegten Bahntrasse „Petite Ceinture“, der Bau von 20 Hektar neuen Grünflächen, vor allem aber – was die Schaffung von öffentlichen Räumen betrifft – die Umwandlung von bisherigen Verkehrsstraßen in sogenannte „rues vertes“. Diese sollen neben einer zusätzlichen Bepflanzung mit Bäumen ein neues Kopfsteinpflaster erhalten, das in seinen Fugen zukünftig Pflanzenwachstum erlaubt.

Diese und andere Maßnahmen dienen dazu, den erheblichen städtischen Wärmeinsel-Effekt in Paris zu reduzieren, der 2003 bei einer Hitzewelle zum Tod hunderter älterer Menschen geführt hatte. So setzt man nun auf Bäume, die bekanntlich nicht nur Schatten bieten, sondern Kohlenwasserstoffe emittieren, Staub und Feinstaub binden und aufgrund der Verdunstung die Lufttemperatur reduzieren können. 20 solcher grünen Straßen sollen in den nächsten Jahren entstehen, pro Arrondissement eine. Wodurch sich die aktuelle Maßnahme als Nachfolge des Haussmannschen Stadtumbaus entpuppt, der im 19. Jahrhundert den Bau von 20 grünen Stadtteilplätzen anordnete, die bis heute als stille grüne Inseln zum Bild der französischen Hauptstadt gehören.

New York: Alle 15 Minuten ein Platz


Auch in Big Apple spielen Grünanlagen eine wichtige Rolle in der städtebaulichen Erneuerung der Freiräume. Die erfolgreichste Maßnahme der letzten Jahre war fraglos die 2015 erfolgte Umwandlung der ehemaligen Güterzugtrasse in den grünen Spazierstreifen der Highline, die jährlich von fünf Millionen Menschen besucht wird. Zukünftige Großmaßnahmen der Stadtentwicklung sehen vor allem die Entwicklung der Uferbereiche an Hudson und East River vor. Interessant ist aber im Ansatz auch das seit ein paar Jahren initiierte NYC-Plaza-Program, welches das New York City Department of Transportation aufgelegt hat: Lokale non profit-Einrichtungen wurden eingeladen, Vorschläge zur Verbesserung vernachlässigter öffentlicher Platz- und Straßensituationen zu machen. Die Vorschläge wurden anschließend durch ein Expertengremium beraten und dann von der Stadt umgesetzt. Das Programm ist Kernstück des Versuchs, allen New Yorkern im Radius von 15 Gehminuten eine qualitativ hochwertige städtische Platzsituation anbieten zu können.

Der Albee Square in Downtown, Brooklyn, zum Beispiel, bisher nicht viel mehr als ein Stück Vorplatz am Rande des Schnittpunkts zweier Straßen, erhielt eine im Aufwand zwar offenbar beschränkte, aber angepasste, stark nutzerorientierte Neugestaltung, die hier wie sonst häufig auch die Kenntnis der Örtlichkeit verraten: Sitzgelegenheiten, ein Café, ein Pavillon, Raum für kleinere Veranstaltungen, viel mehr ist es nicht. Und doch haben diese Maßnahmen zur Aufwertung und Belebung des Ortes geführt, der Steigerung seiner Wertschätzung, vielleicht manchmal  überhaupt auch erst der Wahrnehmung von Qualitäten innerstädtischer Platzsituationen.
 
Verkehrsplätze


Die Nischen des öffentlichen Raums sind das eine. Aber es gibt natürlich auch die großen, die repräsentativen Plätze. Die Place de la République, mit 120 x 300 Metern der zweigrößte Platz von Paris und einer ihrer verkehrstechnisch wichtigsten Räume, war vor der 2013 abgeschlossenen Sanierung ein übergroßer Verkehrs-Knotenpunkt, an dem drei Arrondissements aneinandergrenzen; wo fünf Metro-Linien, vier Buslinien und sieben Verkehrsachsen sich kreuzen. Nach dem Abschluss des Umbaus erkennt man: So wichtig ein neuer einheitlicher Belag (mit sonnenreflektierenden Fliesen, um so die Wärmeabsorption zu minimieren) ist, so wichtig auch die Anpflanzung schattenspendender Bäume – entscheidend für die Gestaltung ist die neue Verkehrsführung: Der motorisierte Verkehr, der zuvor den Platz einschnürte, ist nun an eine Seite des Platzes Seite verlegt worden. Dadurch ließ sich der gesamte restliche Platz als Fläche für Fahrradfahrer, Skater und Fußgänger freiräumen, denen nun auch 24 neue, robuste Massivholzbänke zur Verfügung stehen. Es ist diese Klarheit in der konzeptionellen Neuorientierung, die hier offenbar den Unterschied macht.

Man kann dies am Vergleich verdeutlichen: In Berlin wurde der städtebaulich und historisch bedeutende, an den Potsdamer Platz angrenzende Leipziger Platz entsprechend seiner oktogonalen Ursprungsform in moderner Weise wiederaufgebaut. Seine alten Platzwände erhielt der Leipziger Platz also zurück. Anfang der 2000er Jahre folgte eine erneuerte Gestaltung seiner Freifläche, die sich sogar an die Ursprungsgestaltung durch den Landschaftsarchitekten Peter Joseph Lenné erinnerte. Sie besteht allerdings nun aus wenig mehr als einer von einigen Zierbäumen bestandenen Wiese. Diese ist in durch eine sechsspurige Verkehrsstraße in zwei Hälften geschnitten, die als unüberwindliche Schneise den Platz durchfurcht. Im Autoland Deutschland scheint eine entschiedene Stärkung der Fußgänger und Radfahrer zulasten der Autofahrer, die auch einen gestalterisch anspruchsvollen Niederschlag fände, noch immer an Grenzen zu stoßen.

Weitere Informationen zum Ausstellungsprojekt "# Auf die Plätze"

Teilen via