Orte der Entschleunigung

Erstaunlich, wie faszinierend ein Bautypus fotografisch-künstlerisch neu entdeckt werden kann, der eigentlich als urbaner Unort gilt und bei vielen Fluchttendenzen auslöst! Diese Aussage war auf der Vernissage der Ausstellung „Juliane Rückriem - Entschleunigte Orte“ am 7. November vielfach im Haus der Architekten zu hören.

09. November 2017von Christof Rose

Auch der Vizepräsident der Architektenkammer NRW, Klaus Brüggenolte, verwies auf das scheinbare Paradoxon, oftmals einfach gestaltete Nutzbauwerke in urbanen Kontexten, die dem schnellen Individualverkehr dienen, als Orte des Ruhens, als „Entschleunigte Orte“, wahrzunehmen und erfahrbar zu machen. Juliane Rückriem hat sich dieses Themas seit 2006 immer wieder angenommen. Ihre Fotos von Parkhäusern und Großgaragen, Tunneln und Passagen entwickeln dabei eine ganz eigene Bildsprache und Poesie.

"Die Künsterlin nimmt sich Zeit, wo andere hasten."

„Mit großer Präzision zeigt Juliane Rückriem, was sie mit künstlerischem Auge sieht und was unserer Aufmerksamkeit zumeist entgeht.“ In pointierter Weise führte der Kurator der Ausstellung, Dr. Thomas Schriefers, anlässlich der Vernissage vor rund 100 Gästen in das Werk von Juliane Rückriem ein. „Die Künstlerin nimmt sich dort Zeit, wo andere hasten“, erläuterte der Kölner Architekt und Künstler Schriefers.

Auf diese Weise entdecke Juliane Rückriem Räume, die für den eiligen Passanten überhaupt nicht zu sehen seien, etwa völlig leere Parkdecks, Tunnelröhren oder Treppenhäuser. Hier zeige die Künstlerin unter Einsatz des Panoramablicks „Kraftlinien der Konstruktion“ auf, die optisch häufig gedehnt und damit zusätzlich dramatisiert würden. „Damit entsteht bisweilen ein kathedralenhafter Eindruck von Parkhäusern, die scheinbar der Gottheit Automobil huldigen“, beschrieb Thomas Schriefers den Effekt der oft großformatigen Fotoarbeiten.

Das Großartige im Alltäglichen

Setzt die Künstlerin diese überhöhte Profanarchitektur dann in Zusammenhang mit Zeugnis-sen großer Baukultur im Hintergrund - wie auf einigen Bildern aus Köln, auf denen der Dom im Hintergrund aufscheint -, ergebe sich ein weiteres Paradoxon, das Spannung in die Bildsprache bringe: Die nüchterne Profanarchitektur wird großartig, die großartige Weltarchitektur erscheine klein und schrumpfe zur Kulisse. „Hier ist eine wahre Bild-Entdeckerin unterwegs, die für ihre aufregenden Architekturfotos keine exotischen Orte aufsucht, sondern in unserem baulichen Alltag unterwegs ist“, kommentierte Dr. Thomas Schriefers. Dazu bedürfe es eines fotografischen Auges, Geduld und großer Hartnäckigkeit.

So spürt Juliane Rückriem ihre Motive teils nach Vorrecherche, teils aber auch zufällig auf. Die Umsetzung einer Bildidee in ein fotografisches Werk kann dann aber Wochen oder Monate dauern, da die Genehmigung der Eigentümer des jeweiligen Objektes oftmals nicht einfach zu erhalten ist.

Wucht, Rhythmus, Schwung, Kraft

Wie Klaus Brüggenolte in seiner Begrüßung darlegte, folgt die Künstlerin dabei einem ästhetisch-analytischen Ansatz, der nicht nach Aspekten wie Schönheit oder Sicherheit fragt. „Aspekte, die aus planerischer Sicht entscheidend sind, können aus diesem Blickwinkel außen vor bleiben“, meinte der Vizepräsident der Architektenkammer. Juliane Rückriem zeige sich vielmehr fasziniert von der Wucht der gewaltigen Verkehrsbauwerke, vom Kontrast der breiten Ebenen und niedrigen Decken, vom Rhythmus der Säulen und vom Stakkato der Parkboxen.

Die Betrachtung eines Bauwerks bar seines Nutzens mache die künstlerische Darstellung der „entschleunigten Orte“ aus Sicht von Architekten und Stadtplanern so interessant. Und deshalb lade die AKNW immer wieder gerne Künstlerinnen und Künstler dazu ein, ihre Sicht auf Bauwerke und Städtebau im Haus der Architekten zu präsentieren.

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