Von Vorbildern und Wildschweinen

Ein Kommentar von AKNW-Vizepräsident Christian Schramm: Wie und wo arbeiten Sie? Würden Sie Ihr Büro als „vorbildlichen Arbeitsort in der Stadt“ beschreiben? - Schwer zu sagen, oder?

21. März 2017

Liebe Kollegin,
lieber Kollege!

Wie und wo arbeiten Sie? Würden Sie Ihr Büro als „vorbildlichen Arbeitsort in der Stadt“ beschreiben? - Schwer zu sagen, oder? Vielleicht auch eine Frage der Definition.
Gemeinsam mit unserem Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr haben wir diese Frage öffentlich gestellt. Was sind vorbildliche Arbeitsorte in der Stadt? 39 Kolleginnen und Kollegen haben solche Beispiele identifiziert und uns Projekte zu dem Auszeichnungsverfahren eingereicht. Anfang März wurden die Auszeichnungen in einem festlichen Rahmen im Düsseldorfer Museum K21 an die Architekten und ihre Bauherren überreicht.

Das Auszeichnungsverfahren, das wir mit dem MBWSV entwickelt haben, rückte interessante Objekte ins Licht der Öffentlichkeit und warf wichtige Fragestellungen auf. Warum etwa sind in Deutschland in den klassischen Gewerbegebieten noch immer kaum anspruchsvolle Nutzbauten zu finden? Wer in Holland über die Autobahn fährt, erlebt am Straßenrand statt des in Deutschland üblichen Begleitgrüns interessante Architekturen. Manchmal nur gestaltete Fassaden, nicht selten aber auch ambitionierte Bauten - für Industrie, Gewerbe, Handel, Logistik, Forschung.

Bei uns herrschen hingegen die „Wildschweingebiete“ vor, in denen sich kostengünstig produzierte, ohne Anspruch auf Gestaltung realisierte Hallen aneinanderreihen. Die klassische Funktionstrennung im Baurecht hat zwar den produktionsbedingten Lärm und Dreck aus der Stadt verbannt, aber schmutzige Restgebiete am Stadtrand entstehen lassen. Wenn wir über Baukultur in diesem Land sprechen, müssen wir verstärkt auch diese Areale in den Blick nehmen.

Die „Auszeichnung vorbildlicher Arbeitsorte in der Stadt 2016“ zeigt uns großartige Bauten, vom kleinen Projekt des „City Pastoral“ der Kollegin Prof. Sabine Keggenhoff in Siegen bis zum neugestalteten 1Live-Sendekomplex in Köln von den Kollegen der WDR-Gebäudewirtschaft. Orte, an denen im urbanen Kontext gearbeitet wird. Aber eben auch besondere Bauaufgaben, die nicht replizierbar sind.
Unsere Aufgabe wird es sein, bei der zweiten Auflage des Auszeichnungsverfahrens verstärkt solche Objekte aufzuspüren, die zum Alltagsgeschäft der Architekten gehören. Auf der Preisverleihung wurden sie als das „Schwarzbrot“ bezeichnet. Auszeichnungsverfahren dienen der Vorbildfunktion. Die gezeigten Objekte sollen zur Nachahmung anregen und alle Projektbeteiligten ermutigen, mehr als nur den Durchschnitt zu wagen.

Hilfreich wird in diesem Zusammenhang das „Urbane Gebiet“ sein, das im neuen Baurecht verankert wird. Unsere Innenstädte werden damit dichter und höher bebaut werden können. Insbesondere die Lockerung des Immissionsschutzes in diesen Gebieten ermöglicht ein engeres Nebeneinander von Wohnen und Arbeiten - in Gastronomie, Einzelhandel, Handel und anderen Gewerben.

Ich glaube, die Entwicklung geht in die richtige Richtung. Der Gesetzgeber eröffnet mit den „Urbanen Gebieten“ nicht nur neue genehmigungsrechtliche Optionen, sondern schärft auch das öffentliche Bewusstsein für die Fragestellung, wie moderne Arbeitsorte aussehen, klingen und riechen sollen - und dürfen. Wir Architekten und Stadtplaner sind gefordert, die neuen Möglichkeiten mit unseren Bauherren zu nutzen und mit neuen, kreativen Planungskonzepten auszufüllen.

Vorbildliche Arbeitsorte in der Stadt: Es gibt sie schon heute, das hat unser Auszeichnungsverfahren bewiesen. Dass es in den kommenden Jahren noch deutlich mehr werden, das wünscht sich
 
mit kollegialen Grüßen
Ihr


Dr. Christian Schramm
Vizepräsident der Architektenkammer
Nordrhein-Westfalen
schramm@aknw.de


Teilen via