Kommentar: Die Bauwende jetzt umsetzen!

Wir bauen heute für morgen, für die nachfolgenden Generationen. Deshalb bleibt die wichtigste Aufgabe auch im Jahr 2023, die Ziele der Nachhaltigkeit im Planen und Bauen umzusetzen. Ein Kommentar von Ernst Uhing, Präsident der Architektenkammer NRW.

12. Januar 2023
Ernst Uhing
Dipl.-Ing. Architekt BDB Ernst Uhing - Foto: Ingo Lammert

Der Begriff „Wende“ wird in jüngster Zeit in vielfältigen Zusammenhängen gebraucht. Unser Bundeskanzler Olaf Scholz spricht mit Blick auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine von einer „Zeitenwende“. Und auch in der Notwendigkeit, mit Blick auf den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen umzudenken, stehen wir vor einer Wende: Wir müssen handeln - schnell, pragmatisch und zugleich perspektivisch verantwortlich!
Zum Jahresbeginn steht unsere Branche vor gewaltigen Herausforderungen. Nachdem die Wirtschaftssektoren Planung und Bau noch relativ gut durch die Pandemie gekommen sind, machen sich nun die Auswirkungen von Energieknappheit, Lieferengpässen und der zunehmende Personalmangel am Bau bemerkbar. Die Folgen sind in den Auftragsbüchern unserer Architektur- und Planungsbüros ablesbar.

Umso mehr gilt es, entschlossen nach vorne zu schauen. Wir bauen heute für morgen, für die nachfolgenden Generationen. Deshalb bleibt die wichtigste Aufgabe auch im Jahr 2023, die Ziele der Nachhaltigkeit im Planen und Bauen umzusetzen. Die Wege und Instrumente dazu sind uns bekannt. Es gilt, klima- und ressourcenschonendes Bauen in der täglichen Praxis anzuwenden. Dazu müssen wir verstärkt auf die Partnerinnen und Partner am Bau zugehen: auf die Investoren und Auftraggeber, aber auch auf die Baufirmen und Gewerke. Eine aktuelle Studie des Beratungsunternehmens Simon-Kucher & Partners, in der das verarbeitende Gewerbe am Bau befragt wurde, stimmt zuversichtlich: Demnach schätzen 81 Prozent der befragten Baugewerke den Einsatz nachhaltiger Produkte sowie die Beachtung von Nachhaltigkeitszielen für „sehr wichtig bzw. wichtig“ ein – auch, weil Auftraggeberinnen und Bauherren dies entsprechend einfordern.
Die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen wird diesen Prozess weiterhin aktiv begleiten und politisch forcieren. Wir werden uns auch im neuen Jahr dafür einsetzen, dass der „Gebäudetyp E“ als Konzept in das deutsche Bauordnungsrecht aufgenommen wird. Um einfacher planen und bauen zu können, um Experimente zu ermöglichen und um unser Erfahrungswissen in der Praxis noch stärker zur Anwendung zu bringen.

Die Handlungsmaximen, die uns dabei leiten, haben wir im interdisziplinären Austausch mit Fachleuten vieler Branchen in den letzten Jahren gemeinsam entwickelt. Sie lauten: Bestand vor Neubau; Lebenszyklusbetrachtung bei der Planung neuer Bauwerke; Kreislaufwirtschaft im Einsatz von Baustoffen; das Anstreben langer Lebenszeiten von Bauwerken; das Einbeziehen von Klimafolgen und der Kosten, die mittel- oder langfristig der Gemeinschaft entstehen, in Immobilienkalkulationen. Mit einem Wort: Wir brauchen eine „Bauwende“. Wir müssen eine „Neue Umbaukultur“ entwickeln, wie sie die Bundesstiftung Baukultur in ihrem jüngsten Bericht vorgeschlagen hat; eine Baukultur, die der Bestandsentwicklung Priorität vor Abriss und Neubau gibt.

Als Landesarchitektenkammer wirken wir an vielen Stellen auf die praktische Umsetzung der Klimaschutzziele hin. In unseren Stellungsnahmen vor dem Landtag NRW zu Gesetzesvorhaben und parlamentarischen Initiativen sowie in vielen persönlichen Gesprächen mit der Politik, der Landesregierung und den Kommunen fordern wir ein, dass Vorgaben und Fördervoraussetzungen so formuliert werden, dass in diesem Land künftig konsequent nachhaltig geplant und gebaut wird. Der geförderte Wohnungsbau, das öffentliche Bauen insgesamt sowie alle geförderten Sanierungs- und Investitionsprogramme sind dafür effektive Hebel, die auf die gesamte Branche wirken können. Letztlich müssen wir alle vor Ort dafür werben, dass wir beim Planen und Bauen neue Wege beschreiten – damit die notwendige Bauwende jetzt kommt.
Vor genau 100 Jahren wurde schon einmal ein „politisches und ökonomisches Wendejahr“ beschrieben. In dieser Zeit sagte die große Physikerin Marie Curie, sie beschäftige sich nicht mit dem, was getan worden ist. „Mich interessiert, was getan werden muss.“

Gute Argumente, Tatkraft und Zuversicht, um das Notwendige anzugehen, wünsche ich Ihnen für das vor uns liegende Jahr 2023!
 
Mit herzlichen Grüßen
Ihr Ernst Uhing

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