Fiktion oder Realität

Kommentar: Regionalistische Architektur

Viele Dörfer in NRW haben ihr Gesicht, ihre „Duftnote“ über Jahrhunderte erhalten können, doch eine große Anzahl hat diese Identität bereits seit Jahrzehnten verloren. Anlässlich der Ausstellung „Regionalistische Architektur" erhofft sich AKNW-Vizepräsident Michael Arns den Beginn einer offenen Diskussion mit dem Denkmalschutz in der Frage, wie mit Neu-, Ergänzungs- oder Ersatzbauten innerhalb von Ortskernen umzugehen ist.

17. August 2007von Michael Arns

Liebe Kollegin,  
lieber Kollege,   

mal ehrlich: Wer von Ihnen kennt Oberholzklau? Oder Bilstein, Oberveischede, Langenholdinghausen?  

„Lüdenscheid ist überall“ betitelte unlängst eine Zeitschrift die von ihr vorgestellte Landkarte, die keine Metropole verzeichnet, doch viele kleine Orte und Regionen, in denen erfolgreich entwickelt und produziert wird. Aus landes- und kammerhauptstädtischer Zentralperspektive eher weniger wahrgenommen, hat sich gerade der westfälische Teil von NRW entlang der Sauerlandlinie zu einem heimlichen wirtschaftlichen Riesen gemausert, geprägt von unzähligen innovativen und leistungsstarken, mittelständischen Firmen. Gleichzeitig ist gerade dieser ländliche, aus aus zentraler kammer-und landeshauptstädtischer Perspektive beinahe exotisch wahrgenommene Landesteil geprägt von einer Vielzahl historisch gewachsener Ortskerne. Ortskerne, die aus einer Zeit stammen, als angeblich „die Welt noch in Ordnung war“. Denen aber zumindest eine Qualität eigen ist: Eine Identität aufgrund von Erschließungsform, Haustyp und/oder Materialität. Diese Qualität haben viele historische Orte und zumeist anonyme Bauten in unsere Zeit hinüberretten können, was sie noch heute regional unterscheidbar macht.   

Gründe für diese Unterschiede gab es vielfach: die Enge der Mittelgebirgslage, die Beschränktheit der Mittel, Mangelkriterien also. Und besonders in Südwestfalen: die Herkunft aufgrund der Religions- und noch älteren Sprachgrenze, die das Sauerland und das Siegerland bis heute teilt. Doch auch das wird eines Tages Geschichte sein, wie an den Neubautgebieten erkennbar. Ortskerne, die ihr Gesicht, ihre „Duftnote“ über Jahrhunderte haben erhalten können, aber auch Ortskerne und Dörfer, die diese Identität bereits seit Jahrzehnten verloren haben, gerade an ihren Peripherien mit den gleichen Baumarkt- und Fertighausprodukten überzogen wurden, wie wir sie von Passau bis Flensburg kennen. Deren Häuslebauer sich keinen Deut um Vorstellungen amtlicher oder gar selbsternannter Heimat- und Denkmalschützer kümmern, sondern auf ihrem demokratisch verbrieften Recht beharren, ihre individuellen Gestaltungsvorstellungen ausleben zu dürfen.  

Dieser Mangel an allgemeiner Information und Sensibilisierung mag immer wieder von uns Architekten bedauert werden. Es hilft nicht. Hier können wir nur auf langfristige Wirkungen unserer Aktivitäten in den Schulen oder zum Beispiel unserer Gestaltungsbeiräte hoffen. Auch auf die Weiterbildungsbemühungen unser Kammer, denn ehrlicherweise müssen wir einräumen: Der trostlose Zustand unserer baulichen Umwelt ist auch Ergebnis der aufrechten Bemühungen vieler unserer Kolleginnen und Kollegen - die mir die Offenheit verzeihen mögen. Behutsames Reagieren auf das Vorgefundene unter Beachtung des „Genius Loci“ ist immer ein Qualitätsmerkmal unserer Zunft gewesen. Wen wundert es eigentlich, dass als Reaktion auf die Verschandelungen unserer Umwelt und auf die zunehmende Globalisierung eine Rückbesinnung auf Werte wie Heimat erfolgt? Dass nach Fall der nationalstaatlichen Grenzen in der EU der Begriff der Region neue Bedeutung erlangt hat? Dass Rufe nach einer Rückkehr zu zwiespältigen Begriffen wie Regionalismus, zu regionaler und angestrengt regionalistischer Architektur laut werden?     

Der aus den USA überschwappende „New Urbanism“ scheint sich inzwischen ja auch bei uns breiter Zustimmung zu erfreuen. Bereits im Jahr 2002 hatte die AKNW das Thema aufgegriffen im Rahmen der Ausstellung „RheinRuhrCity“ mit der Veranstaltung „Stiftet Architektur Identität?“

Nachdem wir Anfang des Jahres Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Einsendung Ihrer Werkbeiträge aufgefordert hatten, wird derzeit ein weiterer Annäherungsversuch an dieses überfällige, da äußerst komplexe Thema gewagt: Derzeit sind wir äußerst gespannt auf unsere Ausstellung zum Thema, die Prof. Frank Werner kuratiert. Ich darf Sie also herzlich einladen zur Ausstellung „Spurensuche - Regionale Architekturphänomene im Wohnungsbau in NRW“, die wir am 6. September im Haus der Architekten eröffnen und die dann den ganzen Monat über zu sehen ist. Diese Ausstellung dürfte für uns Architekten äußerst interessant werden, sensibilisiert sie doch einerseits uns und unsere Klientel für die eigene Region, gibt zugleich Anlass zur Reflektion des eigenen Werks und Standorts und hoffentlich auch Impulse für unsere eigene künftige Arbeit und für die allgemeine Qualitätsdiskussion mit der Öffentlichkeit. Hohe Erwartungen also, weshalb ich Sie hiermit ausdrücklich zur aktiven Teilnahme ermuntern möchte!

Zielkonflikte über die Gestaltung von Neubauten innerhalb historisch geschützter Ortskerne hat es in der Vergangenheit in den Ortskernen an Ruhr, Lenne und Sieg immer gegeben, natürlich auch anderenorts. Hier erhoffe ich mir persönlich den Beginn einer offenen Diskussion mit dem Denkmalschutz in der Frage, wie unzugehen ist mit Neu-, Ergänzungs- oder Ersatzbauten innerhalb von Ortskernen, wie etwa in Soest oder Freudenberg. Hier haben sich in der Vergangenheit zumeist die restaurativen Kräfte durchsetzen können und Gegenwartslösungen im Stile historisierender Versatzbauten verhindern können. „Zombies“ eben.

Gibt es vielleicht uns derzeit noch unbekannte neue Ansätze für das Bauen in der Region, vielleicht einen „kritischen Regionalismus“ in den NRW-Regionen? Es wird spannend werden zu sehen, ob und wie.   

Grüße aus der Provinz   

Ihr

Michael Arns
Vizepräsident der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen
arns@aknw.de

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