Koordination und (faktische) Bauleitung

In der beruflichen Praxis kommt es immer wieder zu Überschneidungen der Zuständigkeiten im Bereich der Baustellensicherheit und des Arbeitsschutzes, sowie der Bauleitung und Objektüberwachung auf Baustellen. Dies beruht nicht zuletzt auf den rechtlichen Forderungen aus der Baustellenverordnung (Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz auf Baustellen vom 10.06.1998 - BaustellV) und den Bauordnungen der Länder. Zur Umsetzung ist einerseits bei den meisten Bauvorhaben durch den Bauherrn der Koordinator nach der Baustellenverordnung und andererseits der Bauleiter nach Landesbauordnung zu bestellen. Bei der Baustellenabwicklung kann es dabei leicht - und oft unbemerkt - zu einer Tätigkeit im jeweils anderen Aufgabenbereich kommen. Dies kann auch dazu führen, dass der Koordinator faktisch bauleitende Tätigkeiten mit erbringt oder der Bauleiter/bauleitende Architekt koordinierend im Sinne der Baustellenverordnung mit tätig wird, insbesondere wenn die ausdrückliche Bestellung eines Koordinators durch den Bauherrn unterbleibt.

22. September 2014von Dipl.-Ing. Architekt Holger W. Kruse / Rechtsanwalt Guido Meyer

Koordination nach der Baustellenverordnung

Nach der Baustellenverordnung hat der Bauherr bei Bauvorhaben ab einer bestimmten Größe neben der Erfüllung weiterer dort vorgesehener Pflichten (Vorankündigung, Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan, Unterlage für spätere Arbeiten am Bauwerk) auch einen Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator für die Ausführungsphase zubestellen. Obwohl die Verordnung seit über 15 Jahren in Kraft ist, ist dies nach wie vor nicht allen Bauherren bekannt. Häufig unbekannt – aber für Architekten insgesamt relevant – scheint zudem auch das Verhältnis zwischen den Leistungen desKoordinators nach BaustellV und des bauleitenden (objektüberwachenden) Architekten zu sein.

Die Pflichten des Koordinators in der Ausführungsphase sind in § 3 Abs. 3 BaustellV im Einzelnen beschrieben: Danach hat er
1. die Anwendung der allgemeinen Grundsätze nach § 4 des Arbeitsschutzgesetzes zu koordinieren,
2. darauf zu achten, dass die Arbeitgeber und die Unternehmer ohne Beschäftigte ihre Pflichten, nach dieser Verordnung, nämlich Arbeitsschutz umzusetzen und zu gewährleisten, erfüllen,
3. den Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan bei erheblichen Änderungen in der Ausführung des Bauvorhabens anzupassen oder anpassen zu lassen,
4. die Zusammenarbeit der Arbeitgeber zu organisieren und
5. die Überwachung der ordnungsgemäßen Anwendung der Arbeitsverfahren durch die Arbeitgeber zu koordinieren.

Koordination bedeutet dabei nicht vorrangig eine Überwachung der Erfüllung von Arbeitsschutzpflichten, die durch die einzelnen Arbeitgeber zu treffen sind (so auch etwa Regel zum Arbeitsschutz (RAB) 10, Ziffer 15.). Koordination bedeutet hier vielmehr die Umsetzung der aus der Planung der Ausführung (Planungsphase) ermittelten und im Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan und den mitgeltenden Unterlagen zur Baustellensicherheit und zum Arbeitsschutz festgelegten vorzusehenden Schutzmaßnahmen, insbesondere solcher, die der einzelne Arbeitgeber nicht treffen kann. Da der Koordinator, anders als der Bauleiter, bereits in den Planungsprozess miteinbezogen werden muss, hat er idealerweise die notwendigen Maßnahmen schon früh ermittelt und über den Ausschreibungs- und Vergabezeitraum begleitet.
In der Ausführung wird er den Unternehmen und Arbeitgebern die Inhalte des Sicherheits- und Gesundheitsschutzplans erläutern, die jeweiligen Arbeiten und Maßnahmen zur Baustellen- und Arbeitssicherheit aufeinander abstimmen und darauf achten, dass die Unternehmen diese auch umsetzen und ihren betrieblichen Arbeitsschutz erfüllen. Erforderlichenfalls wird er korrigierend und durch koordinierende Hinweise an die Unternehmen den sicheren Ablauf auf der Baustelle unterstützen. Dabei wird erregelmäßig aber keine Weisungen oder Anweisungen zu Maßnahmen, Änderungen oderzeitlichen Abläufen erteilen.

Bauleitung

Als „Bauleitung“ im Sinne von Objekt- und Bauüberwachung in Anlehnung an die Leistungsphase 8 der HOAI (§ 34 Abs. 3 Nr. 8 HOAI für die Objektplanung von Gebäuden und Innenräumen) kann man hingegen im Wesentlichen die Überwachung der Übereinstimmung der Ausführung des Objekts mit Baugenehmigung, Ausführungsplanung und Leistungsbeschreibung verstehen (was seinerseits von der Tätigkeit als Bauleiter i. S. d. Landesbauordnungen abzugrenzen ist.) In diesem Rahmen treffen den Architekten auch – jedoch andere – Koordinierungspflichten.

Damit lässt sich die Tätigkeit des Koordinators von der des bauleitenden Architekt in doppelter Hinsicht abgrenzen:
(1) Inhaltlich bezieht sich seine Tätigkeit (nur) auf die Baustellensicherheit und den Arbeitsschutz der auf der Baustelle Beschäftigten (nicht jedoch auf die gesamte Bauausführung).
(2) Die von ihm geschuldete Tätigkeit ist (nur)die Koordination nach der BaustellV (nicht jedoch eine allgemeine, allumfassende Überwachung).

Den Koordinator treffen insoweit keine Koordinationspflichten im Hinblick auf die Bauzeitenplanung, die rechtzeitige Beschaffung und Bereitstellung von Schutzeinrichtungen, Geräten und Maschinen oder Nachunternehmern und qualifizierten Mitarbeitern. Ebenso wenig gehört es zu seinen Pflichten, die zeitnahe Beseitigung festgestellter Mängel an Schutzmaßnahmen zur Aufrechterhaltung eines zügigen Bauablaufes zu organisieren oder sicherzustellen. Dies obliegt den Unternehmen, den Fachbauleitern und dem bauleitenden Architekten und Bauleiter.

Der Koordinator als faktischer Bauleiter

Bauleitungstätigkeit kann allerdings – neben der ausdrücklich zwischen dem Bauherrnund dem Architekten vereinbarten – auch in Form der sog. „faktischen Bauleitung“ auftreten: Auch unentgeltlich von einem Architekten, insbesondere im Rahmen eines „Gefälligkeitsverhältnisses“, stillschweigend oder konkludent übernommene Tätigkeiten können eine Haftung begründen. Übernimmt ein Architekt etwa gefälligkeitshalber die Überwachung eines zu errichtenden Objekts, haftet er angesichts der überragenden wirtschaftlichen Bedeutung einer sorgfältigen Bauüberwachung nach denselben Maßstäben wie ein Architekt (Etwa OLG Celle, Urteil vom 19.06.2001 - 16U 260/00, BauR 2002, 1427).
Übernimmt ein Vertragspartner bei der Vertragsausführung Aufgaben, die nach dem Vertrag nicht geschuldet sind, so hat er fürdabei schuldhaft verursachte Schäden einzustehen (BGH, Urteil vom 11.01.1996 - VIIZR 85/95, NJW 1976, 1278). Auch „faktische Tätigkeit“ ist also haftungsträchtig.

Für den Koordinator kann dies in den nachfolgenden Konstellationen schnell bedeutsam werden - denn auch wenn er es „gut gemeint“ hat, besteht immer das Risiko plötzlich „bauleitend“ tätig zu werden: Zunächst reicht schon eine vom Koordinator vorgenommene Weisung oder Anweisung, um seinen Zuständigkeitsbereich zuverlassen. Aber auch von ihm veranlasste Änderungen im Ablauf der Arbeiten, der Bauzeiten, der vereinbarten und geschuldeten Leistungen, oder durch das Anordnen sicherheitsrelevanter und kostenpflichtiger Maßnahmen (hier mit Verweis auf die VOB: das Auslösen Besonderer Leistungen statt Abrufen geschuldeter Nebenleistungen) können den Koordinator „faktisch“ in die Position „bauleitend“ versetzen.

Eine besondere Brisanz ergibt sich immer dann, wenn sich aus ursprünglich arbeitssicherheitstechnischer Veranlassung Vorgänge so entwickeln, dass sich diese zu einem bauleitenden Tatbestand verschieben; beispielsweise, wenn eine gefährliche Situation festgestellt worden ist, die Arbeiten unterbrochen wurden und die Lösung sich dann kosten- und/oder bauzeitenrelevant darstellt. Hier ist für den Koordinator nach BaustellV schnell die Grenze seiner Zuständigkeit erreicht.

Etwas anders stellt sich die Situation aus der Sicht des Bauleiters, insbesondere nach den Landesbauordnungen (z.B. §59 a BauO NRW) dar: Danach wird von ihm originär Koordination und (faktische) Bauleitung verlangt, auf den sicheren bautechnischen Betrieb der Baustelle, das gefahrlose Ineinandergreifen der Arbeiten der verschiedenen Unternehmen und auf die Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen zu achten. Hier kommt es zu einer starken Annäherung der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten. Aber genau an dieser Stelle gilt es Obacht zu geben, denn die vorbereitenden arbeitssicherheitstechnischen Maßnahmen zur Erfüllung dieser Anforderungen an den „LBO-Bauleiter“ begleitet der Koordinatorin der Planung der Ausführung und in der Ausschreibungs- und Vergabephase desjeweiligen Projekts und dokumentiert die vom Bauherrn und Planer/Architekt entschiedenen Festlegungen im Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan. Der Bauleiter hingegen kommt erst zu einem späteren Zeitpunkt zum Projekt hinzu. Fehlt es dem „LBO-Bauleiter“ nun an der erforderlichen Sachkunde oder Erfahrung (hier zum Arbeitsschutz), so hätte er einen Fachbauleiter hinzuziehen müssen, der an seine Stelletritt. Hilft der Koordinator aufgrund seiner Sachkunde zum Arbeitsschutz hier aus und unterstützt den LBO-Bauleiter, erweitert er seinen Zuständigkeitsbereich, allerdings mit allen Konsequenzen und möglichen Haftungsrisiken.

Danach ist klar: Der Koordinator, der über seine nach der BaustellV und u. U. vertraglich näher geregelten Aufgaben hinaus in der Ausführungsphase nicht lediglich im Sinne des § 3 Abs. 3 BaustellV „koordiniert“ sondern vielmehr tatsächlich (etwa aus Gefälligkeit oder sonstiger eigener Veranlassung) „bauleitende“ Tätigkeiten wahrnimmt, wird sich ggf. auch wie ein („faktischer“) Bauleiter behandeln lassen müssen – und haftet wie ein Bauleiter gegenüber seinem Auftraggeber.

Der Bauleiter als faktischer Koordinator?

Daneben ergeben sich aber im Bereich des Arbeitsschutzes auch Risiken für Architekten, die an sich nicht als Koordinator im Sinne der BaustellV tätig werden (wollten). Zunächst sind dabei Fälle relevant, in denen die Koordinatorentätigkeit nach der BaustellV dem Architekten durch mündlichen Auftrag, stillschweigend oder konkludent mitübertragen worden sind. Hier besteht schon ohne weiteres einentsprechendes Vertragsverhältnis mit dem Bauherrn, so dass sich zur Vermeidung von Zweifelsfällen immer eine vertragliche Klarstellung in Architektenverträgen empfiehlt.
Zudem können sich aber auch Haftungsrisiken nach den vorstehenden Grundsätzen aus einer rein „faktischen“ Tätigkeit ergeben: Auch ohne vertragliche Vereinbarung wird sich insbesondere der bauleitende Architekt u. U. haftungsrechtlich wie ein Koordinatorin der Ausführungsphase behandeln lassen müssen, wenn er eine solche Tätigkeit tatsächlich (faktisch) erbringt (insbesondere etwa auch, weil der Bauherr einen gesonderten Koordinator nicht bestellt hat).

Fazit

Es ist daher von erheblicher Bedeutung, dass Architekten und Koordinatoren ihre Leistungen und Verantwortlichkeiten klar voneinander abgrenzen. Dies sollte immerschriftlich - möglichst im jeweiligen Vertrag - dokumentiert werden. Hier ist auch zubedenken, dass die (auch faktische) Übernahme von Leistungen immer vor dem Hintergrund des bestehenden – und unter Umständen dann nicht eingreifenden –Versicherungsschutzes zu betrachten ist. Vorsicht ist (für beide) immer dann geboten, wenn „faktisch“ Tätigkeiten übernommen werden, die eigentlich nicht zum eigenen Leistungsbild gehören.

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