Architekturquartett NRW: „Nur Mut: Mehr Grün aufs Dach!“

Planende, Auftraggeber, der Gesetzgeber: „Ich wünschte mir, wir alle wären etwas aufgeschlossener der Innovation gegenüber und würden Risiko nicht nur als Problem, sondern als Chance betrachten.“ Diesen Appell richtete Stefan Behnisch im Rahmen des 15. Architekturquartetts NRW an die Branche. Der Stuttgarter Architekt diskutierte am 20. Oktober im Düsseldorfer K20 mit dem Landschaftsarchitekten Prof. Andreas Kipar (LAND, Düsseldorf/Mailand), der Moderatorin und Journalistin Andrea Oster (WDR 5) sowie der Kunsthistorikerin Dr. Hilde Strobl (Universität Innsbruck) über die Begrünung von Gebäuden, konkret über drei neue, grüne Dachwelten in NRW. Rund 180 Interessierte verfolgten die lebhafte Diskussion vor Ort im K20; auch die Live-Übertragung auf dem AKNW-YouTube verzeichnete konstant 120 weitere Teilnehmer*innen. 

02. November 2022von Lea Pawelzik

AKNW-Vizepräsident Klaus Brüggenolte verwies in seiner Begrüßung auf die besondere Verantwortung des Berufsstands der Architektinnen und Architekten, Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplaner – schließlich gehöre die Baubranche zu den größten Verursachern von CO₂-Emissionen. Eine intensive Begrünung der Städte wäre eine mögliche Antwort auf die Herausforderungen, die der Klimawandel mit sich bringe. Dabei seien kreative Lösungen gefragt.
Die Diskutanten des 15. Architekturquartetts NRW hatten die drei Projekte, über die gesprochen wurde, tagsüber bereist. Dem Publikum stellte der Pressesprecher der Architektenkammer NRW, Christof Rose, die Bauwerke in kompakter Form mit Fotos und Videos jeweils vor.

Zukunft Urban Farming? 

Mut zum Grün hatten die Beteiligten des ALTMARKTgartens in Oberhausen (Architektur: Kuehn Malvezzi Associates GmbH, Berlin / Landschaftsarchitektur: atelier le balto, Berlin). Sie entwickelten ein hybrides Gebäude für das Jobcenter in Oberhausen, das die Nutzung als öffentlich frequentierter Verwaltungsbau und landwirtschaftliche Produktionsstätte kombiniert. Nach einem vom Fraunhofer Institut für Umwelt- Sicherheits- und Energietechnik entwickelten Konzept wird in einem Dachgewächshaus, das auf die oberste Etage des Baus aufgesetzt wurde, Urban Farming betrieben. Zusätzlich leitet ein vertikaler Garten mit begrüntem Innenhof vom Jobcenter über in das Dachgewächshaus.

„Das hat Zukunft“, urteilte Prof. Andreas Kipar hinsichtlich des Urban-Farming-Prinzips. Denn die Landwirtschaft habe ein Problem: den hohen Bodenverbrauch. Den Versuch, in einer Industriemetropole wie Oberhausen Dachfläche landwirtschaftlich zu nutzen, erkannte Kipar an. Architekt Stefan Behnisch gefiel insbesondere der vertikale Garten, in dem sich Kletterpflanzen frei am Treppengerüst hochwinden. Dieser sei im ursprünglichen Konzept des Bauherrn gar nicht vorgesehen gewesen. „Man sieht, was gute, auch innovative Planung bewirken kann.“ Kuehn Malvezzi hätten mehr aus dem Gebäude gemacht, als eigentlich gefordert war. Bedauert wurde in der Runde, dass der vertikale Garten nicht für die Jobcenterbesucher bzw. die Passanten auf dem Altmarkt zugänglich ist – und somit nur intern seine Wirkung entfalte.

Wilder Garten auf Zollverein

In Essen haben kadawittfeldarchitektur und GREENBOX Landschaftsarchitekten für die RAG AG und die RAG-Stiftung eine neue Unternehmenszentrale geschaffen, die gleich zwei nachhaltige Konzepte vereint. Da ist zum einen die Bauweise nach dem Cradle to Cradle-Prinzip. Das bedeutet, das alle Baumaterialien im Falle einer Umnutzung oder eines Abrisses sortenrein getrennt und wiederverwertet werden können. Zum anderen wurde für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der RAG hier eine grüne, begehbare Dachlandschaft geschaffen. 

Dr. Hilde Strobl merkte an, dass in der Diskussion zu diesem Gebäude das Stichwort „Greenwashing“ fallen könnte. Denn die RAG hat über Jahre im Ruhrgebiet Kohle gefördert und finanziert heute die sogenannten Ewigkeitsaufgaben, wie die zum Beispiel die Grubenwasserhaltung. Dies dürfe man jedoch nicht zu kritisch sehen. Der Pflanze sei es schließlich egal, zu welchem Zweck sie gepflanzt wurde – sie erfülle trotzdem ihrem Zweck. Stefan Behnisch lobte die hohe Aufenthaltsqualität, die der Dachgarten biete. Auch die Umsetzung des Konzepts Cradle to Cradle fand Anklang. Gleichzeitig wünsche man sich, es wäre nicht so abgeriegelt, denn auch hier sei der „Dachgarten“ nicht öffentlich zugänglich.

Gelobt wurde die gestalterische und technische Umsetzung der Dachgartenlandschaft. „Die Kolleginnen und Kollegen haben hier eine Meisterleistung erbracht“, zeigte sich Andreas Kipar begeistert. Den authentischen Charakter des wilden Gartens in der industriellen Landschaft, die ästhetische Dimension der Pergola aus Solarpaneelen und die Biodiversität der Pflanzen bewertete er positiv.

Begrünung der Superlative

Der Düsseldorfer Kö-Bogen-II hält einen Rekord: Rund 8 Kilometer Hainbuchhecken bedecken das Gebäude, dass eine Mischnutzung für Gastronomie, Handel und Büroräume bietet. Prominent zwischen zwei Ikonen der Nachkriegszeit gelegen (dem Dreischeibenhaus und dem Schauspielhaus), wurde das Projekt in der Öffentlichkeit bereits kontrovers diskutiert. Und auch das Quartett hatte gemischte Meinungen zu dem Bauwerk, das aus der Feder des Büros ingenhoven associates stammt. 

Nachhaltig sei das Gebäude nicht, urteilte Landschaftsarchitekt Kipar. Ein Risiko sah er in der Bepflanzung mit Hecken als Monokultur, die zudem nur als Kleid den eigentlichen Bau verhüllen. „Städte brauchen nicht nur Kleider, sie brauchen Körper, sie brauchen Seelen“, bemerkte Andreas Kipar. Auch Andrea Oster, die mitdiskutierte und zugleich die Gesprächsführung auf der Bühne übernommen hatte, kritisierte die aus ihrer Sicht „sterile, grüne Wand“ der Fassade. Stefan Behnisch lenkte ein, dass das Büro an diesem Standort vor einer schwierigen Bauaufgabe gestanden habe. Dafür arbeite das Gebäude mit den geneigten Fassaden gut mit dem Ort. Auch Behnisch bezweifelte, dass eine Monokultur hier die richtige Wahl war, erkannte aber den großen Mut der Beteiligten an. „Wir brauchen Ideen, Experimente und Leuchttürme, um voranzukommen.“
Dr. Hilde Strobl sah in der Wahl für eine Monokultur eine Form des Pragmatismus. Schließlich benötige eine solche Begrünung auch viel Pflege. Wenn man dabei nur eine Pflanzenart wähle, mache dies die Pflege deutlich leichter kalkulierbar. Dies sei insbesondere für die Bauherren ein wichtiges Argument.

Spannende Ansätze – mehr davon!

Einig zeigte sich das 15. Architekturquartett NRW darin, dass mit Blick auf den auch bei uns spürbar werdenden Klimawandel und die Energiekrise eine Dringlichkeit herrsche, die bisher noch nicht in der Baubranche angekommen sei. „Es ist wichtig, dass es verschiedene Beispiele gibt, die zeigen, dass es geht“, erklärte Andrea Oster. Und auch im kleinen Maßstab könne viel getan werden, ergänzte Hilde Strobl. Dies habe unter anderem auch die von ihr kuratierte Ausstellung „Einfach Grün. Greening the City“ am Deutschen Architekturmuseum versucht zu zeigen, die aktuell in Hamburg gastiert. Strobl gab sich optimistisch: „In Deutschland bewegt sich etwas!“
 

Aufzeichnung: Livestream 15. Architekturquartett NRW - Grün!

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