Harald Deilmann, 2005 - Foto: Wiechmann Aiette-Shagal

Ausstellung im Baukunstarchiv NRW: Harald Deilmann - Lebendige Architektur

Harald Deilmann zählt zu den bedeutenden Architekten der Bundesrepublik Deutschland. Aus Anlass seines 100. Geburtstags, den Deilmann im Jahr 2020 gefeiert hätte – er verstarb im Jahr 2008 – widmen ihm das Baukunstarchiv NRW, das Museum der Baukultur Nordrhein-Westfalen mit Unterstützung der LWL-Kulturstiftung, der Andreas Deilmann Familienstiftung, der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen und der TU Dortmund eine umfassende Werkschau.

26. August 2021von Stefan Rethfeld

Die ältere Generation wird mit dem Namen Harald Deilmann vieles verbinden, die jüngere Generation kaum noch etwas, auch wenn sie seine Bauten zunehmend aufspürt. Gemeinsam kann sein Werk nun erstmals im Baukunstarchiv NRW wiederentdeckt werden.

Harald Deilmann prägte mit seinen Bauwerken in nahezu allen Baugattungen die Architekturentwicklung in Deutschland, insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren. Sein Wirken als Architekt und Stadtplaner sowie als Hochschullehrer in Stuttgart (1962 - 1969) und Dortmund (1969 - 1985) – hier war er Mitbegründer des „Dortmunder Modells“ – war vielfältig. Als Preisrichter und Berater für Politik und Kommunen sowie als Kunstförderer nahm er zudem weitere Perspektiven für die Baukultur ein.

Über ein halbes Jahrhundert – vom Wiederaufbau bis zur Berliner Republik – hat er als bauender Architekt, aber auch als forschender Architekturlehrer Maßstäbe in allen anstehenden Bauaufgaben seiner Zeit gesetzt. Seine Bauten sind daher zumeist Ausdruck gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Neuerungen, ob im Schul- und Krankenhausbau, im Verwaltungs- und Geschäftshausbau, ob bei Kirchen, Kulturbauten und Wohnhäusern. Mit seinen Entwürfen suchte er stets das Wesentliche einer Aufgabe zu ergründen und in eine originäre Gestalt münden zu lassen. Sein Entwurfsansatz basierte auf der Prämisse, dass sich das Typologische und das Schöpferische eines Bauwerks bedingen.

Innovative Ansätze in vielen Dimensionen

Als das Land Nordrhein-Westfalen Harald Deilmann 1962 mit dem Staatspreis für Baukultur ausgezeichnete, wurde die Gestalt seiner Bauten als „lebendige Architektur“ gewürdigt: Lebendig im Hinblick auf die Anpassung an geprägte Orte und bewegte Topografien, lebendig im Hinblick auf den Raum mit seinen verschiedenen Ebenen und Übergängen, lebendig im Hinblick auf potenzielle Nutzungen, lebendig im Hinblick auf die Flexibilität ermöglichende Konstruktion, lebendig im Hinblick auf den Einsatz von Material und Licht und nicht zuletzt lebendig im Hinblick in der Auseinandersetzung mit der Kunst. In der Summe stehen die Bauten von Deilmann für eine abwechslungsreiche und offene Gestalt, die zudem auch planvoll verändert werden konnte.

Nach Sichtung seines Nachlasses, der als einer der umfangreichsten im Baukunstkunstarchiv NRW liegt, wurden aus den über 1700 verzeichneten Projekten beispielhaft über 80 Bauten und Projekte ausgewählt. Darunter sind seinerzeit publizierte Bauten und Entwürfe wie auch bislang unveröffentlichte Projekte. Sie reichen im Maßstab von Ladeneinrichtungen und Wohnhäusern über Kirchen und Krankenhäuser bis hin zu gebauten Großstrukturen wie Schulzentren und Verwaltungsbauten. Mit einem Fernsehturm, einem Flugsimulator, Spielbanken und einem Zoo zählen auch ungewöhnliche Bauaufgaben dazu.

Ausstellung zeigt „Deilmann-Stadt“

Nach Bauaufgaben gegliedert, werden die Projekte in der Ausstellung im Lichthof des Baukunstarchivs NRW in szenografisch entwickelten Rahmenbauten gezeigt, die wiederum als Summe eine lebendige „Deilmann-Stadt“ bilden. Ebenso würdigt ein biographischer Teil die Person Harald Deilmann und veranschaulicht die verschiedenen Lebensstationen mit persönlichen Dokumenten und Gegenständen aus dem Nachlass. Eine große Anzahl von Aufnahmen hat die Ausstellung hierbei dem Fotografen Friedhelm Thomas zu verdanken, der das frühe Deilmann-Werk begleitete.

Ein weiter Weg zur Architektur

In Gladbeck geboren, kam Harald Deilmann bereits in der Jugend nach Münster und absolvierte hier 1938 sein Abitur. Der unmittelbar sich anschließende Kriegsdienst führte ihn an verschiedene Schauplätze im Zweiten Weltkrieg – nach Polen, Frankreich, Russland und Nordafrika. In Kriegsgefangenschaft in den USA belegte er ab 1943 in einer Lagerakademie erste Architekturseminare, die seinen Berufswunsch beförderten. Nach der Rückkehr nach Deutschland 1946 konnte er sein Architekturstudium an der Technischen Universität Stuttgart fortsetzen und 1948 mit Diplom abschließen.

Wichtige Mentoren waren für ihn Richard Döcker (Städtebau), Hans Volkart (Gebäudelehre), Rolf Gutbrod (Entwerfen) und Günter Wilhelm (Baukonstruktion). Zügig hatte er nicht nur sein Studium organisiert, ebenso zielstrebig unternahm er erste Projekte. Zunächst noch zusammen mit Gutbrod und Wilhelm in Stuttgart, ab 1950 mit Heinrich Bartmann in Sozietät wieder zurück in Münster. Wenig später schuf er mit dem „Architektenteam“ (Deilmann, von Hausen, Rave, Ruhnau) das gefeierte Theater in Münster (1952 - 56).

Nutzungsorientiert mit hoher Ausdruckskraft

Doch bereits im Jahr 1955 gründete er sein eigenes Büro. Frühe Großbauten stellten die Kurklinik Bad Salzuflen (1957) und die Fachklinik Engelskirchen (1961) dar. Sie zeigten bereits seinen umfassenden Ansatz einer „Lebendigen Architektur“, mit der er sich früh schon von allzu schematischen Bauten, die landauf landab in großer Anzahl entstanden, absetzen wollte. Seine Bauten nutzte er als Gegenbeweis, gedacht ohne großes Pathos und doch mit hoher Ausdruckskraft. Orientiert an den kulturellen Entwicklungen in Europa, USA und Japan unternahm Harald Deilmann den Versuch, seinen Entwürfen stets eine unverwechselbare Gestalt zu geben. Mit seiner Zuschreibung als „exemplarische Unikate“ betonte er seine Suche nach einer Verbindung von System und Schöpfung, von Logik und Intuition. Zu den wichtigsten Gebäuden zählen - neben seinen Wohnhäusern der 1950/60er-Jahre - die WestLotto-Bauten in Münster (1960, 1978), das Volkswohlbund-Haus in Münster (1968), das Kirchenzentrum St. Anna in Münster (1972), das Clemens-Sels-Museum in Neuss (1975), die Bauten der Westdeutschen Landesbank in Münster (1975), Dortmund (1978), Luxemburg (1979) und Düsseldorf (1982) sowie der Rheinturm in Düsseldorf (1982). Seine Schulbauten in Dorsten, Bielefeld, Versmold, Lemgo und Altlünen sowie die John F. Kennedy-Schule in Berlin setzten in den 1960er-Jahren neue Maßstäbe im Bildungsbau. Mit seinen Rathäusern in Rheda-Wiedenbrück, Gronau und Minden erprobte Deilmann in den 1970er-Jahren urbane Nutzungskonzepte. Die Frage des Wohnens erforschte er grundlegend; und er entwarf neuartige Wohnformen in vielgestaltiger Typologie: vom Einfamilienhaus bis hin zum Wohnturm, vom Appartmentblock bis hin zur Wohnsiedlung.

Mit der Realisierung des Aalto-Theaters in Essen (1988) – nach Plänen von Alvar Aalto aus dem Jahr 1959 – konnte Deilmann zwei lebenslange Forschungsinteressen gleichsam verbinden: den Theaterbau und seine Leidenschaft für Alvar Aalto (1898 - 1976), der ihn schon früh geprägt hatte. Knapp zehn Jahre später konnte mit dem Nationaltheater Tokio (1986-1997) ein weiterer Theaterbau von Deilmann (zusammen mit Takahiko Yaganisawa) eingeweiht werden.

Umgang mit Deilmann-Bauten

Die Ausstellung thematisiert auch die aktuelle Frage des Umgangs mit seinem Werk: Einzelne Bauten stehen bereits unter Denkmalschutz und wurden saniert oder erweitert, andere inzwischen abgerissen; weitere werden derzeit neu entdeckt und eignen sich für den Weiterbau. Die Ausstellung bietet nun Gelegenheit, einen heutigen Blick auf sein vielgestaltiges Lebenswerk zu werfen.

Die Ausstellung „Harald Deilmann – Lebendige Architektur“ wird vom 27. August bis zum 7. November 2021 im Baukunstarchiv NRW in Dortmund zu sehen sein. Führungen auf Anfrage. Zur Ausstellung erscheint ein begleitender Katalog in der Reihe des Baukunstarchivs NRW im Verlag Kettler, Dortmund. Die Ausstellung und der Katalog werden von der LWL-Kulturstiftung und der Andreas Deilmann Familienstiftung gefördert. / Kurator: Stefan Rethfeld, Münster / Ausstellungskonzept: Stefan Rethfeld / Ursula Kleefisch-Jobst, Museum der Baukultur Nordrhein-Westfalen / Ausstellungsgestaltung: Martin Sinken (sinken architekten, Köln) sowie Matthias und Jule Steffen (kikkerbillen_Büro für Gestaltung, Köln); Produktion: designbauwerk (Köln).

Info: www.baukunstarchiv.nrw.

 

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