Ausstellung: Kult-Stühle von Thonet im Medienhafen
„Es ist schwerer, einen guten Stuhl zu bauen als einen Wolkenkratzer.“ Mit diesem Zitat von Mies van der Rohe begrüßte der Präsident der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen am 16. Juli rund 150 Architektur- und Designinteressierte zur Eröffnung der Ausstellung „Pioniere der Sitzkultur - THONET“. Noch bis zum 6. September 2013 sind im Haus der Architekten im Düsseldorfer Medienhafen Stühle aus 150 Jahren zu sehen, darunter viele Klassiker wie der „Konsumstuhl Nr. 14“ oder der Freischwinger von Marcel Breuer. Darüber hinaus vermittelt die Ausstellung Informationen zur Technik und zur Philosophie des Stuhlbaus.
Stühle gestalten Räume und beeinflussen Raumwirkungen. Vor diesem Hintergrund waren immer wieder Architekten im Möbeldesign aktiv und erfolgreich: Für Thonet arbeiteten im Laufe der Jahrzehnte nicht nur viele Bauhaus-Lehrer wie Mart Stam, sondern auch später renommierte Architekten wie Verner Panton oder Sir Norman Foster.
Der „Konsumstuhl Nummer 14“, später 214, ist bis heute der erfolgreichste Stuhl der Welt. Entwickelt wurde er bereits 1859, als Michael Thonet die Grenzen beim Biegen von massivem Holz bis zum Äußersten testete. Arbeitsteilig gefertigt und einfach zerlegbar, markierte der Stuhl eine Zäsur in der Möbelgestaltung am Übergang zur industriellen Fertigung. Vor allem eignete sich der Stuhl für den kostengünstigen Versand, da er zerlegt in einem flachen Paket ausgeliefert wurde. Die Montage erfolgte erst vor Ort, wobei die Verbindung der gebogenen Teile durch Schrauben erfolgte – nicht wie üblich mit Leim. Der Stuhl, dessen Rückenlehne schlicht von zwei gebogenen Holzstäben gebildet wird, besteht aus einer minimalen Anzahl von nur sechs Teilen plus 10 Schrauben und zwei Muttern. Michael Thonet reduzierte Form und Material, bis keine Verbesserung mehr möglich war, um ihn mit dem geringsten Fertigungsaufwand herzustellen.
In der Ausstellung sind weitere Bugholz-Möbel aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zu sehen, einige von ihnen Ikonen des Möbeldesigns.
„Die Stahlrohrmöbel wurden in den 1930er Jahren der zweite große Erfolg unseres Familienbetriebs“, beschrieb Felix Thonet die zentralen Etappen der Thonet-Firmengeschichte. Der Ur-Ur-Urenkel des Erfinders Michael Thonet leitet seit 2004 den ThonetShop im Düsseldorfer Medienhafen. Sein Vater Claus M. Thonet bekräftigte in einem Talk mit AKNW-Präsident Hartmut Miksch und dem Architekten und Designfachmann Peter Ellenberg, dass Thonet zwar ein zeitloses Design anstrebe, aber gleichwohl mit der Zeit gehe. Immer wieder hätten Architekten und Designer neue Ideen und Materialien eingebracht, die alle eine Gemeinsamkeit verbinde, nämlich die Materialverformung durch Biegung bzw. gebogene Strukturen.
Peter Ellenberg verwies darauf, dass Thonet-Stühle schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts weltweit verkauft wurden. Der „Konsumstuhl Nr. 14“ sei in Südamerika genauso anzutreffen wie auf dem Markt in Kairo. „Damals wurde dieser Stuhl zu einem relativ niedrigen Preis verkauft - er hieß auch Drei-Kronen-Stuhl“, erklärte der „Thonetologe“ Ellenberg. Dies entspreche nach heutiger Kaufkraft dem Gegenwert eines Kasten Biers. Möglich wurde diese Preisgestaltung durch industrielle Fertigung. Zerlegt passen 36 Stühle in eine Transportkiste von einem Kubikmeter; ein Beispiel ist im Haus der Architekten ausgestellt.
Kostenreduzierend wirkte sich auch die Biegeholztechnik aus: Mussten ungewöhnliche Formen für Holzmöbel zuvor aufwändig aus ganzen Balken geschnitten werden (mit entsprechenden Material und Arbeitskosten), war die neue Technik deutlich sparsamer und ermöglichte eine stark arbeitsteilige Produktionsweise.
„Michael Thonet hat eigentlich die Fließbandproduktion vorweg genommen“, spitzte der Moderator der Talkrunde auf der Vernissage, Dr. René Spitz, zu. Er fragte intensiv nach den Eigenschaften, die einen Stuhl zu einem Klassiker machen.
Hartmut Miksch betonte, die Qualität der Thonet-Klassiker ergebe sich aus dem Dreiklang von ästhetischer Gestaltung, guter Funktionalität und angemessenem Preis. Unter Aspekten der Nachhaltigkeit sei die lange Lebensdauer hervorzuheben: „Es ist wie in der Architektur: Eine gute Planung hat dauerhaft Bestand und spart damit auch auf mittlere bis lange Sicht Kosten“, unterstrich der Präsident der Architektenkammer NRW.
Peter Ellenberg konnte dies aus eigener Erfahrung bekräftigen. Er sammelt seit den 1970er Jahren Thonet-Stühle und hat viele Exemplare auf Trödelmärkten in Süddeutschland und dem Elsass gefunden. „Mit einigen Reparaturarbeiten konnte ich aus diesen beschädigten Funden neue Werte schaffen – finanziell wie auch ideell“, so der Architekt und Thonet-Fachmann, dem Claus M. Thonet bescheinigte, zur Steigerung des Marken-Images beigetragen zu haben. „Es gibt eine Reihe von Fachleuten, die über Thonet-Produkte arbeiten und publizieren. Dies trägt natürlich zum Ansehen unserer Stühle in qualitätsorientierten Kreisen bei.“
Auch die Architektenkammer Nordrhein-westfalen erwies sich als ein solcher zufriedener Thonet-Kunde: Die Bestuhlung im großen Seminarraum im Haus der Architekten stammt – wie sich im Verlauf der Vernissage spontan erwies – aus dem Hause Thonet.
Biegemaschine live erleben:
Ein besonderes Event findet am 1. August in Düsseldorf statt: An dem Tag macht die „mobile Biegeeinheit“ Station im Haus der Architekten, mit der demonstriert wird, wie mit heißem Dampf und Muskelkraft Holz gebogen wird. Anmeldung erbeten unter teilnahme@aknw.de.
Teilen via