Baukunst-Lecture: Verantwortungsvoll Bauen im Bestand
Wie lässt sich gestalterisch und technologisch zeitgemäß, aber unter Berücksichtigung vernakulärer Traditionen planen und bauen? In diesem Spannungsfeld arbeitet seit rund 20 Jahren das spanische Architekturbüro „Harquitectes“ aus Barcelona. In der jüngsten Baukunst-Lecture an der Kunstakademie Düsseldorf stellte Josep Ricart Ulldemolins die Philosophie und aktuelle Arbeiten des renommierten, vielfach ausgezeichneten spanischen Architekturbüros vor. Der Veranstaltung, die von der Akademie in Kooperation mit der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen und Baukultur NRW durchgeführt wird, kamen am 22. Mai über 100 Interessierte.
Wie Dr. Jaume Mayol Amengual, Professor an der Kunstakademie Düsseldorf, in seiner thematischen Einführung sagte, konnte Josep Ricart schon in der gemeinsamen Studienzeit in Barcelona mit einer einfühlsamen, umweltsensiblen Architekturhaltung überzeugen. „Er kann Funktionen in Häusern schaffen, die man nicht zeichnen kann, aber kreieren; die man nicht greifen kann, aber fühlen.“
Speziell statt spezialisiert
„Wir versuchen, nicht spezialisierte Räume zu schaffen, sondern spezielle, besondere Orte“, erläuterte Josep Ricart den Ansatz des Büros „Harquitectes“. Die ökologische Herausforderung habe das Büro bei Gründung vor rund 20 Jahren nicht mit High-Tec-Lösungen beantworten können; dazu habe den Klienten inmitten der Finanzkrise das Geld gefehlt. „Stattdessen haben wir uns auf Geometrie und Materialkunde besonnen“, blickte der spanische Architekt zurück. Planerinnen und Planer müssten sich heute wieder daran erinnern, dass die Natur ein wesentliches Element sei, wenn es darum geht, angenehme und lebenswerte Räume zu schaffen. „Wenn wir mit wenig Technik, nachwachsenden Baustoffen, mit der Baumasse und viel Grün arbeiten, geht es uns nicht nur um eine nachhaltige, ökologische Architektur. Es geht um wunderbare Räume mit Atmosphäre!“
Natürliche Belüftung und Grün
Ein zentrales Motiv in der Architektur von „Harquitectes“ ist die Belüftung von Bauwerken. „Wir nutzen natürliche Phänomene, die uns einen Teil der Struktur unserer Entwürfe vorgeben“, berichtete Josep Ricart. Als Beispiel präsentierte er das „Casa 1721“: Ein Wohnhaus, das über ein vier Geschosse hochgezogenes Atrium verfügt. Der Kamineffekt sorge für eine natürliche Klimatisierung; „eine echte Low-Tec-Lösung“, so Josep Ricart.
Eine weitere Lüftungsvariante stellte der spanische Architekt mit einer Industriehalle für 200 Mitarbeitende vor, die über klassische Sheddächer natürlich gelüftet werden kann. Die Arbeitsräume sind nach Arbeitsgruppen jeweils um begrünte Innenhöfe platziert, deren Fenster weit geöffnet werden können.
Ein weiteres Ziel in der Philosophie des Büros Harquitectes ist es, Räume zu schaffen, die Bezüge zu Erinnerung und Zeit herstellen. Dazu werden Überreste aus Bestandsbauen in Neubauten eingefügt. Zudem spiele die soziale Dimension eine wichtige Rolle. Ein Beispiel dafür sei ein „Social Housing“-Projekt in Palma de Mallorca, das eine alte Schule ersetzte. Hier wurden Backsteine des Vorgängerbaus vorsichtig rückgebaut und für das neue Projekt wiederverwendet. Harquitectes gossen die Steine in Betonblöcke, um das Material zu verwerten, aber auch, um eine terrazzoartige Struktur der Baublöcke zu schaffen, die Geschichte atmet.
Reversibel weiterbauen
„Angemessenes und Reversibles“ nannte Florian Voigt seinen Vortrag. Das Büro Voigt Architekten arbeitet seit den 1990er Jahren in Leipzig. Florian Voigt kehrte nach dem Architekturstudium in Weimar und Stationen in verschiedenen internationalen Architekturbüros in seine Heimat zurück und arbeitet seit 2018 im Familienbüro mit seiner Mutter und seinem Bruder.
Nach der Wende arbeitete das Büro Voigt intensiv an der Sanierung und Wiederherstellung von Ruinen – Fabrikantenvillen, Jahrhundertwendewohnhäuser, auch Kirchen, die schon lange leergefallen waren. „Mich selbst hat die Arbeit in der Schweiz sehr geprägt“, berichtete Florian Voigt dem Auditorium der Lecture in der Kunstakademie Düsseldorf.
Bestand nutzen und behutsam ergänzen
So habe das Büro Voigt etwa eine Hausruine an der tschechischen Grenze erworben, das Florian Voigt in der Basis sanierte und um ein hohes, durch zwei Giebel charakterisiertes Holzdach ergänzte. „Im Kern ist unser ‚Waldhaus‘ ein großer, offener Raum, der mit wenig Technik auskommt und mit natürlichem Material aus der Region realisiert wurde.“ Danach habe er sich auf kleine Projekte kapriziert, die den Bestand wertschätzen und vorsichtige Ergänzungen platzieren. Beispiel: Die „Blechbüchse“: ein Anbau zum Garten an ein freistehendes, altes Einfamilienhaus in Leipzig. Eine Stahlstruktur trägt den Raum, der Innenausbau erfolgte aus Holz. „Es ging mir darum, das Bestandsgebäude möglichst wenig zu zerstören oder zu beeinträchtigen“, so Florian Voigt. Der Anbau sei reversibel, das verbaute Material wieder nutzbar.
Als drittes Projekt stellte Florian Voigt die Theaterwerkstätten Eisenach (2020 – 24) vor. Auch hier wurde ein Ergänzungsbau konzipiert, der notwendige Lagerfläche für Bühnenmaterial bietet und eine Probebühne umfasst. In Anlehnung an die Eisenacher Tradition des Fachwerkbaus wurde hier eine Holzkonstruktion gewählt; die Fassade besteht auf transluzentem Material. „Wir haben auf jede Technik verzichtet; im Prinzip handelt es sich um ein großes Lagerhaus.“
Im Dialog schilderten die beiden Referenten ihre individuellen Arbeitsphilosophien. Josep Ricart betrachtet den Arbeitsprozess mit seinen drei Partnern, die allesamt seit Studienzeiten befreundet seien, als nicht-endenden Dialog. „Wir verfolgen keine Dogmen, sondern diskutieren Lösungsansätze, vergleichen, streiten auch manchmal. Aber es ist ein produktiver Prozess, der uns wachsen lässt.“ Florian Voigt erarbeitet Projekte ebenfalls im Austausch mit seinen Familienmitgliedern. „Jeder hat aber seine Schwerpunkte und seine Projekte, die wir verantworten.“ Die Bestandsarbeit sei nicht nur notwendig und ein großes Auftragsfeld, sondern stelle auch immer wieder eine Herausforderung dar. „Das ist ökologisch sinnvoll, historisch wertvoll und für mich als Architekt immer wieder eine Bereicherung“, resümierte Florian Voigt.
Nächste Lecture im Herbst 2023.
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