Kommentar: Baustelle Chancengleichheit

Gleichberechtigung ist immer noch eine Baustelle. Die aktuelle Gehaltsstudie der Bundesarchitektenkammer zeigt dies deutlich: Nach wie vor gibt es signifikante Gehaltsunterschiede zwischen Architektinnen und Architekten. Ein Kommentar von AKNW-Vizepräsidentin Katja Domschky.

12. Juli 2021
Portraitfoto von Katja Domschky
Dipl.-Ing. Katja Domschky, Vizepräsidentin der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen - Foto: Dirk Rose

Chancengleichheit?

Herrje, können Sie das Thema auch nicht mehr hören? Das kann ich gut verstehen! Aber: die Bundesrepublik hat ein Grundgesetz, in dem unter Artikel 3 Absatz 2 steht: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Der Artikel ist seit 1949 in Kraft. Jetzt schreiben wir das Jahr 2021. Warum sind Frauen im Architekturberuf heute immer noch unterrepräsentiert? Obwohl der Beruf immer weiblicher wird: Seit Jahren sind mehr als die Hälfte der Studierenden in der Architektur weiblich, in den Architektenkammern steigt der Anteil der Eintragungen von Frauen in allen Fachrichtungen.

Gleichberechtigung ist immer noch eine Baustelle. Die aktuelle Gehaltsstudie der Bundesarchitektenkammer zeigt dies deutlich: Nach wie vor gibt es signifikante Gehaltsunterschiede zwischen Architektinnen und Architekten. Und zwar auch dann, wenn sich lohnrelevante Merkmale wie Arbeitsumfang, Berufserfahrung, Position im Unternehmen sowie Größe und Art des Arbeitgebers nicht unterscheiden. Die Studie zeigt außerdem, dass Architektinnen in Führungspositionen selten zu finden sind. Wie kann das sein? Die Zahlen zeigen, dass die Ursachen tiefer liegen und strukturell bedingt sind.
Dabei ist erfreulich, dass die Baustelle nicht stillsteht. Das Parlament der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen ist in den letzten Jahren weiblicher geworden. Während der Frauenanteil unter den gewählten Vertreterinnen und Vertretern 2000 noch bei 23 Prozent lag, setzen sich in der neuen Wahlperiode 42 % Kolleginnen in der Vertreterversammlung für die Belange der Mitglieder ein. Auch das Präsidium der AKNW ist seit diesem Jahr endlich paritätisch besetzt.

Im Herbst 2020 hat das Museum der Baukultur mit der tollen Ausstellung „Frau Architekt. Seit mehr als 100 Jahren: Frauen im Architekturberuf“ berufliche Werdegänge und vorbildliche Bauten von Architektinnen im „Haus der Architekten“ präsentiert und damit alte und neue Vorbilder gezeigt, die Identifikation ermöglichen und Mut machen, den Beruf zu ergreifen – auch gegen Widerstände. Während der Ausstellungszeit wurde das „Haus der Architekten“ zum „Haus der Architektinnen“. Nun ist es spannend, wie es mit dem Namen weitergeht. Das Kammerparlament hat im letzten Jahr beschlossen, die Namensgebung neu zu diskutieren.

Und ja, sich für Gleichberechtigung einzusetzen, bedeutet anzuerkennen, dass momentan nicht alle Menschen mit denselben Privilegien ausgestattet sind. Vorbilder sind wichtig. So achtet die AKNW schon seit Jahren auf paritätisch besetzte Podien, Vorträge und Veranstaltungen. Aktuell wird die Broschüre „Arbeitszeitmodelle“ überarbeitet. Die Pandemie hat auch hier die Diskussion beschleunigt. Wir müssen uns verabschieden von den starren Arbeitsstrukturen unserer Branche und den in Beton gegossenen Rollenbildern, dass Frauen für die Familie zuständig sind und selbstverständlich in Teilzeit arbeiten. Faire Arbeitsbedingungen, paritätische Teams und eine gute Arbeitskultur führen zu besseren Arbeitsbedingungen und kommen allen zugute. Auch den Männern. Und der Baukultur!

Über gendergerechte Sprache möchte ich an dieser Stelle gar nicht erst sprechen – die positive Wirkung von geschlechtergerechter Sprache ist wissenschaftlich längst erwiesen. Gleichwohl ist die Chancengleichheit nicht mit dem Gendersternchen erledigt. Aber es hilft, Diversität sichtbar zu machen.
Die AKNW hat einen Arbeitskreis Chancengleichheit, wir sind auch auf Bundes- und Europaebene in entsprechenden Gremien aktiv. Wie die vielen Gewerke auf der Baustelle arbeiten sie Hand in Hand, für Vielfalt und Fairness. Seien Sie gespannt, die ersten Ergebnisse sollen bald vorliegen.

Lassen Sie uns einen offenen Diskurs über aktuelle Berufs- und Rollenbilder führen. Eine Herausforderung? Diskutieren Sie gerne mit Ihrer Kammer, sprechen Sie mich auch persönlich an. Und wenn die Baustelle Chancengleichheit vollendet ist, geht die freiwerdende Energie in andere relevante Projekte für unseren Berufsstand. Das verspreche ich Ihnen.

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