Villa Hügel: Bauwerk als Spiegel der Familienhistorie
Zum runden Geburtstag im Februar kam sogar der Bundespräsident nach Essen. Die Villa Hügel stand an ihrem 150. Jahrestag wieder einmal im Mittepunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit und konnte einmal mehr ihre lange Tradition mächtiger Besucher fortsetzen: Von Kaiser Wilhelm II über Reichskanzler Hitler bis zu gekrönten Häuptern und Wirtschaftsführern aus aller Welt reicht die Gästeliste der Villa, die Alfred Krupp, der Sohn des Firmengründers, 1871 bis 1873 als Familienwohnsitz errichten ließ. Bis 1945 erfüllte das Haus diese Funktion; anschließend diente der Ort den Alliierten als Sitz der „Combined Coal Group“, bevor er 1953 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde und seitdem als Museum mit Kunstausstellungen eine wichtige Rolle im kulturellen Leben der Stadt Essens und des Ruhrgebiets spielt.
Der Galaabend mit dem Bundespräsidenten war Auftakt zu einem Festprogramm, das sich mit abendlichen Licht- und Soundinstallationen rund um die Villa, sommerlichen Open-Air-Konzerten im Park und Filmabenden im Wohnzimmer der Krupps in diesem Jahr noch stärker als zuvor dem Publikum öffnet. Ein soziales Förderprojekt „150 Projekte für das Ruhrgebiet“ wurde ausgeschrieben, während vor Ort Führungen zu bisher nicht zugänglichen Räumen stattfinden, darunter die geräumige Großküche sowie ein Schwimmbad im Keller, das mit grünen Keramiken ausgekleidet wurde und erst unlängst durch den Einbau originalgetreuer Fliesen aus der Staatlichen Karlsruher Majolika-Manufaktur erneuert wurde. Auch an der Empore der oberen Halle kommt man vorbei, auf der die Fa-milie eine eigens aus den USA importierte Orgel einbauen ließ. 269 Räume und 8.100 Quadratmeter Wohn- und Nutzfläche beherbergt der Riesenkomplex, in dem zeitweise 650 Bedienstete, untergebracht in zwei separaten Zimmerfluchten im Dachgeschoss, für das Wohl der Hausherren- und -damen und ihrer Gäste sorgten.
Die Baugeschichte der Krupp-Villa selbst ist nicht unkompliziert. Leitend war der Wunsch Alfred Krupps nach einem großzügigen Landhaus mit hohem häuslichen „Comfort“ einerseits, einem Logierhaus für Gäste andererseits, wodurch der Doppelhauscharakter der Anlage resultierte. Ferner sollten die Gebäude technisch auf neuestem Stand sein, wozu eine aufwändige Haustechnik mit Lüftungs- und Heizungsanlage installiert wurde, die das aus der Ruhr hochgepumpte Wasser in Kesseln im Keller erwärmte. Hingegen blieb die Lüftungsanlage eine Dauerbaustelle, die erst Jahre später zufriedenstellend arbeitete.
Beeindruckend auch heute ist die gusseiserne, rundum verglaste Dachgalerie, die durch die transparente, gewölbte Kassettendecke die ansonsten fensterlose obere Halle mit Tageslicht versorgt. Das Äußere des Baus ist stilistisch von einem repräsentativen Neoklassizismus geprägt; der Sandstein für die Fassade wurde aus Steinbrüchen im französischen Chantilly antransportiert. Ob es Vorbilder gab, ist bisher unbekannt, doch dürfte Alfred Krupp das Château Ferrières bei Paris, der Landsitz der Familie Rothschild, auf dem sich 1870 Bismarck und der französische Außenminister Jules Favre zu Verhandlungen trafen, nicht unbekannt gewesen sein. Baron James de Rothschild hatte den Familiensitz zwischen 1855 und 1859 von dem englischen Architekten Joseph Paxton in vergleichbar Dimensionen und ebenfalls auf einer Stahlkonstruktion aufbauend errichten lassen; es kommt als Vorbild der Villa Hügel durchaus in Frage.
An Planung und Bau der Villa Hügel waren nicht wenige Personen beteiligt. Von Alfred Krupp selbst stammen die ersten Zeichnungen; die Leitung übernahm zunächst das unternehmenseigene Baubüro unter Ferdinand Barchewitz; dann kamen Architekten wie Paul Emanuel Spieker aus Berlin, Julius Emmerich, Gustav Diechmann oder Julius Rasch hinzu, die alle früher oder später in Konflikt mit dem Bauherrn gerieten, der ebenso wie bei der Gestaltung der Parkanlage seine eigenen Vorstellungen durchsetzte.
Bei den Erneuerungen des Inneren in den Jahren zwischen 1910 und ca. 1915 finden sich bekannte Namen wie der Berliner Hofarchitekt Ernst von Ihne sowie Paul Schultze-Naumburg, der kurz zuvor Schloss Cecilienhof in Potsdam im englischen Tudorstil geplant hatte. Damals erhielten die nun mit flämischen Wandteppichen ausgestatteten Salons der Villa Hügel, die Arbeitszimmer und Kabinette neue Verkleidungen durch Holzvertäfelungen, wurden schlanke Eisensäulen durch Stuck ummantelt und die Treppenhäuser mit geschnitzter Flechtornamentik dekoriert. Der ursprünglich moderne Industriecharakter wich einer stilistisch heterogenen historisierenden Opulenz, die den Besucher noch heute umfängt.
Die Villa Hügel spiegelt in ihrer kontinuierlichen, ohne Zerstörungen durch Kriege erhaltenen Baugeschichte eine Familiengeschichte mit ihren wechselnden Ideen und Geschmacksrichtungen wider – ein selten geschichtsträchtiger Ort, der nach wie vor Eindruck zu machen versteht.
Weitere Info: https://www.krupp-stiftung.de/150jahrehuegel/
Teilen via