Lebendig ging es zu im Austausch zwischen Prof. Yasemin Utku (TH Köln/STADTGUUT, Bochum) sowie ihren Mitdiskutant*innen Architektin Susanne Künster (Landmarken AG), Architekt Dionys Ottl (Hild und K, München/Berlin) sowie Moderator und Comedian Klaus-Jürgen Deuser, der die Gesprächsführung des Architekturquartetts übernahm. - Foto: Mathias Kehren / Architektenkammer NRW

Architekturquartett NRW: Bestand schätzen und weiterentwickeln! - Best-of-Video online

„Dem Bestand gehört die Zukunft – wir haben überhaupt keine Alternative.“ – Diese Worte richtete Prof. Yasemin Utku in Dortmund an das Publikum des 17. Architekturquartett NRW. Unter dem Motto „Umbaukultur!“ hatte die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen zu einer baukulturellen Debatte ins Dortmunder U eingeladen. Dass rund 250 AKNW-Mitglieder und Baukultur-Interessierte die Diskussionsrunde im historischen Brauturm verfolgten und weitere 85 Zuschauer*innen den Livestream eingeschaltet hatten, zeigte das große Interesse an dem Thema – und dem ebenso informativen wie unterhaltsamen Format. Jetzt ist das Best-of-Video auf dem AKNW-YouTube-Kanal online.

18. Dezember 2024von Lea Pawelzik

Lebendig ging es zu im Austausch zwischen Prof. Utku sowie ihren Mitdiskutant*innen Architektin Susanne Künster (Technische Projektleitung, Landmarken AG), Architekt Dionys Ottl (Hild und K, München/Berlin) sowie Moderator und Comedian Klaus-Jürgen Deuser, der die Gesprächsführung des Architekturquartetts übernahm.

Der frühere Brauereiturm in der Dortmunder Innenstadt bildete – als Umnutzungsobjekt – einen passenden Rahmen für die Veranstaltung, die sich mit der Frage befasste, wie Bestandsbauten, die aus der Nutzung gefallen sind, erhalten und mit neuen Nutzungen belegt werden können. „Wir brauchen als Gesellschaft ein neues Verständnis für die dauerhafte Nutzung wertiger, wertvoller Objekte“, appellierte AKNW-Präsident Ernst Uhing in seiner Begrüßung an das Architekturquartett-Publikum. Mit ihrer politischen Forderung nach der Einführung einer „Oldtimer-Regelung“ ins Baurecht werbe die Architektenkammer NRW dafür, dass beim Umbau oder bei der Sanierung von Bestandsgebäuden die Auflagen anzuwenden sein sollen, die zur Entstehungszeit eines Bauwerks gültig waren – jedenfalls in den Bereichen, die eher dem Komfort als der Sicherheit dienen.

Christof Rose, Abteilungsleiter Medien + Kommunikation der Architektenkammer NRW, stellte dem Publikum die drei Projekte, über die das Architekturquartett NRW diskutieren wollte, mit vielen Fotos und Videosequenzen vor. Die Diskutant*innen hatten die Projekte am selben Tag bereist und hatten sich in geführten Rundgängen ein Bild vor Ort machen können.

Industriekultur als Eventlocation

Den Auftakt für die Diskussion machte das ehemalige „Salzlager“ der Kokerei Hansa, das im Auftrag der Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur vom Essener Büro Böll Architekten zu einer Eventlocation umgebaut worden war. Das stark verfallene und einsturzgefährdete Salzlager der Dortmunder Kokerei wurde aufwendig saniert und mit ergänzenden Anbauten für die neue Nutzung ertüchtigt. Dabei wurden die historischen Maschinen größtenteils erhalten, sodass in der Veranstaltungshalle der technische Produktionsablauf aus der Kokereizeit weiterhin ablesbar bleibt. Die Einnahmen aus der Vermietung dienen der Erhaltung des gesamten Kokereigeländes.

„Der Ort ist so magisch, dass ich mir wünsche, dass die dauerhafte Nutzung klappt“, lobte der Münchner Architekt Dionys Ottl das Umbauprojekt. Susanne Künster vertrat als Projektleiterin bei der Landmarken AG die Investorinnen-Perspektive in der Runde. Sie erläuterte, von dem Projekt könne man lernen, dass nicht immer alles auf einmal passieren müsse, wenn die Mittel nicht sofort da wären. Die Umsetzung sei in drei Bauabschnitten erfolgt, wobei im ersten Schritt auf die Substanzerhaltung fokussiert wurde.

„So spannende Orte haben ein Potenzial – und das muss man auch nutzen“, meinte Klaus-Jürgen Deuser, der die Chance vor allem darin sah, über den besonderen Ort wieder mehr Leute für Kulturveranstaltungen zu begeistern. Kleine Kritik gab es aus seiner Sicht nur an der Bühnensituation, bei der es insbesondere hinsichtlich des Bühnenzugangs noch Optimierungsbedarf gäbe. Prof. Yasemin Utku würdigte den sehr respektvollen Umgang mit dem Bestand durch Böll Architekten.

Mischnutzung im ehemaligen Kaufhaus

Mit dem „Marktquartier“ in Recklinghausen stand ein Kaufhaus-Umbau zur Diskussion. Bei dem Projekt, in dem die AIP-Unternehmensgruppe sowohl den Entwurf als auch die Projektentwicklung übernommen hatte, war das ehemalige Karstadt-Haus in Recklinghausen zu einem Mixed-Use-Komplex umgebaut worden. Entstanden sind dabei unter anderem Flächen für Seniorenwohnungen, Gastronomie, eine Kita, Gewerbe und Büro sowie ein Neubauriegel für die Hotelnutzung.

„Das Thema ‚Kaufhäuser in Innenstädten‘ ist ein sehr brisantes, das dringend angegangen werden muss. Und ich finde es mutig, dass man den Umbau hier gewagt hat“, so Susanne Künster. Gleichwohl merkte sie kritisch an, dass es in den nicht zum Recklinghäuser Markt gewandten Flächen noch Leerstände gäbe. Dionys Ottl hob besonders das Engagement der AIP-Unternehmensgruppe hervor, die in Zusammenarbeit mit der Stadt Recklinghausen das Konzept entwickelt hatte, auf Kapitalsuche gegangen war, das Projekt mitfinanziert hatte und nun auch betreibt und vermietet. Hinsichtlich zukünftiger Entwicklungen hinterfragte Ottl jedoch die Möglichkeiten zur Nachnutzung des Hotelriegels – bei einer Insolvenz der Hotelkette bliebe hier wenig Spielraum für neue Nutzungskonzepte. „Wenn wir heute neu bauen, dann müssen wir so bauen, dass man wieder etwas Neues daraus machen kann“, warf Ottl ein. Insgesamt fand das Mixed-Use-Konzept beim Architekturquartett großen Anklang. „Dass nicht eine große Nutzung eine andere große Nutzung ersetzt, sondern dass man das Projekt kleinteilig nutzungsgemischt realisiert hat – Hut ab“, lobte die Stadtplanungsprofessorin Yasemin Utku.

Ort der Begegnung: von der Kirche zur Kita

Das dritte Projekt des Abends war die Johanneskirche in Leverkusen. Die im Stadtteil Manfort gelegene Kirche wurde 1953/54 nach Plänen von Otto Bartning errichtet und war im Jahr 2020 entweiht worden. Der Kirchenkreis Leverkusen der Evangelischen Kirche im Rheinland suchte nach einer sinnvollen Nachnutzung und beauftragte schließlich das Düsseldorfer Büro „zweipink“ mit dem Umbau zu einer 5-zügigen, inklusiven Kindertagesstätte. Um dem Denkmalschutz gerecht zu werden, gestalteten zweipink alle Umbauten reversibel. Um den großen Dachraum von den zur Kita-Nutzung vorgesehenen Erdgeschossräumen thermisch zu trennen, wurde im Kirchenschiff eine Luftkissenfolie eingespannt, die durch ihre Transparenz das Dach und die Buntglasfenster der Kirche weiterhin sichtbar lässt.

„Ich finde es ist das mutigste Projekt von allen dreien“, zeigte sich Dionys Ottl begeistert. Das Projekt stehe für gelebte Umbaukultur, denn alle Einbauten ließen sich problemlos entfernen – ohne dass der Bestand Schaden nehme. Das Quartett hinterfragte jedoch, ob mit dem Bestand auch so behutsam umgegangen worden wäre, wenn die Kirche nicht unter Denkmalschutz gestanden hätte. Man müsse sich auch mit der „banalen“ Architektur beschäftigen und dieser mit Wertschätzung begegnen, bekräftigte Yasemin Utku. Auch sie fand positive Worte für das Projekt: „Es war ein Ort der Begegnung, und ist nun wieder ein Ort der Begegnung.“ Auch die Kinder könnten spüren, dass es sich hier um einen besonderen Ort handle.

Bestand wagen!

In seinem Fazit zeigte sich das Architekturquartett NRW einig darin, dass gute Beispiele für das Bauen im Bestand wichtig sind und eine Vorbildfunktion einnehmen können. Die Umsetzung erfordere Geduld, besonderes Engagement und mehr Kreativität als ein Neubau. Doch der Aufwand lohne sich. „Habt Mut, Euch an den Bestand zu wagen, und seid immer neugierig, was man alles aus dem Bestand machen kann“, richtete Susanne Künster sich an das Publikum. „Ich glaube, dass das Umbauen nur funktioniert, wenn es gepusht wird, wenn es sich im Mindset festsetzt – nicht nur bei den Architektinnen und Architekten, sondern auch auf Auftraggeberseite – und wenn es von allen Menschen gewünscht wird“, fasste Klaus-Jürgen Deuser die Erkenntnisse des Abends zusammen. „Just do it!“ - mit diesem Aufruf schloss Dionys Ottl die Diskussionsrunde des 17. Architekturquartetts NRW.

Architekturquartett NRW verpasst? Die Aufzeichnung des Livestreams ist auf den AKNW-YouTube-Kanal abrufbar.

Best-of: 17. Architekturquartett NRW

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