„Demografischer Wandel“ als Leitthema - Vertreterversammlung der AKNW tagte in Münster
„Die Landesregierung wird gebeten, ihre Bemühungen um die gesamtgesellschaftliche Aufgabe des demografischen Wandels zu verstärken (...)“ Was in diesem einstimmig von der Vertreterversammlung der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen am 27. Oktober in Münster verabschiedeten Antrag so diplomatisch formuliert wird, spitzte der Präsident der AKNW, Hartmut Miksch, in seiner Rede vor den rund 170 Delegierten des nordrhein-westfälischen Architektenparlaments deutlich zu: „Der Wohnungsbau und die Reaktion auf den demografischen Wandel unserer Gesellschaft sind Aufgaben, die dringlich und umfassend angegangen werden müssen.“ Mit Blick auf die Wohnungsbauförderung kündigte Miksch an, die Kammer werde die Landesregierung an ihren Zusagen messen. „Dabei werden wir insbesondere auch darauf achten, dass das Landeswohnungsbauvermögen nicht zu einem Selbstbedienungsladen für die Haushalts- und Finanzpolitik verkommt“, unterstrich der Präsident der Architektenkammer NRW.
Das Architektenparlament diskutierte in seiner Jahressitzung eine große Bandbreite berufspolitischer Anträge. So wurde u. a. die Bundesregierung aufgefordert, den im Rahmen der Koalitionsvereinbarung erteilten Prüfauftrag zur Schaffung eines eigenständigen Bauvertragsrechts im Sinne der überfälligen Abschaffung der gesamtschuldnerischen Haftung durch Architekten final zu bearbeiten. Mit Mehrheit angenommen wurde auch ein Antrag, gemeinsam mit den Länderarchitektenkammern ein Konzept zu entwickeln, mit dem die Wiedereinführung bzw. Rückgewinnung der „deutschen Qualitätsmarke Dipl.-Ing. unter den Rahmenbedingungen von Bologna umgesetzt werden kann“. Ziel der Initiative soll es sein, den hervorragenden Ruf, den der Diplom-Ingenieur im Ausland genießt, im Sinne der deutschen Architektinnen und Architekten, Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplaner zu nutzen.
Umsetzung der baupolitischen Ziele
An die Landesregierung richtete die Vertreterversammlung den eindringlichen Appell, die baupolitischen Ziele, die sich das Land selbst gesetzt hat, in der Praxis zur Anwendung zu bringen und den entsprechenden Haushaltstitel für das Ministerium für Bauen, Wohnen, Städtebau und Verkehr zu sichern. „Die Förderung von Planungswettbewerben bei öffentlichen Bauten in Höhe von 500 000 Euro muss erhalten bleiben“, so die konkrete Forderung des Architekten-parlaments. Gleichzeitig soll der Bau- und Liegenschaftsbetrieb (BLB NRW) dazu angehalten werden, künftig mehr Wettbewerbe durchzuführen.
Wohnungsmangel in NRW
Kritisch setzte sich Hartmut Miksch im „Bericht des Präsidenten“ mit dem Thema „Wohnungsbau in Nordrhein-Westfalen“ auseinander. Miksch resümierte die vielfältigen Aktivitäten, welche die Kammer u.a. im Aktionsbündnis „Impulse für den Wohnungsbau in NRW“ entfaltet habe. „Es müssen dringend mehr Wohnungen im mittleren und niedrigen Mietsegment geschaffen werden“, wiederholte Miksch die Kernaussage der AKNW. Er warnte vor einem Wohnungsmangel, der in Wachstumsstädten wie Köln und Düsseldorf, aber auch in Universitätsstädten wie Bielefeld und Münster bereits spürbar werde. Die Baufertigstellungszahlen sprächen Bände: So habe sich die Fertigstellungsquote im Zeitraum von 2000 bis 2010 nahezu halbiert auf nur noch 33 000 Einheiten - benötigt würden mindestens 60 000 Wohnungen im Jahr. „Wir haben in den letzten Monaten in Pressekonferenzen und in Gesprächen mit dem Parlament und der Landesregierung wiederholt auf dieses Missverhältnis hingewiesen - und ich bin froh, dass nun endlich auch die Medien das Thema umfassend aufgreifen.“
In Münster war das WDR-Fernsehen während der Vertreterversammlung präsent und griff in einem Interview mit Präsident Miksch die Forderung auf, den geförderten Wohnungsbau in NRW durch unterstützende Maßnahmen wieder voran zu bringen, um das soziale Gleichgewicht in den Städten nicht zu gefährden.
Klimaschutz und energetische Sanierung
„Mit dem alleinigen Einpacken des Gebäudebestands in Dämmung erreichen wir zu wenig!“ Hartmut Miksch warnte nicht nur vor dem Verlust baukultureller Zeugnisse durch den grassierenden „Dämmwahn“, der durch eine einseitige Förderung durch Bundesmittel möglicherweise sogar noch angeheizt werden könnte. Der Präsident der Architektenkammer mahnte vielmehr an, Gebäude als energetische Einheiten ganzheitlich zu betrachten und den Blick verstärkt vom Einzelbauwerk auf das Quartier zu lenken. „Wir stehen bei der energetischen Sanierung unseres Gebäudebestandes vor einer gewaltigen Herausforderung - technisch, gestalterisch und ökonomisch!“ Denn die notwendige Sanierung jener zwei Drittel des Gebäudebestandes, die vor 1977 gebaut wurden, würde schätzungsweise 90 Milliarden Euro kosten. Dies könne nur gelingen, wenn in breiter Front privates Kapital freigesetzt werden könnte. Und dazu wiederum bedürfe es verlässlicher politischer Rahmenbedingungen, die über Jahre Bestand haben und die eine attraktive Perspektive für private Bauherren und kleinere Investoren schüfen - beispielsweise eine verbesserte AfA.
Entlastung und Nachwahl Vorstand
Die Vertreterversammlung arbeitete in ihrer Sitzung am 27. Oktober in Münster auch eine Reihe von Formalien ab, die für die Selbstverwaltung des Berufsstandes unverzichtbar sind. So wurde der Jahresabschluss 2011 verabschiedet und der Vorstand einstimmig entlastet. Der Haushaltsplan für das Jahr 2013 mit einem Gesamtvolumen von 7,23 Millionen Euro wurde genehmigt. Die Beiträge werden entsprechend der Steigerungsquote der Lebenshaltungskosten in NRW um 2,17 % angepasst.
Mit Bedauern nahmen die Delegierten zur Kenntnis, dass das langjährige Vorstandsmitglied und der Vizepräsident der Bundesarchitektenkammer, Klaus Hecker, sein Amt aus Altergründen niederlegen wollte. Der 70-jährige Architekt aus Velbert, dessen Erfahrung und spontane Art viele Impulse in die Arbeit des Vorstands brachte, wollte Platz für jüngere Mitstreiter machen. Auf Vorschlag der Vereinigung Freischaffender Architekten VFA wurde der Dortmunder Architekt Martin Friedrich neu in den Vorstand gewählt.
Abschied mit Büttenrede
Ein weiterer Abschied kündigt sich an. Nach 36 Jahren Einsatz für die Architektinnen und Architekten in Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus wird der Justiziar und Geschäftsführer der Architektenkammer NRW, Joachim Hoffmüller, Ende Januar 2013 seine Tätigkeit in der Geschäftsstelle beenden und in den Ruhestand eintreten. Mit einer gehörigen Portion Humor bedankte sich der Volljurist und Assessor bei der Vertreterversammlung für die langjährige Zusammenarbeit und stellte im Stil eines Büttenredners die Unterschiede heraus, welche das Zusammenwirken von Architekten und Juristen immer wieder zu einer spannungsgeladenen Konstellation machten. „Architekten haben merkwürdigerweise Freude daran, kostenlos umfangreiche Pläne für Wettbewerbsaufgaben zu erarbeiten, und selbst wenn sie gewinnen, lassen sie sich das Preisgeld noch vom Honorar abziehen - das würden Juristen niemals tun.“ - Die Vertreterversammlung bedankte sich für die außergewöhnliche und ausdauernde Arbeitsleistung von Joachim Hoffmüller mit einem lang anhaltenden Applaus. Eine Verabschiedung des Geschäftsführers der AKNW erfolgt noch gesondert.
VW: Regelaltersrente angepasst
Wichtige Beschlüsse für alle beim Versorgungswerk (VW) der Architektenkammer NRW versicherten Mitglieder wurden ebenfalls gefasst. So wird das Renteneintrittsalter den Vorgaben der Deutschen Rentenversicherung angepasst und stufenweise auf 67 Jahre angehoben. Von der Übergangsregelung erfasst sind die Geburtsjahrgänge 1956 bis 1967. Um die gesteigerte Lebenserwartung der Versicherten zu berücksichtigen, wird ein demografischer Faktor eingeführt. (Einen ausführlichen Bericht finden Sie in der November-Ausgabe des Deutschen Architektenblattes NRW)
Trends im demografischen Wandel
Wie verändern sich das Wohnverhalten und die Wohnungswünsche der Deutschen? Mit diesen Fragen befasst sich Prof. Volker Eichener seit vielen Jahren. Der Leiter der EBZ Business School in Bochum stellte in einem Gastvortrag aktuelle Trends und Entwicklungen vor, die im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel die Wohnungswirtschaft sowie alle Architekten und Stadtplaner mit neuen Erwartungen von Käufer nund Mietern konfrontieren. Grundsätzlich, so ergaben Erhebungen des InWIS-Instituts, wünschen sich die deutschen Mieter im Schnitt eine Miete von 672 € im Monat. Die Zahlungsbereitschaft für besonders attraktive Wohnungen liege allerdings noch deutlich höher (+31 %). Eichener verwies auf die Zunahme von Ein- und Zwei-Personen-Haushalten, die Arbeits- und Freizeiträume statt Kinderzimmer wünschten. Bäder sollten heute Wohlfühloasen sein, Küchen offene Kommunikationszonen. Trotz des hohen Wohnflächenbedarfs achteten die Deutschen darauf, dass ihr Wohnen ökologische Aspekte berücksichtigt.
Nicht unwidersprochen blieb die Aussage von Prof. Eichener, dass jede neu gebaute Wohnung den Mietwohnungsmarkt entlaste: „Auch eine Luxuswohnung hilft den Armen“, spitzte Eichener seine These vom Filtering-Effekt zu, wonach frei werdende Altwohnungen nach „unten“ weiter gereicht werden.Zum Leitthema „Demografischer Wandel“ lag den Delegierten außerdem eine Ausarbeitung der Architektenkammer NRW vor, die als Grundlage für künftige Aktionen und Veranstaltungen dienen soll.
Weitere Informationen
<link file:17996 _blank download für sozialwohnung oder luxusloft>Wohnen für wen? Sozialwohnung oder Luxusloft (PDF) - Vortrag von Prof. Dr. Volker Eichener.
Außerdem kann der Leitfaden "Demografischer Wandel" der Architektenkammer NRW als Einzelexemplar kostenlos bei der Pressestelle der AKNW bestellt werden.
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