Digitale Kommunikation und mehr

Manchmal sei es so: „Es kostet einen Haufen Geld, und nichts wird besser.“ Rechtsanwältin Katharina Bleutge startete „zugegebenerweise etwas polemisch“ in den Sachverständigentag 2022 der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen. Die Justiziarin des Instituts für Sachverständigenwesen e. V. in Köln äußerte zunächst ihre Verärgerung über die Anforderungen an den elektronischen Rechtsverkehr, bei dem die Sachverständigen „offenbar vergessen worden“ seien. Gleichwohl: Linos Ottinger, Richter am OLG Hamm und dort zuständig für die Einführung der elektronischen Akte, gab einen klaren Übersicht über die Wege zur erforderlichen elektronischen Kommunikation. Wie Präsident Ernst Uhing in seiner Einführung versprach: „Freuen Sie sich auf ein Update zum Sachverständigenwesen.“ - Rund 50 interessierte Sachverständige kamen am 20. September im Haus der Architekten zusammen, um den zwei Fachvorträgen zu folgen und um sich auszutauschen.

27. September 2022von Christof Rose / Dorothee Dieudonné

Linos Ottinger, Richter am Oberlandesgericht Hamm, zeigte die „Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation zwischen Sachverständigen und Gerichten“ auf. Er befasst sich am OLG mit der Einführung der elektronischen Akte und des elektronischen Rechtsverkehrs.

Zentrale Aspekte seien dabei die Sicherheit der Kommunikation und die Authentizität der Beteiligten, also die Gewissheit über die Identität von Absender und Empfänger. Dazu müsse in jedem Einzelfall eine elektronische Signatur angebracht werden oder der Übermittlungsweg eindeutig zuzuordnen ist.

Anerkannte Wege der digitalen Kommunikation

Die entsprechende Sicherheit gewährleistet die EGVP-Infrastruktur – das „Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach“. Bereits seit dem 01.01.2018 sei der Empfang von elektronischen Nachrichten möglich; der Versand elektronischer Nachrichten innerhalb eines Verfahrens mit elektronischer Akte laufe ebenfalls problemlos. Außerhalb der elektronischen Akte laufe eine Pilotphase. „Es hängt einfach auch davon ab, in welchem Fachbereich Sie unterwegs sind“, so Linos Ottinger. Ab dem Jahresende werde die elektronische Akte umfassend eingeführt sein und die Kommunikation entsprechend umgestellt.

Als „Elektronisches Dokument“ könnten sowohl Gutachten als auch begleitende Unterlagen wie Fotos oder Videos gelten. Allerdings schränke die Zivilprozessordnung (ZPO) ein, dass das elektronische Dokument „für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet“ sein müsse (§ 130a ZPO).

Für die Übermittlung kommen drei Wege infrage: ein De-Mail-Konto, ein Elektronisches Bürger- und Organisationenpostfach (eBO) oder über ein Nutzerkonto nach dem Onlinezugangsgesetz (OZG). Nach letzterem sind Bund, Länder und Gemeinden dazu verpflichtet, ihre Verwaltungsleistungen auch elektronisch über Verwaltungsportale anzubieten und diese in einem Portalverbund zu verknüpfen.

Eine aktive Nutzungspflicht bestehe für Sachverständige gegenwärtig (noch) nicht (nach § 130d ZPO). Gleiches gilt für eine passive Nutzungspflicht; hier besteht eine „Sollvorschrift“, einen sicheren Übermittlungsweg für die elektronische Zustellung eines elektronischen Dokumentes zu eröffnen. Allerdings wird diese "Sollvorschrift" ab dem 01.01.2024 in eine tatsächliche gesetzliche Pflicht zur Eröffnung eines Zustellungsweges umgewandelt.

Interessant sei für Sachverständige das „Akteneinsichtsportal“, das gegenwärtig bei den Landgerichten in Siegen, Düsseldorf und Bonn getestet werde. Beim Landgericht Düsseldorf sei dabei auch die Akteneinsicht durch Sachverständige getestet worden – mit positiven Rückmeldungen aus der Praxis.

Nachwuchs motivieren

Auch der Präsident der Architektenkammer NRW ging in seinem Einführungsstatement auf die Digitalisierung ein. Seitens der AKNW sei eine möglichst flächendeckende Anbindung aller Bauaufsichtsbehörden an das digitale „Bauportal.NRW“ gewünscht. „Wir stellen aber fest, dass bislang nur wenige Kommunen mit dem Bauportal arbeiten“, so Präsident Uhing. „Um die Überprüfung der Bauvorlageberechtigung im digitalen Zeitalter sicherzustellen, sehen wir eine zeitnahe Anbindung der „digitalen Bundesweiten Auskunftsstelle der Architekten- und Ingenieurkammern“ (di.BAStAI) als unerlässlich an.“

Präsident Uhing gab auch ein Update zur aktuellen Lage des Sachverständigenwesen. Derzeit seien 93 Sachverständige von der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen öffentlich bestellt und vereidigt. „Da jedoch Sachverständige aus Altersgründen vermehrt ihre Bestellung zurückgeben, wird es für die Architektenkammer als Bestellungskörperschaft immer wichtiger, für ausreichenden Nachwuchs an öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen zu sorgen“, ergänzte der Kammerpräsident. Deshalb sei der „Sachverständigentag“ ein wichtiges Forum, um „Ihnen als öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige eine regelmäßige Informations- und Fortbildungsmöglichkeit bieten“.

Aktuelle Entscheidungen zum Sachverständigenwesen

Rechtsanwältin Katharina Bleutge stellte in ihrem Beitrag „Aktuelles aus Sachverständigenrecht und-praxis“ vor. Dabei ging sie auf Fragen zur Haftung der Sachverständigen ein und gab den Zuhörenden anhand aktueller Entscheidungen Praxistipps zur Vermeidung von Haftungsrisiken. Zur Frage der Bauteilöffnungen verwies die Referentin auf die Pflicht des Gerichts zur Ermessensausübung (BGH 23.09.2020 AZ IV ZP 88/19; IfS – Info 4-2020,16). Demnach kann der Sachverständige bei unverhältnismäßigen Risiken nicht zur Bauteilöffnung gezwungen werden.

Ein weiteres wichtiges Thema waren Fragen und entsprechende gerichtliche Entscheidungen zur Befangenheit von Sachverständigen. Mit großer Aufmerksamkeit folgte das Auditorium auch den Ausführungen zum Vergütungsrecht nach neuem JVEG. Katharina Bleutge kritisierte vor dem Hintergrund des offensichtlichen Nachwuchsmangels den weiterhin auch im neuen JVEG angesetzten „Justizrabatt“ von fünf Prozent im Vergleich zu Vergütungen in der Privatwirtschaft. Die Referentin empfahl den Sachverständigen u.a. die Nutzung von § 3 JVEG, der die Geltendmachung eines Vorschusses für Teilleistungen ab 1.000 Euro vorsieht. Zudem ging Rechtsanwältin Bleutge auf gerichtliche Entscheidungen ein, in denen es um den Verlust der Vergütung der Sachverständigen ging.

Aktuelle Entwicklungen gebe es auch in Sachen „Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen Sachverständige“. So müsse der Sachverständige für die Entbindung von einem Gutachterauftrag seine Überlastung nachweisen, erläuterte Katharina Bleutge. Ein Ordnungsgeld ist nach der Entscheidung des OLG Dresden vom 28.06.2021 (AZ: 4 W411/21; IfS-Info 4/2021, 9) hingegen erst zulässig, wenn der Sachverständige sich ohne Angabe von Gründen weigert, das Gutachten zu erstatten.

Schließlich sind die Sachverständigen in der Praxis nicht selten mit Beweisbeschlüssen befasst, die Rechtsfragen beinhalten. Hierzu erläuterte die Referentin die Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen vom 8.3.2021 (Az.: L 7 KO 7/18(KR)), die bestätigt, dass Rechtsfragen nicht vom Sachverständigen beantwortet werden dürfen und diesem in solchen Fällen keine Vergütung zustehe. Der Sachverständige hätte den Gutachtenauftrag nicht übernehmen dürfen, sondern seine Entpflichtung beantragen müssen.

Im Anschluss an die beiden aufschlussreichen Fachvorträge nutzen die Sachverständigen die Gelegenheit zu zahlreichen Rückfragen - und nach pandemiebedingter längerer Pause gerne wieder dazu, ihre Erfahrungen mit Kolleginnen und Kollegen im persönlichen Gespräch auszutauschen.                               

Katharina Bleutge verwies auf weiterführende Informationen auf der Website www.ifsforum.de/Publikationen

Info: Sachverständige

Die Architektenkammer bestellt für die Sachgebiete Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken, Ermittlung von Mieten und Pachten, Schäden an Gebäuden, Honorare für Leistungen der Architekten, Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten, Stadtplaner und Ingenieure, Garten- und Landschaftsbau, Sportanlagen sowie Umweltverträglichkeitsstudien und landschaftspflegerische Begleitpläne. Derzeit sind 93 Sachverständige von der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen bestellt; insgesamt gibt es 252 öffentlich bestellte und vereidigte Kammermitglieder in Nordrhein-Westfalen.

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