Gartenstadt im Heimatstil
Der Bedarf an Wohnungen „(wird) mancherlei Schwierigkeiten bereiten, wenn wir uns nicht vorsehen“. Das schrieb nicht die Bundesbauministerin oder ein anderer, mit dem aktuell drängenden Wohnungsbauproblem befasster Politiker, sondern ein Barmer Stadtbaurat namens Heinrich Köhler, der 1918 die Wohnungsprobleme der Stadt in einer Schrift zusammenfasste. Die Gründe für die angespannte Wohnungssituation in der noch selbständigen Industriestadt Barmen kommen einem teilweise bekannt vor: Köhler nennt den Zuzug von außen (damals die Heimkehr von Kriegsteilnehmern), den Mangel an Baumaterial wie an geeigneten Arbeitern, die hohen Preise und die hohen Löhne. Auch die hohen Zinsen erwähnt der Stadtbaurat, die es privaten Unternehmen erschwerten, in den Wohnungsbau zu investieren. Eine der zentralen Maßnahmen, die daraufhin eingeleitet wurden, war der Bau einer Großsiedlung durch die Stadt als Bauherren. Als Gebiet ausgewählt wurde ein im Norden erhöht gelegenes, bereits 1899 erworbenes Gelände mit dem national stimmungsvollen Namen Sedansberg.
Hier errichtete das städtische Hochbauamt ab 1918 nach dem Muster der Gartenstadt mit Hausgruppen und Wohnhöfen die damals größte zusammenhängende Siedlung der rund 190 000 Einwohner zählenden Stadt. 1923 war der achsensymmetrisch angelegte, noch teilweise erhaltene Mittelteil fertiggestellt. Als Krönung wurde 1922 auf der Kuppe des Hügels ein 7-stöckiger Wohnturm errichtet, der als point de vue die Siedlung dominierte und ehemals den Blick bis ins Tal auf das Rathaus von Barmen ermöglichte. Das Gros der aus dieser Zeit erhaltenen Wohnhäuser wird von ein- bis zweigeschossigen Mehrfamilienhäusern gebildet, während dreigeschossige Bauten das Gelände nach außen abschirmen. Bewusst wurde - so schrieb Stadtbaurat Köhler - sowohl auf Eigentumswohnungen („ein Luxus, den sich nur sehr wenige leisten können“) als auch auf „Massenmietshäuser“ verzichtet.
Die Architektur ist wuchtig, lässt eher barocke Muster erkennen. Statt der Avantgarde des Neuen Bauens, der der Siedlungsbau der 1920er Jahre beispielsweise in Köln folgte, dominierte in Barmen ein heimatverbundener Stil. Auffallend sind bis heute die schmuckhaften Portaleinrahmungen in unverputztem Backstein. Einige der charakteristischen Wohnhöfe, die in ihrer Mitte grüne Freiräume aufweisen und durch Torhäuser zugänglich waren, sind erhalten. Loggien auf den Hofseiten sollten hier die Kommunikation unter den Bewohnern fördern.
Da damals Baumaterial knapp war und man auf Ersatzstoffe zurückgreifen musste, wurden die Wände vieler Gebäude aus Schlackestein gemauert, deren Grundstoffe die nahegelegene Müllverrennungsanlage lieferte. Bis Ende der 1920er Jahre - zugleich der Höhepunkt der Bevölkerungsentwicklung der Stadt Barmen - war das Gebiet des Sedansberges weitgehend bebaut; 1929 erfolgte die Zusammenlegung mit Elberfeld.
Nach Kriegszerstörungen und Ersatzbauten in den 1950er Jahren fanden auf dem Sedansberg noch in den 1970er Jahren bauliche Veränderungen statt, als in einigen Häusern die Loggien zu Badezimmern umgenutzt wurden. Heute gilt zumindest für Teile der Siedlung eine Erhaltungs- und Gestaltungssatzung, die „das einzigartige stadtgestalterische Zusammenwirken von Vorgärten, Einfriedigungen, Hausgruppen und gemeinsamen Hofflächen“ hervorhebt. Seit 1996 befinden sich rund 1.100 Wohnungen im Besitz der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft Wuppertal (GWG). 2002 wurde mit einer umfassenden Modernisierung von 500 Wohnungen im Gebiet begonnen, um die Siedlung an moderne Wohnbedürfnisse anzupassen. Es erfolgte ein Rückbau, die Loggen wurden wieder geöffnet, die Grundrisse großzügiger; Bad- und Heizungseinbauten, Maßnahmen zur Wärmedämmung und umfangreiche Arbeiten an Treppenhäusern, Dach und Fassaden. 2005 erhielt die GWG für diese behutsame Modernisierung von der Architektenkammer und dem Land NRW den Preis „Auszeichnung vorbildlicher Bauten in NRW“.
Der Eindruck heute: Der Sedansberg ist ein mit überdurchschnittlich viel grünem Zwischenraum ausgestattetes, ruhiges Wohnviertel, das eher bescheidene Beschaulichkeit ausstrahlt. Aktuell jedenfalls sind dramatische Wachstumsprozesse hier wie in Wuppertal nicht in Sicht.
Weitere Infos zu der Siedlung auf www.baukunst-nrw.de
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