Gastbeitrag: Das Schrumpfen der Städte. Was kann die Landesplanung leisten?
Noch 1971 brachte der englische Historiker Arnold J. Toynbee ein vielbeachtetes Buch heraus unter dem Titel „Unaufhaltsam wächst die Stadt“. Er begründete seine These mit einer Systematik historisch geprägter Stadttypen (1). Dem entsprach der damalige Städtebau: In der Bundesrepublik Deutschland brachte der gewaltige Bevölkerungsschub einen ganz neuen städtebauliche Aufgabetypus hervor: das Stadterweiterungsgebiet, vielfach realisiert. Für überlastete Ballungsgebiete wurden in ganz Europa (anfänglich in England) Entlastungsstädte geschaffen. In Deutschland wurden für diese Aufgaben meistens Wettbewerbe ausgeschrieben. – Ein Gastbeitrag von Dr.-Ing. Dietrich Pernice, Beigeordneter a. D. DASL Architektur + Stadtplanung.
Inzwischen ist diese Epoche vorbei, und alles spricht vom demoskopischen Wandel mit der Folge, dass die Städte schrumpfen. Die Gründe: sinkende Geburtenziffern und Sterbeüberschüsse. In den 1980er Jahren haben wir an der Uni Princeton erfahren, dass man auch in Amerika das Problem „shrinking towns“ kannte.
1. Die Situation
In Deutschland wurden die Prognosen der statischen Ämter immer düsterer, so in NRW, wo bis 2030 ein Rückgang um 3,6 % erwartet wird (2). Neueste Berechnungen sagen, dass auch die Zuwanderung der Flüchtlinge, die gegenwärtig zu uns kommen, die Verluste nicht auffangen kann und die asymmetrische Häufung von zuwandernden jungen Männern mit geringen Heiratschancen für weitere Verwerfungen sorgen werden (3).
Von Schrumpfungsprozessen sind insbesondere ländliche Räume, auch manche einst bedeutende kleinere Städte und alte Industrieregionen betroffen. Dem stehen gegenläufige Entwicklungen gegenüber: Wanderungsbewegungen in einem überraschend hohen Ausmaß, nämlich in die Metropolregionen. So erwartet die Kölner Stadtplanung einen Zuwachs von 200 000 Einwohnern mit 60 000 Wohneinheiten (4).
Die Gründe sehen wir in dem Bedürfnis der mobil gewordenen Massengesellschaft.
- Die günstigsten und hochbezahlten Arbeitsverhältnisse werden in den Metropolregionen gefunden.
- In den Metropolkernen werden die hochrangigsten Dienstleistungen, private und öffentliche, angeboten. Das gleiche gilt für den Konsum von anspruchsvollen Waren, besonders den Modeartikeln.
- Schließlich gibt es hier die größte Erlebnisvielfalt für Kultur und Vergnügungen.
Die Missstände, vor allem im Individualverkehr, werden hingenommen - noch. Obgleich der gemeinwirtschaftliche Schaden wegen der periodisch wiederkehrenden Stauentwicklungen auf den überörtlichen Straßen ein Riesenausmaß angenommen hat und überhaupt nicht zu beziffern ist. In Köln wird alles durch die maroden Rheinbrücken noch gesteigert.
Hingenommen werden auch noch die gesteigerten Grundstücks- und Mietkosten. Die Attraktivität der Metropolkerne wächst weiter, die Wanderungsbewegungen setzen sich fort. Unbekümmert lässt z. B. die Kölner Stadtplanung weitere neue Wohngebiete gerade im hochpreisigen Sektor entstehen. Von dem fast kollabierten Individualverkehr ist keine Rede. Nur die Karnevalisten witzeln darüber. Manche fragen, ob der Markt reagieren wird. Bisher nicht.
2. Landesplanung
Bei solcher Ungleichgewichtigkeit in der landesweiten Bevölkerungsentwicklung wird die Frage aufgeworfen: Was kann die Landesplanung leisten? Wo doch gleichwertige Lebensverhältnisse im ganzen Lande ein landesplanerisches Ziel sind.
Der Entwurf für einen neuen Landesentwicklungsplan (LEP NRW) liegt vor. Er soll der den bisherigen von 1995 ablösen. Im Mittelpunkt der landesplanerischen Leitgedanken steht der demoskopische Wandel. Dem zufolge gilt die größte Sorge
- der Begrenzung des Flächenverbrauchs im landesplanerischen Maßstab,
- der Reduzierung von Siedlungsreserveflächen,
- der Sicherung der unverbauten Freiflächen,
- dem Vorrang der Innenentwicklung.
- Neue Siedlungsflächen soll es nur geben bei Nachweis, dass keine Brachflächen vorhanden sind.
Die ungleichgewichtige Siedlungsentwicklung vollzieht sich offensichtlich außerhalb der landesplanerischen Einflussnahme, nämlich im Bereich städtebaulicher Planung, die durch das BauGB geregelt ist; nur in kleinerem Umfang durch das Schließen von Baulücken gemäß § 34 BauGB. Hierzu das System der räumlichen Planung gemäß LEP (5).
Die landesplanerisch erwünschte Flächenreduzierung soll durch ein Monitoring im Zusammenwirken mit den Kommunen erfolgen, natürlich ohne Entschädigungsansprüche auszulösen. Es hat sich schon gezeigt, dass der gemeindliche Verzicht auf Siedlungs-Reserveflächen schleppend verläuft. Die gemeindliche Entwicklungsfreiheit im Wettbewerb um Einwohner wird schließlich eingeschränkt. Städtebauliche Planung wurde weithin im Zusammenhang mit quantitativen und qualitativen Wachstum als Entwicklungsplanung, kaum jedoch als Rückentwicklungsplanung verstanden.
Wie könnte ein Abbau oder doch eine Milderung des Problems der Ungleichgewichtigkeit in der Stadt- und Landesentwicklung zur Wirkung kommen?
Hierzu weisen wir auf die von uns so genannten Metropol-Ergänzungsräume hin, die wir in einer Publikation der Deutschen Akademie für Städtebau- und Landesplanung (DASL) näher beschrieben haben. Natürlich denken wir nicht an einen Eingriff in das freie Spiel der Kräfte, aber an eine Verbesserung der städtebaulichen und landesplanerischen Rahmenbedingungen (6). Am Beispiel von Nordrhein-Westfalen sprechen wir diejenigen Räume an, die im zeiträumlichen Bereich einer 1-Stunden-PKW-Isochrone der Metropolkerne liegen und
- bereits optimal erschlossen sind,
- über noch nicht voll genutzte Reserveflächen für Wohnen und Gewerbe verfügen,
- und quantitatives wie qualitatives Wachstum primär im Rahmen der Innenentwicklung ermöglichen.
- Der Beitrag der Landesplanung könnte darin bestehen, dass hier beim Monitoring die Forderung zur Zurücknahme von Reserve-Siedlungsflächen zurückhaltend praktiziert wird, um auf diese Weise die längerfristige Innenentwicklung zu fördern.
- Das hieße, die Metropol Ergänzungsräume als Wachstumsräume zu werten, und diese im überörtlichen Interesse vorrangig auch mit Städtebauförderungsmitteln zu bedenken.
Als Beispiel in NRW sei die alte Industrieregion des bergischen Städtedreiecks genannt. Dieser Raum hat in der letzten Generation überdurchschnittliche Wanderungsverluste erlitten. Die LEP-Prognosen sehen gerade hier ein weiteres Schrumpfen um bis zu 10 % vor. Dieser Raum erscheint beispielhaft für ein Metropol-Ergänzungsgebiet. Er verfügt über entwicklungsfähige Raumreserven bei erstrangiger Standortgunst und Verkehrslage.
Hier werden bereits jetzt Ergänzungsfunktionen für Erholung und Freizeit in landschaftlich bevorzugter topografischer Lage erbracht. Hier läge es nahe, im Zuge des Monotoring Siedlungsreserveflächen aufrecht zu erhalten, um sie als Begleitung für die erwünschte Innenentwicklung wirksam werden zu lassen.
Eine solche landesplanerische Einflussnahme, begleitet von städtebaulicher Landesförderung, würde die Marktentwicklung stützen und der erlebnishungrigen Massengesellschaft ein hochrangiges Angebot an öffentlichen und privaten Dienstleistungen an günstig erreichbarem Standort liefern. Und zwar zu mäßigerem Preise als in den überlasteten Metropolkernen.
Der frühere Gedanke der Entlastungsstädte würde in neuem Sinne belebt werden. Die Metropol-Ergänzungsräume würden durch Landesinitiative zu Entlastungsräumen für überlastete Metropolkerne werden.
Quellen:
(1) Arnold J. Toynbee „Unaufhaltsam wächst die Stadt“, 1971
(2) LEP-NRW Entwurf 2015
(3) FAZ vom 10.02.2016
(4) Polis IV/2015
(5) LEP NRW Entwurf 2015: System der räumlichen Planung
(6) D. Pernice „Metropol-Ergänzungsräume, dargestellt am Beispiel Berlin- Brandenburg u. NRW“; Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung 12/13, Neue Polarisierung von Stadt u. Land
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