Herausforderung Brückenbau in NRW
In dramatischer Deutlichkeit hat der Einsturz der Carola-Brücke in Dresden uns vor Augen geführt, dass viele Brückenbauwerke in Deutschland in einem schlechten Zustand sind. Wie stellt sich die Situation in Nordrhein-Westfalen dar?
Vor 75 Jahren, am 1. Oktober 1949, stellte der Leiter des Planungsamtes der Stadt Düsseldorf, Friedrich Tamms, in einer überregional beachteten Ausstellung im Düsseldorfer Kunstpalast seine Neuordnungsplanung für die kriegszerstörte Stadt der Öffentlichkeit vor. Neben den großen Verkehrsschneisen, die die Düsseldorfer Innenstadt bis heute durchschneiden, enthielt das Konzept von Tamms auch die Vorschläge dreier innerstädtischer Brücken über den Rhein, die in den folgenden Jahrzehnten realisiert wurden und als „Düsseldorfer Brückenfamilie“ Bekanntheit erlangten. 1957, 1969 und 1976 fertiggestellt, prägen sie auch heute noch das Panorama der Landeshauptstadt. „Aus Brückenbau wurde Städtebau“ so Tamms.
Bei kleineren Unterschieden bilden die Brücken optisch aus der Ferne jeweils einen schmalen, horizontalen Strich, der von einer oder mehrerer Vertikalen durchbrochen wird. Orientiert war diese Gestaltung an der Idee der Anpassung an die rheinische Flusslandschaft, die möglichst wenig beeinträchtigt werden sollte.
Typologisch handelt es sich bei der Trias um eine Mustersammlung der nach dem Krieg neuen Schrägseilbrücken, die von Düsseldorf ausgehend tatsächlich international Verbreitung fanden. Tamms hatte hierbei statt einer Bündelung der Schrägseile deren harfenförmige Anbringung gestalterisch vorgegeben, die sich auch bei schräger Ansicht optisch nicht überschneiden und die filigrane Wirkung des Bauwerks noch steigerte. Ingenieurtechnisch von Bedeutung war die damals noch neue Verwendung einer orthotropen, d.h. auf ihrer Unterseite versteiften Stahlplatte, die einen reduzierten Materialverbrauch ermöglichte.
„In keiner anderen europäischen Stadt ist das Stadtbild in so einprägsamer Weise durch ein Ensemble von Ingenieurbauwerken geprägt wie in Düsseldorf“, betont Thorsten Scheer von der Hochschule Düsseldorf, der anlässlich einer nun notwendigen Sanierung der Theodor-Heuss-Brücke von 1957 eine Brücken-Ausstellung in Düsseldorf vorbereitet, mit dem Ziel, neben der ingenieurtechnischen Seite auch die architektonischen Qualitäten von Brückenbauwerken stärker ins Bewusstsein der Bevölkerung zu rücken.
In der Tat ist die einheitliche, unaufdringliche Gestaltung der Düsseldorfer Brückenfamilie „das Ergebnis einer gewinnbringenden Zusammenarbeit von Architekten und Ingenieuren“ (Scheer) – in diesem Fall maßgeblich von dem Stuttgarter Ingenieur Fritz Leonhardt, der die Vorgaben Tamms in technischer Hinsicht umsetzte.
Verkehrsbrücken mit Gestaltungskraft
Im Ergebnis ist Düsseldorf der seltene Fall, dass Verkehrsbrücken nicht wie in den meisten Fällen unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle der Nutzerinnen und Nutzer liegen. Zur Bühne werden sie, wenn sie in den sommerlichen Feuerwerksnächten als Zuschauertribüne genutzt werden.
Inwieweit die Bewohner Düsseldorfs, die sich an einer vor kurzem eröffneten Online-Befragung der Stadt über die Zukunft der Brücke beteiligen können, tatsächlich eine Entscheidung in Richtung des Erhalts und einer Sanierung beeinflussen können, wird die Zukunft zeigen.
Jede siebte Brücke ist marode
In der Tat sind Brücken ins Gerede gekommen, allerdings weniger im Hinblick auf gestalterische Qualitäten als im Hinblick auf ihre Dysfunktionalität, sprich ihren maroden Zustand. 16.000 der insgesamt 150.000 Brücken in Deutschland müssen laut Bundesautobahn GmbH erneuert werden. Jede siebte Brücke auf deutschen Autobahnen, in der Gesamtheit etwa 8000, gilt heute als marode.
Insgesamt scheint die Aufgabe in Dimensionen zu reichen, die der Sanierung des Schienensystems an Umfang ähnelt. Auch wenn eine Sanierung erklärtes Ziel ist, führen die Planungen aus Kostengründen in vielen Fällen letztlich doch zu Abriss und Neubau – mit all den Begleitumständen, die in Deutschland am besten bei der Leverkusener A 1 Autobahnbrücke über den Rhein abzulesen ist, dem größten Bauvorhaben in NRW. 1965 fertiggestellt, erwies sich die ursprünglich einmal auf 40.000 Fahrzeuge pro Tag konzipierte Brücke (Stand zuletzt 120.000 Fahrzeuge pro Tag) schon in den frühen 2010er Jahren als kritisch. 2017 begann der Ersatzneubau – mit Teilsperrungen vor allem für den LKW-Verkehr, Umleitungen und den unvermeidlichen Staus. Es gab Vertragsaufkündigungen und Neuausschreibungen, und schließlich Anfang dieses Jahres eine Teileröffnung für eines der beiden separaten Bauwerke. In den nächsten Jahren folgen Abriss und Neubau des zweiten Teilbauwerks. Für Ende 2027 wird – nach dann zehn Jahren Bauzeit – die komplette Wiedereröffnung geplant. Geschätzte Gesamtkosten laut Autobahn GmbH 1,53 Milliarden Euro.
Großprojekte an Autobahnen und am Rhein
Die Liste der Brücken, die in den nächsten Jahren erhebliche Aufwendungen erforderlich machen werden, ist lang, in besonderer Weise in NRW: Dramatisch ist insbesondere die Lage der A 45, bei der zwischen Dortmund und Gießen insgesamt 60 Brücken durch einen Neubau ersetzt werden müssen. Dazu gehört auch die Talbrücke Rahmede, die 2021 sehr kurzfristig wegen schwerwiegender Schäden gesperrt werden musste und seitdem zu erheblichen Verkehrsbelastungen für den regionalen Verkehr rund um Lüdenscheid führte. – Am 7. Mai 2024 erfolgte die Sprengung der 17.000 Tonnen schweren und 450 Meter langen Brücke.
Andere Brückenerneuerungsprojekte in NRW sind die Rhein-Herne- Kanalbrücke der A 42 und die Rheinbrücke der A 40 in Duisburg. Da ist ferner im Süden Düsseldorfs die Fleher Rheinbrücke, die den höchsten Brückenpylon in Deutschland und die größte Spannweite aller deutschen Schrägseilbrücken besitzt. Bei ihrer Fertigstellung war sie mit einer Hauptspannweite von 368 m zudem die am weitesten gespannte einhüftige Schrägseilbrücke der Welt. Fünf Jahre sind für ihre bevorstehende Sanierung angesetzt. Von den neun Autobahnbrücken in NRW, die den Rhein überqueren, ist laut Nicole Ritterbusch, bei der Autobahn GmbH zuständig für die Region, nur eine einzige in gutem Zustand. Und im Ruhrgebiet wird derzeit die A40 unweit der Innenstadt von Bochum erneuert, die Anfang August für den Verkehr komplett gesperrt wurde; die Strecke soll im November 2024 wieder freigegeben werden. Insgesamt sollen in den kommenden 20 Jahren 573 Brücken in NRW ersetzt werden.
Baukulturbericht Infrastruktur
Von den Sanierungen betroffen sind in erster Linie die vielen Spannbetonbrücken der 1960er bis 1980er Jahre. Der im Juni veröffentlichte „Baukulturbericht 2024/2025“ der Bundesstiftung Baukultur, der dem Thema Infrastruktur gewidmet ist, nennt als Gründe für den Sanierungsstau verzögerte Investitionen in die Instandhaltung, die langen Planungs- und Genehmigungsphasen und natürlich den weiterhin steigenden Verkehr, der insbesondere im Schwerlastbereich die meisten Schäden verursacht. Hinzu kommt der Fachkräftemangel, der inzwischen gerade beim Ingenieur-Nachwuchs spürbar wird.
Bei all dem droht die Frage der gestalterischen Qualität in Vergessenheit zu geraten: „Mit Infrastrukturen Orte baukultureller Schönheit schaffen!“ lautet zwar eine der Kernbotschaften, die die Bundesstiftung Baukultur ihrem aktuellen Baukulturbericht voranstellt. „Städtebaulich integrierte und gut gestaltete Infrastrukturen können einen positiven Beitrag zu einer lebenswerten Umwelt leisten“, sagt der Stiftungsvorstandsvorsitzende Reiner Nagel. Das liest sich schön, bleibt im Einzelfall doch genauer zu analysieren.
Gestalterische Qualitäten sichern!
Vielleicht wäre es ein lohnender Ansatz, hinsichtlich der Nutzungsvarianten stärker zu differenzieren und vor allem bei innerstädtischen Brücken neue Lösungen zu suchen. So bieten Fuß- oder Radfahrbrücken auch dank geringerer Kosten oft ein Mehr an gestalterischen Möglichkeiten. Gute Beispiele, wie zuletzt die neue Brücke am Wasserkreuz Castrop-Rauxel („Sprung über die Emscher“), gibt es. Die von der Planungsgemeinschaft Schüßler-Plan, DKFS Architects (London) und Smeets Landschaftsarchitekten (Erftstadt) realisierte Brücke wird am 30. September durch Bundesbauministerin Klara Geywitz eröffnet. Bei aller Eleganz der Düsseldorfer Brückenfamilie: Friedrich Tamms Maßstäbe, die damals nur die Orientierung am Autoverkehr kannten, scheinen heute ergänzungsbedürftig.
Informationen zu vielen Brückenbauten in NRW finden Sie auch unter www.baukunst-nrw.de
Fotos:
1. Theodor-Heuss-Brücke Düsseldorf - Foto: EveryPicture, CC-BY-SA-3.0, Wikimedia Commons
2. Rheinbrücke Neuenkamp Duisburg - Foto: Steffen Schmitz (Carschten), CC BY-SA 4.0, Wikimedia Commons
3. Leverkusener Rheinbrücke - Foto: Raimond Spekking & Elke Wetzig / CC BY-SA 4.0, Wikimedia Commons
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