Gruppenbild mit fünf Herren und einer Dame in der Mitte
Interdisziplinäre Impulse zum Thema zur „Kirchenkonversion“ gaben (v. l.): Dr. Sebastiaan Gerards, Prof. Ulrich Königs, Prof. Stefanie Lieb, Moderator Peter Köddermann, Dr. Samuel Olbermann und AKNW-Präsident Ernst Uhing - Foto: Melina Beierle/Architektenkammer NRW

Impulsdiskussion: Herausforderung Sakralraumtransformation

Der Umgang mit Sakralräumen, die nicht länger für ihre ursprünglichen Zwecke benötigt werden, stellt die Kirchen vor eine große Herausforderung. Wie kann die Transformation zu neuen Verwendungen, wie der praktische Umbau realisiert werden? Zu diesen Fragen führte die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen am 15. Juni in Kooperation mit Baukultur NRW und dem ASG Bildungsforum der katholischen Kirche Düsseldorf eine Impuls- und Diskussionsveranstaltung durch.

16. Juni 2023von Christof Rose

Rund 6000 Kirchengebäude gibt es in Nordrhein-Westfalen. „Etwa ein Drittel davon wird mittelfristig ihre ursprüngliche Funktion verlieren - oder hat es schon getan“, führte Moderator Peter Köddermann in die live gestreamte Veranstaltung ein. Im Auftaktgespräch bekräftigte Ernst Uhing, der Präsident der Architektenkammer NRW, der selbst zehn Jahre lang Presbyter einer Kirchengemeinde und Kirchbaumeister war, dass die Umnutzung sakraler Bauwerke für jede Gemeinde ein komplexer und fordernder Prozess sei. 

Großer Beratungsbedarf

„Ganz wichtig ist eine qualifizierte Beratung, vielleicht auch eine bewusst externe Begleitung“, meinte der Lüdenscheider Architekt. Wichtig sei, dass die Gemeinden bei einem solchen Prozess nicht allein auf die internen Interessen achteten, sondern auch auf die städtebauliche Funktion und Bedeutung eines Kirchbaus.

Dr. Samuel Olbermann, ASG-Vorsitzender in Düsseldorf, betonte, dass die Transformation nicht allein der Sakralbauten, sondern der beiden großen Kirchen insgesamt eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung sei. „Die Kirchen sind in vielen Bereichen aktiv. Ihre Sakralbauten sind der deutliche Ausdruck dieser Präsenz.“ Auch er unterstrich, dass die laufenden Wandlungsprozesse aktiv angegangen werden müssten.

Transara-Forschung

Prof. Stefanie Lieb, Kunsthistorikerin an der Universität Köln und der Akademie Schwerte, und Architekt Prof. Ulrich Königs stellten „Transara“ vor - ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, das seit 2020 läuft und zunächst bis 2026 finanziert ist. Transara untersucht die Umnutzung von Sakralbauten aus interdisziplinären Blickwinkeln und spannt dabei den Bogen von der Kunst- und Architekturhistorie über Bau- und Planungswirtschaft bis zur Immobilienwirtschaft. Exemplarisch werden dabei die Regionen Aachen und Leipzig en detail analysiert. Untersucht werden Kirchengebäude aller Epochen, „vor allem auch die Kirchen der Nachkriegszeit, die mir besonders am Herzen liegen“, sagte Stefanie Lieb. Als positive Beispiele erwähnte sie die ehemalige katholische Erlöserkirche in Aachen-Brand (Josef Viethen, 1968-70), die in ein Kolumbarium umgewandelt wurde, sowie die „Digital Church“ in Aachen (ehem. Kath. Kirche St. Elisabeth), welche auch in der neuen Nutzung den neugotischen Kirchenraum erlebbar halte.

Quartiersentwicklung mit Kirchen

Projektentwickler für die „Digital Church“ war die Aachener Landmarken AG. Dr. Sebastiaan Gerards betonte, dass Landmarken bei allen Vorhaben „eine Ambition“ mitbringe. „Wir wollen nicht nur Gewinn machen, sondern auch soziale oder ökologische Benefits erzielen“, so der Prokurist und Abteilungsleiter „Quartiersentwicklung“ des Unternehmens. Bei Sakralbauten gelte die Frage: Was kann das Bauwerk städtebaulich und für das Quartier leisten?

So sei beim Verkauf der früheren Kirche St. Elisabeth in Aachen im Jahr 2016 an die Landmarken AG nicht nur das Angebot ausschlaggebend gewesen, sondern auch „unsere Haltung“, so Dr. Gerards. Als Investor habe man von Beginn an die Interessenslagen der Anwohner*innen des Viertels abgefragt und berücksichtigt. Strategie war dann, den „digital Hub Aachen“ als Nutzer einzubinden, eine Organisation, die mit Förderung des Landes Raum für junge Start-Ups schaffen soll. „Wir wollten den großen Raum bewahren, mit flexiblen Arbeitsplätzen, reversiblen Einbauten und eine Öffnung auch für dritte Interessierte.

Natürlich bedeute die Arbeit im Denkmal viele bautechnische Herausforderungen, so Sebastiaan Gerards. Eine enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Denkmalbehörde habe aber zu guten Ergebnissen geführt. „Aus unserer Sicht hat sich die ‚Digital Church‘ bewährt, weil der Raum aktiv genutzt wird, Menschen im Quartier zusammenbringt und noch immer ein spirituell inspirierender Ort ist“, resümierte der Projektentwickler. Für die Herausforderung Sakralraumtransformation wünsche er sich Mut zum Experiment und Offenheit für den Umgang miteinander.

Flexibilität und Wiederaneignung

In der Diskussion, in die Moderator Peter Köddermann auch Fragen aus dem Chat einbaute, wurde nach regionalen Unterschieden im Umgang mit Sakralbauten gefragt. In Nordrhein-Westfalen verlaufe die Debatte in erster Linie verlustorientiert, während in den östlichen Bundesländern eher über eine „Wiederaneignung“ diskutiert werde, stellte Prof. Ulrich Königs fest. Man müsse sich vergegenwärtigen, dass die Kirchenbaugeschichte viele Jahrhunderte alt sei. „In all dieser Zeit war die Kirchentransformation gang und gäbe“, so Königs. Früher sei viel mehr in Kirchen denkbar gewesen, als heute vorstellbar. „Aktuell bestimmt aber ein großer Handlungsdruck viele Gespräche über das Thema.“

Typologisch unterschied Ulrich Königs zwischen einer „pragmatischen“ Umnutzung, einer „politischen“ sowie einer „parasitären“. Transformation betreffe zunächst einmal die Kirche selber, die sich Gedanken machen müsse, wie Kirche wieder lebendiger werden kann und wie sakrale Räume einer kontinuierlichen, bisweilen auch profanen Nutzung zugeführt werden könnten. 

Räume oder Nutzung transformieren?

Königs empfahl den Kirchen, die Räume differenziert zu betrachten. „Nicht der Raum muss unbedingt transformiert werden, sondern manchmal einfach die Nutzung.“ So seien manche Baptisterien besonders attraktiv, während sich andere Kirchen ideal für Konzerte eigneten; und wieder andere als Gast- oder Tanzraum. „Wir haben festgestellt, dass das Konzept ‚Das Alte kommt weg, und dann kommt etwas Neues‘ nicht zu zufriedenstellenden Ergebnissen führt“, erläuterte Prof. Ulrich Königs. Besser seien transformative Szenarien, die auch zu einer Wiederbelebung des Gemeindelebens führen könnten.

Baulich sei die Transformation von Nachkriegskirchen häufig schwieriger als die großer neugotischer Hallenkirchen: Einerseits, weil sie weniger geschätzt werden als historisierende Kirchbauten, anderseits, weil sie oft baulich komplex oder problematisch seien. „Damals wurde viel, schnell und manchmal auch experimentell gebaut – eine Mischung, die Sanierungen und ein Weiterentwickeln heute oft schwierig machen“, so die Analyse des Architekten Königs. Seine Transara-Kollegin Prof. Stefanie Lieb betrachtete Sakralbauten gleichwohl als „Möglichkeitsräume“. 

Experimente wagen

Sie appellierte an ihren „Arbeitgeber“, die katholische Kirche, Experimente zuzulassen. Genauso wichtig sei es aber auch, die immateriellen Werte dieser besonderen Bauwerke zu berücksichtigen und wertzuschätzen. „Viele Menschen verbinden wichtige Abschnitte ihres Lebens mit den Kirchen“, erklärte Dr. Lieb, „von der Taufe bis zur Beerdigung und Trauerarbeit“. Das bleibe ein bestimmender Aspekt. Ein wichtiger Ratschlag von Prof. Königs und Prof. Lieb lautete: Trauerphase der Gemeinde abwarten, aber dann den Transformationsprozess zügig beginnen. „Sakralbauten können verfallen, eine Neunutzung nach langem Leerstand wird immer schwieriger.“

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