Impulse aus den USA

Unter allen ausländischen Architekten und Architektinnen, die in Nordrhein-Westfalen Spuren hinterlassen haben, nehmen amerikanische Kollegen eine herausgehobene Rolle ein. Dies betrifft nicht nur die Anzahl der realisierten Projekte: Die bewegten Kubaturen Frank O. Gehrys oder die weißen Wandscheiben von Richard Meier gehören heute zum baulichen Erscheinungsbild des Landes. Auch zwei Bauten von Daniel Libeskind, von dem der erste Entwurf für das One World Center in New York stammt, finden sich in NRW. − Internationale Stararchitekten allesamt, die auch zwischen Rhein und Ruhr Signature-Buildings errichteten. Dass man sich gelegentlich über den Starkult mokiert, gehört zum Geschäft; den genannten Akteuren ist der Erfolg wie eine architektonische Handschrift jedenfalls nicht abzusprechen; auf die einzelnen Beispiele wird gleich noch einzugehen sein.

07. Dezember 2023von Dr. Frank Maier-Solgk

Will man dem Einfluss der amerikanischen Architektur in Deutschland bzw. an Rhein und Ruhr über die Jahrzehnte in seiner Bedeutung gerecht werden, ist jedoch ein Blick über die prominenten Namen der vergangenen 25 Jahre hinaus empfehlenswert. Beginnen müsste man mit den 1950er Jahren, als der „International Style“, der in New York und Chicago im Hochhausbau seinen Siegeszug feierte, auch in Deutschland und NRW Fuß fasste und hier bis in die 1970er Jahre hinein prägend blieb.  Verantwortlich dafür waren nicht zuletzt persönliche Verbindungen. 
Wollte man ein Datum festlegen, so wäre das Jahr 1955 zu nennen, als der Düsseldorfer Architekt Helmut Hentrich nach dem gewonnenen Wettbewerb für das Thyssen-Hochhaus nach New York zu Skidmore Owings & Merrill fuhr, um die Meinung des damals im Verwaltungsbau führenden amerikanischen Büros zu erfragen. Die Verantwortlichen bei SOM, unter ihnen Gordon Bunshaft, plädierten bekanntlich nicht für den prämierten Entwurf eines am Mailänder Pirelli-Hochhaus orientierten gekrümmten Solitärs, sondern für die schließlich realisierten drei schmalen Hochhausscheiben, eine amerikanische Stadt en miniature. Die Anekdote ist symbolhaft, denn die Entwicklung der deutschen Nachkriegsarchitektur ist ohne den Einfluss des von SOM 1952 mit dem Lever Hause in New York beispielhaft ausgeführten Gebäudetypus nicht denkbar. Zahlreiche Büro- und Verwaltungsgebäude im Bereich der Corporate Architecture, meist errichtet als Stahlskelettkonstruktionen mit gläsernen Vorhangfassaden, folgten dem Muster - ob in Düsseldorf, im Zentrum von Essen oder in Leverkusen.

Der Name Bunshaft taucht noch ein zweites Mal im Zusammenhang des amerikanischen Architekturexports der Nachkriegsjahre auf: Ab 1950 war Bunshaft – der „John Wayne der Architektur“ – auch als Design-Berater für das amerikanische Außenministerium tätig, das für die in deutschen Großstädten neu errichteten Konsulate eine einheitliche architektonische Sprache entwickelte. SOM selbst konnte mehrere dieser Gebäude realisieren. 

Ein Beispiel ist das 1953 fertiggestellte Konsulatsgebäude in Düsseldorf, das an prominenter Stelle mit Blick auf den Rhein errichtet wurde: Die filigrane Stahlskelettkonstruktion mit offener Stützenhalle im EG, einem quer gestellten zweiten Block und einer klar gegliederten hellen Fassade, deren Brüstungsfelder in römischem Travertin ausgeführt sind, kann noch heute überzeugen.

Der amerikanische Einfluss des „International Style“ beschränkte sich nicht auf den Verwaltungsbau. Auch der Museumsbau ist zu erwähnen, der Transparenz nach Außen und den Universalraum im Inneren zu Leitlinien erhob. Das von Manfred Lehmbruck, dem Sohn des Bildhauers 1964 in Duisburg errichtete Lehmbruck Museum zeigt vielleicht am stärksten die Handschrift von Mies van der Rohe, der seinerseits mit Wilhelm Lehmbruck gut befreundet war: Stahlskelettbauweise, Glasfassade, fließende Räume bzw. ein offener Universalraum, wie er später auch in der Berliner Nationalgalerie großformatig ausgeführt wurde, sie blieben für den Bautypus lange richtungsweisend. Einen Sonderfall stellt die 1968 eröffnete Kunsthalle Bielefeld dar, ein monumental wirkender Sandsteinbau des Amerikaners Philip Johnson, der stilistisch bereits den Übergang zur Postmoderne markiert. 

Auch der gehobenen Villenbau ist ein Bereich, in dem sich amerikanischer Einfluss geltend machte: Hier waren es die Bungalows des 1924 in die USA ausgewanderten Österreichers Richard Neutra, dessen Villen an der amerikanischen Westküste ein internationales Erfolgsmodell wurden. In den 1960er Jahren kehrten sie – gewissermaßen als architektonischer Teil des American Way of life − nach Europa zurück. Acht Villen plante Neutra in Europa, zwei davon, die Villen Pescher (unter Denkmalschutz) und Kemper (jeweils 1965), befinden sich in Wuppertal: Es sind aus flachen Kuben bestehende Bungalows mit weit vorstehenden Flachdächern, die sich mit geschosshohen Fensterfronten zum Garten hin öffnen und die Nähe von Natur und Wohnraum unterstreichen. 

Erst ab den 1990 Jahren begegnen wir − nach dem Zwischenspiel der Postmoderne − jenen prominenten Namen der Architekturszene, die heute noch den amerikanischen Einfluss am deutlichsten dokumentieren: Frank O. Gehry, Daniel Libeskind, der eher theoretisch ausgerichtete Peter Eisenman, der durch das Holocaust-Mahnmal in Berlin hierzulande Bekanntheit erlangte, und in abgeschwächter Form auch Richard Meier, sie alle gehören der Stilrichtung des Dekonstruktivismus an, dessen Skepsis gegenüber der Idee einer rationalen und harmonischen baulichen Ganzheit zu einer experimentellen, Strukturen auflösenden und fragmentierten Architektursprache führte. 

Hinzu kam der damals verstärkte Einsatz von Software im Entwurfs- und Planungsprozess. Das deutsche Architekturbüro Graft (heute Berlin) wurde von seinen drei Geschäftsführern nicht ohne Grund 1998 in Los Angeles gegründet: „In den 1990er Jahren war der intellektuelle und akademische Diskurs über Architektur an der East und Westcoast weltweit führend. Die hellsten Köpfe lehrten an den bekannten Universitäten, wie der UCLA und der SCI-Arc, an der wir graduierten. Die Digitalisierung und die kreative Nutzung des Computers und innovativer Software aus der Welt von NASA und Animation in Hollywood führte aber auch zu einem neuen Bauen, gerade durch Büros in Los Angeles wie Frank O. Gehry und Morphosis, beide Lehrer an unseren Unis“, so die drei Geschäftsführer des Büros.

Doch zurück nach NRW: Vom Kalifornier Frank O. Gehry, dessen Architektur am meisten Aufsehen erregte, finden sich fünf Projekte in Nordrhein-Westfalen, davon drei in Bad Oeynhausen (Energie Forum Innovation, 1995; Haus der McDonald Kinderhilfe, 2001; Städt. Wasserwerk). 1999 wurden das Ensemble der drei Bürotürme im Düsseldorfer Medienhafen (Zollhof) fertiggestellt, die mittlerweile ein Wahrzeichen der Stadt geworden sind. Und 2005 eröffnete das Museum Marta in Herford, das Gehrys Guggenheim-Museum von Bilbao in ostwestfälisch angepasster Weise in roter Klinkerverkleidung wiederholt. 

Richard Meier ist – sein Arp Museum Rolandseck überblickt kurz hinter der Landesgrenze in Rheinland-Pfalz den Rhein − zwei Mal in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt vertreten: Ein Beispiel moderner Handelsarchitektur findet sich im Zentrum mit dem Weltstadtkaufhaus für P&C, das 2001 errichtet wurde und durch sein lichtes, großzügiges Inneres überrascht (breite Gänge, Parkett- und Natursteinböden), während die Fassade aus römischen Travertin Eleganz verbreitet. Auch der Entwurf für den Umbau der historischen Feldmühle zu einem modernen Bürogebäude für eine internationale Kanzlei (in Allianz mit rkw+) stammt von Richard Meier. Im Zentrum Düsseldorfs begegnet man mit dem Kö-Bogen I einem Bau von Daniel Libeskind, dessen mit Pflanzen bestückte Fassaden-Nischen den Dekonstruktivismus jedoch nur zitieren. Ein weiterer Bau von Libeskind, der ursprünglich als Einfamilienhaus in Fertigbauweise konzipiert wurde, dient heute als Eingangsbauwerk der Firma Rheinzink in der Stadt Datteln. 

Schließlich Peter Eisenman. Auch er ist in NRW vertreten, und zwar mit einem 1996 in Aachen errichteten Busunterstand, der vielleicht am konsequentesten die Prinzipien des Konstruktivismus veranschaulicht. 

Im Blick auf heute hat sich das Bild nicht wenig verändert. Zwar gibt es gelegentlich noch Einzelfiguren wie den Deutschamerikaner Helmut Jahn (Post Tower, Bonn; Sign!, Düsseldorf), die Epoche der Dominanz einer nationalen Architektur hat sich jedoch offensichtlich zugunsten einer multipolaren Welt aufgefächert. „Die digitale Revolution“, so nachmals Graft, „findet heute überall statt. Themen wie ökologisches und gemeinschaftsförderndes Bauen sind heute wichtiger. Und hier spielen Architekten eine größere Rolle, die eher europäisch getrieben sind.“

Mehrere der genannten Objekte können Sie mit vielen Fotos und Infos abrufen in unserem Online-Architekturführer www.baukunst-nrw.de.

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