Innenentwicklung: Chance oder Illusion?
„Tag der Stadtplanung“ der AKNW diskutierte am 30. Oktober in der Heilig-Kreuz-Kirche in Gelsenkirchen über Instrumente, neue Ideen und Erfahrungen
„Dieser Ort zeigt am konkreten Beispiel, welches Potenzial in der Innenentwicklung und der Weiterentwicklung unseres Gebäudebestandes liegt.“ Mit diesen Worten führte Ernst Uhing, Präsident der Architektenkammer NRW, in den „Tag der Stadtplanung“ ein, zu dem die AKNW am 30. Oktober in die Heilig-Kreuz-Kirche in Gelsenkirchen-Ückendorf eingeladen hatte. Die ausgebuchte Veranstaltung diskutierte die Frage „Innenentwicklung – Chance oder Illusion?“
Kammerpräsident Ernst Uhing betonte den Anspruch, verantwortungsvoll mit dem endlichen Gut Boden umzugehen und zugleich die Innenentwicklung als konkreten Beitrag zum Klimaschutz, vor allem zur Reduzierung des CO2-Ausstosses zu verstehen. „Wir müssen Ergänzung des Gebäudebestandes in erster Linie innerhalb von erschlossenen Siedlungsräumen suchen, Wohnimmobilien ertüchtigen, Quartiere gemischt denken und baukulturelle Anforderungen in Sanierung und Weiterbau berücksichtigen“, appellierte Uhing an den Berufsstand. „Die Zeiten von Abriss und Neubau müssen endgültig vorbei sein“, so der Präsident der Architektenkammer NRW.
Besondere Herausforderungen der Innenentwicklung in Gelsenkirchen
Gelsenkirchens Stadtbaurat Christoph Heidenreich verwies auf die wechselvolle Geschichte des Standortes Bochumer Straße, die einmal eine zentrale Einkaufs- und Ausgehmeile der Stadt gewesen sei. Seit zehn Jahren werde ein Stadterneuerungskonzept verfolgt mit dem Ziel, die alten Qualitäten zu sichern und neue Nutzungen anzuregen. „Der Finanzierungsanteil der Stadt erfolgt über Mittel, welche die Stadt aus Grundstücksverkäufen im Stadtteil Buer erzielt“, erläuterte Heidenreich. Zentrale Themen der Innenentwicklung in Gelsenkirchen sei die Aktivierung von Brachflächen, die eine Herausforderung bleibe, weil in der „ersten Runde der Stadtsanierung keine Altlastenentsorgung erfolgt“ sei. Und zweitens kaufe die Stadt aktiv Gebäude auf (allein in diesem Jahr 30 Objekte), um städtebauliche Qualitäten sicherstellen zu können und den Wohnungsmarkt angemessen aufwerten und ergänzen zu können.
Als „steinigen, aber lohnenden Weg“ schrieb Prof. Rolf-Egon Westerheide, Vorsitzender des Ausschusses „Stadtplanung“ und Vorstandsmitglied der AKNW, als Initiator und Moderator der Veranstaltung die konsequente Verfolgung einer Innenentwicklung.
Welche Instrumente greifen?
Dr. Timo Munzinger vom Deutschen Städtetag in Köln stellte die aktuellen Treiber der Stadtentwicklung vor. „Verfügen die Städte über ausreichende Instrumente?“ lautete seine Leitfrage.
In der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie sei 2021 das Ziel gesetzt worden, den Zuwachs der Siedlungs- und Verkehrsflächen in Deutschland von über 52 Hektar auf unter 30 zu reduzieren; ein Ziel, das man bislang nicht erreicht habe. „Wir haben eine klare Haltung und Instrumente. Aber warum funktioniert das nicht“, wollte Munzinger wissen. Städte wie Aachen, Bonn, Krefeld und viele andere hätten mittlerweile ein Baulückenkataster. Aber die Wirkung bleibe doch gering. Ähnliches gelte für die Statistiken über Dachflächenpotenziale oder Nachverdichtungsflächen.
Kritik an Novelle des BauGB
Die Regelungen für Baugebote blieben im Entwurf zur Novellierung des Baugesetzbuches „weit hinter den kommunalen Erwartungen zurück“, kritisierte Dr. Munzinger. Besonders zu kritisieren sei das erneute Festhalten an der „Familienschutz-klausel“, die dazu führe, dass gerade für kritische Bauwerke Eigentümer die entsprechende Hintertür nutzten.
„Innenentwicklung ist aufgrund der komplexen Prozesse und der hohen Bodenpreise nur begrenzt geeignet, um kostengünstigen Wohnungsbau zu schaffen“, so die Einschätzung des Referenten des Deutschen Städtetages. Das BauGB sei zwar eine gute Basis. „Es bedarf aber weniger, gut vorbereiteter Änderungen, um wirklich voranzukommen“, so Dr. Timo Munzinger. „Solange man viel Geld damit verdienen kann, alle baukulturellen und klimabezogenen Anforderungen bestmöglich zu umgehen, bleiben die zentralen Probleme bestehen“, resümierte Timo Munzinger die Sicht des Deutschen Städtetages.
Digitalisierung der Stadtplanung
„Baue Deine Stadt: Innenentwicklung und neue Instrumente“ nannte Cornelia Zuschke ihren Impulsvortrag. „Wir haben gute Instrumente, die wir für die Innenentwicklung nutzen“, sagte Zuschke. In Düsseldorf lägen 5000 Wohnungen brach, die sich auf Spekulations-Grundstücken befänden. „Dagegen gehen wir jetzt konsequent vor, auch auf die Gefahr hin, dass wir verklagt werden“, kündigte die Planungsdezernentin der Landeshauptstadt an. Mit dem „Raumwerk D“ habe Düsseldorf ein Stadtentwicklungsgerüst entwickelt, das in der Stadtgesellschaft verankert sei. Das Leitbild werde umgesetzt in Strukturplänen, mit denen auch Flächenkonkurrenzen klar abgegrenzt würden. Die Wohnungsbauoffensive der Stadt Düsseldorf folge dem Konzept „viel im Innern, wenig im Außen“. Über allem stehe die Aufgabe einer klimagerechten Stadtentwicklung zum Schutz von Landschaft, Flora und Fauna sowie des Klimas.
Cornelia Zuschke erläuterte, dass die Landeshauptstadt seit 2005 an der Digitalisierung ihrer Datenbestände arbeite. In diesem Jahr sei eine Neuaufstellung des gesamten 3D-Bereichs auf KI-Strukturen erfolgt. Alle Ämter arbeiteten nun in ein virtuelles Stadtmodell auf Basis des „virtual city planners“. „Am Ende braucht es aber Kommunikation. Wir müssen mit den Bürgerinnen und Bürgern reden, das kann uns keine KI abnehmen“, resümierte Cornelia Zuschke.
Interaktives Stadtentwicklungsmodell
Düsseldorfs Planungsdezernentin stellte gemeinsam mit und Matthias Faber, Senior Partner von HPP Architekten in Düsseldorf, ein neues Instrument der Innenentwicklung vor: ein interaktives Stadtmodell der Landeshauptstadt Düsseldorf, das eine niedrigschwellige Beteiligung der Bürger*innen ermöglichen soll. „Unser Modell ist nur ein kleiner Baustein, der aber dazu beitragen kann, Menschen mit Stadtplanung in Kontakt zu bringen und vor allem mit den Fachplanern ins Gespräch zu kommen“, so Matthias Faber. „Sie können innerhalb von Sekunden Ideen in Bilder übersetzen lassen und damit die Leute mitnehmen.“ Das Tool sei zum Experimentieren und Kommunizieren gedacht, könne aber keine fachlichen Entscheidungen abnehmen. „Es geht nicht um automatisiertes Planen, sondern um ein Planungsassistenzsystem“, betonte Matthias Faber.
Beispiele aus Paris, Münster und Korschenbroich
Wie die Innenentwicklung einer Großstadt erfolgreich umgesteuert werden kann, berichtete Helena Schulte, Leiterin der Niederlassung Paris des Kölner Büros schultearchitekten, mit Impressionen aus der französischen Hauptstadt. Die Verkehrswende, der Ausbau von Pocket-Parks und nicht-formellen Zonen sowie das Ziel, Stadtquartiere der kurzen Wege zu schaffen, habe zu neuen Qualitäten in Paris geführt.
Robin Denstorff, Stadtbaurat in Münster, stellte praktische Beispiele aus seiner Stadt vor. Münster sei von der Fläche her in etwa so groß wie München, habe aktuell gut über 300.000 Einwohner und 60.000 Studierende. „Wir müssen den Blick auf die Innenentwicklung richten, das ist gar keine Frage“, so Denstorff. Seit 2012 liege der Anteil neuer Wohnungen in Münster zu 75 % im Innenbereich. Für die Umwandlung des Hafenbereichs sei der alte Masterplan mit Bürgerbeteiligung und über Wettbewerbe weiterentwickelt worden. 70 % Wohnungsbau plus weitere Nutzungen sollen für lebendige Quartiere sorgen. „Unser Städtebau setzt auf klare Gebäude- und Freiflächenstrukturen, die auch kreative Entwicklungen möglich machen“, erläuterte Robin Denstorff. „Mit einer klaren Haltung und deutlichen Zielvorstellungen kann die Stadt von morgen deutlich besser sein als der Status Quo.“ Hochwertige Orte für das Leben und Arbeiten entstünden dort, wo lebendige, gemischte Quartiere qualitätvoll geplant werden.
Marc Venten, Bürgermeister von Korschenbroich, erläuterte, dass auch für eine kleine, ländlich gelegene und polyzentrisch gebildete Struktur bewusst auf die Innenentwicklung setzen könne. „Jede neue Inanspruchnahme von Flächen im Außen-bereich wird extrem kritisch gesehen“, führte Marc Venten aus. Gleichzeitig liege Korschenbroich unmittelbar im Bereich des Programms „Mehr Wohnbauraum am Rhein“. Vorgesehen sei ein zusätzlicher Wohnraumbedarf von etwa 1800 Wohneinhei-ten. Baulücken und Innenentwicklungsflächen könnten davon etwa 350 WE abdecken, die nun prioritär entwickelt werden sollen. Ein wesentliches Hemmnis sei die kleinteilige Eigentümerstruktur und die mangelnde Mitwirkungsbereitschaft der Bürger*innen, so Bürgermeister Venten. Dazu kämen Zielkonflikte mit Leitideen einer nachhaltigen Stadtentwicklung, dem Erhalt von Grünflächen sowie die zusätzliche Verkehrsbelastung. „Ohne zusätzliche Flächen werden wir die Wohnungsnot in den Ballungsgebieten nur mithilfe einer Innenentwicklung nicht lindern können“, so die These des Korschenbroichers Bürgermeisters.
Vielfach ausgezeichnet: BOB Campus Wuppertal
Ragnhild Klußmann von raumwerk architekten stellte das Projekt BOB Campus Wuppertal vor. „Ziel der Montag-Stiftung Urbane Räume als Bauherrin war es von Beginn an, die Campus-Entwicklung als Beitrag zur Aufwertung der Nachbarschaft und des Stadtteils zu verstehen“, betonte Klußmann. Projekte dieser Dimension und eines solchen Anspruchs müssten intensiv mit den Menschen besprochen werden. „Wir sind anderthalb Jahre durch den Stadtteil getingelt, um Bedarfe und Erwartungen abzufragen.“ Das Projekt sei von der Montag-Stiftung sehr offen gestartet worden; die Nutzungen seien erst vor Ort in Workshops und Gesprächen mit der Stadt Wuppertal und den Menschen im Stadtteil Oberbarmen entwickelt worden.
„Wenn man über Innenentwicklung spricht, braucht man solche Zeichen“, meinte Prof. Rolf-Egon Westerheide als Moderator des AKNW-Tags der Stadtplanung.
In der von Christina Schlottbom (Büro ISR) moderierten abschließenden Fishbowl-Diskussion zeigten sich die Diskutant*innen einig, dass engagierte zivilgesellschaftliche Bauherren ermutigt und unterstützt, ggf. auch gefördert werden sollten. Bedauert wurde immer wieder, dass es gewaltige Beharrungskräfte auf Seiten der Eigentümer und auch der Bürgerinnen und Bürger gebe, wenn es um konkrete Grundstücke und Entwicklungspotenziale im Innenbereich gehe. Umso wichtiger seien gute Beispiele, die motivieren und ermuntern sollen. „Wir müssen immer das Versprechen geben und dann einhalten, dass wir mit unserer Stadtplanung die Welt für die Menschen ein wenig besser machen“, so Münsters Baudezernent Robin Denstorff unter dem Applaus des Publikums. Ragnhild Klußmann forderte: „Wir müssen neu und anders denken – alle!“
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