Klimaschutz und Innovation
Der Buchstabe „E“ steht in der aktuellen berufspolitischen Diskussion für „Experiment“ und „einfach Bauen“, aber auch für „Erfahrungswissen“. Mit dieser Botschaft wird sich die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen dafür einsetzen, das Konzept des „Gebäudetyps E“, das derzeit bundesweit diskutiert wird, auch in Nordrhein-Westfalen in die Praxis zu überführen. Das beschlossen die Delegierten der 70. Vertreterversammlung der AKNW am 29. Oktober auf ihrer Jahrestagung in Münster.
„Wenn wir mit dem Planen und Bauen vorankommen wollen, müssen alle Beteiligten den Mut zu Innovation und der Nutzung des Erfahrungswissens unserer Branche aufbringen“, bekräftigte Kammerpräsident Ernst Uhing den einstimmig gefassten Beschluss des größten deutschen Architektenparlaments, mit dem die Delegierten dem bundesweiten Experiment „Rückenwind aus Nordrhein-Westfalen“ geben wollten. Auch weitere Anträge, die in Münster diskutiert und beschlossen wurden, zielten auf die Berufspraxis und letztlich auf zentrale aktuelle Ziele der Gesellschaft: Wohnungsbau, Landesentwicklung, Klimaschutz.
„Die Welt ist eine andere geworden“, sagte die stellvertretende Ministerpräsidentin und Wirtschaftsministerin des Landes NRW, Mona Neubaur, in einem Grußwort vor der 70. Vertreterversammlung. „Auch für Ihre Branche sind die Bedingungen deutlich erschwert; Lieferketten sind gestört, Finanzierungen unsicher, es mangelt an Fachpersonal“, konstatierte Neubaur. Gleichwohl setze sie auf die Architektinnen und Architekten aller Fachrichtungen in NRW, um den Umbau auf die regenerativen Energien konkret zu gestalten und umzusetzen.
Kreislaufwirtschaft umsetzen
Das nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerium halte verschiedene Instrumente bereit, um den Wandel in der Wärmeplanung zu unterstützen, sagte Ministerin Neubaur, vom Solarkataster bis zu Geothermiekarten. Der Bereich der Wärme nehme 55 % des Energiebedarfs in NRW in Anspruch; aktuell seien nur 15 Prozent davon Erneuerbare. „Lassen Sie uns gemeinsam die Weichen dafür stellen, dass wir unser Land zukunftsfähig gestalten!“
Die nordrhein-westfälische Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie rief dazu auf, in Kreisläufen zu denken und zu wirtschaften. Das gelte für Energie, für Rohstoffe und eben auch für Planungsprojekte. „Wir können die ersten sein, die eine konsistente Kreislaufwirtschaft zu einem erfolgreichen Geschäftsmodell und zu einem Gesellschaftsmodell machen. Sie sind Botschafterinnen und Botschafter der Baukultur in diesen wichtigen Fragen!“
Europäische Dimension
„Klimaschutz ist die wichtigste Aufgabe auf allen Ebenen, von der Region über das Land bis nach Europa“, bekräftigte auch Ruth Schagemann, die Präsidentin des Architects‘ Council of Europe (ACE). Die Herausforderungen des Klimawandel stellten eine Chance dar. „Die meisten Gesetze, die unseren Berufsstand betreffen, werden in Europa geschrieben“, erklärte Ruth Schagemann. Dort sei aktuell Spanien die führende Nation, was Regelungen zum nachhaltigen und barrierefreien Planen und Bauen angehe. „Mit dem Green Deal, der Klimaneutralität bis 2055, hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden: Zum ersten Mal befasst sich die Europäische Union ausdrücklich mit der Bedeutung der gebauten Umwelt für ein zukunftsfähiges Europa“, erläuterte die ACE-Präsidentin. Der Bausektor hänge noch stark hinterher und müsse dringend aufholen.
Bislang habe die Branche mit Appellen und Empfehlungen zu tun gehabt. Nun zeichne sich eine klare Strategie ab, mit eindeutigen rechtlichen Vorgaben. Der Transformationsprozess habe begonnen, und unsere Branche leiste einen wesentlichen Beitrag dazu. „Es ist jetzt Zeit zu handeln“, rief Ruth Schagemann. „Wir Architektinnen und Architekten können die Welt nicht retten. Wir können aber einen erheblichen Beitrag dazu leisten, um sie lebenswert zu halten und besser zu machen!“
Für eine lebenswerte Umwelt
Präsident Ernst Uhing betonte die konstruktive Kooperation der Architektenkammer NRW mit der noch jungen Landesregierung. „Ein zentraler Satz des Koalitionsvertrages von Schwarz-Grün lautet: Wir wollen Nordrhein-Westfalen zur ersten klimaneutralen Industrieregion in Europa machen. Das ist ein gutes Ziel, das wir unterstützen“, so AKNW-Präsident Uhing. Ohne ein umfassendes Umdenken im Bau- und Planungssektor seien die Ziele des Green Deal und auch der Landesregierung allerdings nicht zu erreichen.
„E“ wie Experiment
Für Nordrhein-Westfalen bestehe zugleich die Herausforderung, mehr kostengünstigen Wohnungsbau zu realisieren. Dazu bedürfe es weiterer Anstrengungen, und dazu gehöre auch die Bereitschaft, Experimente zu wagen. „Unser Berufsstand fordert daher auch die Einführung eines Gebäudetyps E – im Sinne von ‚einfach bauen‘, aber auch im Sinne von ‚experimentell bauen‘“, unterstrich der Präsident der größten deutschen Architektenkammer. – Eine Aussage, welche die Delegierten des NRW-Architektenparlamentes im Verlauf der Sitzung mit einem entsprechenden Beschluss unterstrichen.
Notwendig sei die weitere, konsequente Digitalisierung des Planens und Bauen, führte Ernst Uhing aus. Dazu gehöre die bundesweite Implementierung der digitalen Auskunftsstelle für Architekten und Ingenieure (di.BAStAI) sowie die Umsetzung des digitalen Bauantrags, die in Nordrhein-Westfalen unmittelbar bevorstehe.
Die Junior-Architekten sind da!
Ein wichtiger Fortschritt sei in diesem Zusammenhang die Einführung der Junior-Architektenschaft in NRW, sodass auch junge Kolleginnen und Kollegen verstärkt an diesen Zukunftsaufgaben mitarbeiten könnten. Die markante Kampagne „Sag JA* - Junior-Architekt*in“ der Kammer trage dazu bei, dass sich die gute Nachricht schnell verbreite und schon rund 300 Junior-Architekt*innen in die Kammer eingetragen seien, erklärte der Präsident der größten deutschen Architektenkammer vor der Vertreterversammlung.
Um den beruflichen Nachwuchs zu stärken und zu ermutigen, ggf. auch in die Selbstständigkeit zu starten, beschlossen die Delegierten der 70 VVS die Einführung eines Mentoringprogramms. Das Ziel ist dabei, dass sich der Berufsstand generationenübergreifend intensiver vernetzt, austauscht und Wissen transferiert.
Anträge zum Planen in NRW
Lebhafte Diskussionen prägten die Aussprachen zu berufspolitischen Anträgen. Die Vertreterversammlung kritisierte, dass die Kultur der VgV-Verfahren dazu führt, dass junge Kolleginnen und Kollegen de facto von Vergaben vielfach ausgeschlossen bleiben. „Die Zahl der VgV-Verfahren nimmt zu, die der Wettbewerbe dagegen kontinuierlich ab“, stellte Prof. Johannes Kister fest. Das Architektenparlament schloss, dass sich die Kammer noch intensiver für die Auslobung geregelter, offener Wettbewerbs- und Vergabeverfahren einsetzen soll.
Weiteres Antragsthema war die Betrachtung der Gesamtmietkosten in Nordrhein-Westfalen: Die Kammer wird auf Beschluss der VVS analysieren, wie sich die Kalt- und Warmmieten im Neubaubereich in den letzten Jahren entwickelt haben, die berechneten Energieverbrauchswerte mit den tatsächlichen Verbräuchen im Wohnungsbau vergleichen und dies in Zusammenhang mit den derzeitigen und avisierten Förderinstrumenten setzen. Daraus sollen ggf. berufspolitische Forderungen des Berufsstandes entwickelt werden mit dem Ziel einer Senkung der Gesamtkostenmiete.
Zudem fordert die Vertreterversammlung der Architektenkammer NRW den Landesgesetzgeber dazu auf, das im Juni 2022 novellierte Denkmalschutzgesetz NRW einer kritischen Evaluierung zu unterziehen. Diskutiert werden sollte dabei insbesondere die Neuregelung, dass die Unteren und Oberen Denkmalbehörden ihre Entscheidungen lediglich nach Anhörung des zuständigen Landschaftsverbandes treffen sollen. „Die Fachbehörden erhalten die Gelegenheit, ihre Fachexpertise zu äußern, sind jedoch nicht wie im Prozess der Benehmensherstellung beteiligt“, kritisiert das NRW-Architektenparlament die Neuregelung, die zu einem Verlust fachlicher Expertise führe.
Anpassung der VVS
Ungewöhnlich für ein demokratisches Kollegialgremium: Die Vertreterversammlung beschloss, dass die Zahl der Delegierten im nordrhein-westfälischen Architektenparlament von bislang 201 bei der nächsten Kammerwahl auf 161 sinken soll. Damit soll erreicht werden, dass alle Mitglieder der VVS auch in die aktive Gremienarbeit eingebunden werden können. Auch dieser wichtige Beschluss wurde einstimmig gefasst.
Aus „HdA“ wird „Architektenkammer.NRW“
Nach einem Beteiligungsverfahren innerhalb der Mitgliedschaft beschloss die Vertreterversammlung eine Neubenennung des bisherigen „Haus der Architekten“: Der Sitz der Geschäftsstelle am Zollhof 1 im Düsseldorfer Medienhafen soll künftig gleichlautend heißen wie die Institution, die hier ihren zentralen Sitz hat: „Architektenkammer.NRW“.
Haushalt 2023 verabschiedet
Zu den wichtigen Formalia der Vertreterversammlung der AKNW gehört die Entlastung des Vorstands. Dies geschah einstimmig unter ausdrücklichem Dank für die geleistete Arbeit. Der Haushalt für das Jahr 2023 soll 10,37 Millionen Euro umfassen. Die Vertreterversammlung verabschiedete die Vorlage einstimmig. Der Grundbetrag für Mitglieder wird 252,00 Euro betragen.
Versorgungswerk mit guten Ergebnissen
Das Kalenderjahr 2021 war für das Versorgungswerk durch sehr gute wirtschaftliche Ergebnisse geprägt. Mit einem Vermögen per 31.12.21 von rund 12,5 Milliarden Euro verwaltet das Versorgungswerk erneut rund 600 Millionen mehr Gelder von Mitgliedern als zum Ende des Vorjahres.
„Das Versorgungswerk hat sich in schwieriger Zeit sehr gut behauptet und konnte mit einem Rechnungszins von 3,8 Prozent den avisierten Rechnungszins von 3,65 Prozent sogar übertreffen“, resümierte Wolfgang Zimmer als Vorsitzender des Aufsichtsausschusses vor der Vertreterversammlung. Die aktive Mitgliederzahl des Versorgungswerks hat sich minimal reduziert und betrug Ende 2021 genau 43 532 Personen. Die Zahl der Rentenempfänger stieg auf 14 237.
„Trotz der Pandemie im zweiten Jahr war 2021 wirtschaftlich ein gutes Jahr für das Versorgungswerk. Das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen“, stellte Wolfgang Zimmer fest. Allerdings sei ab Januar 2022 „alles anders“ geworden. Die hohe Inflation, der deutliche Zinsanstieg, die Verluste an den Kapitalmärkten angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine machten sich deutlich bemerkbar und zeigten die zunehmende Bedeutung von Reserven beim Versorgungswerk auf.
Die VVS beschloss auf Grundlage der Ergebnisse des Jahres 2021 einstimmig eine Erhöhung der Anwartschaften um 1,0 Prozent zum 01.01.2023. Zeitgleich steigen die Renten um 0,5 Prozent.
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