Kommentar: Nachhaltigkeit als Standard - Vision zur Realität machen

Mit dem Begriff „Nachhaltigkeit“ werden wir uns weiter befassen müssen. – Ein Kommentar von AKNW-Vizepräsidentin Katja Domschky.

12. April 2024von Katja Domschky
Katja Domschky
Dipl.-Ing. Katja Domschky, Vizepräsidentin der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen - Foto: Anke Illing

Lieber Kollege,
liebe Kollegin!

das Hauptthema der Mai-Ausgabe des Deutschen Architektenblatts ist „Nachhaltigkeit“. Das Wort wird mittlerweile so inflationär verwendet, dass es mir schwerfällt, es noch zu verwenden. Aber das ist kontra-produktiv. Nein, mit diesem Begriff werden wir uns weiter befassen müssen. EPBD, EU-Taxonomy for Sustainable Activities, zirkuläres Bauen, QNG-Zertifizierung, Gebäudelogbuch etc. Klingen Ihnen diese Begriffe auch in den Ohren? Diese Schlagworte sind in aller Munde, aber wie verändert sich unsere gebaute Umwelt tatsächlich?

Warum dauert die Veränderung so lange? Warum sind die Erkenntnisse, die seit Jahren und zur Genüge vorliegen, so schwer umzusetzen? Ich glaube nicht, dass wir das allein auf unsere deutsche Bürokratie und Regelungswut schieben können. - Sind unsere Köpfe eigentlich flexibel genug?
Im März hat unsere Landesinitiative „Baukultur NRW“ in Gelsenkirchen das „UmBauLabor“ eröffnet. Dort wird die Diskussion über den Bestand von Gebäuden in die Praxis umgesetzt. Bis Ende 2026 werden dort nachhaltige und kreislaufgerechte Planungs- und Bauprozesse mit Akteuren und Akteurinnen aus Forschung, Praxis und Zivilgesellschaft erprobt.

Gemeinsam und im Dialog wird über Umbau, Umnutzung oder Wiederverwertung von Materialien diskutiert, ebenso wie über zukunftsorientierte Stadt- und Quartiersentwicklung. Dabei werden nicht nur die bestehenden Gebäude, sondern auch das Stadtquartier insgesamt und die nachbarschaftlichen Strukturen untersucht. Die Menschen sollen gezielt und durch intensive Ansprache in die Entwicklung ihres Stadtteils Gelsenkirchen-Ückendorf einbezogen werden. Neben der Forschung an fachlichen Fragestellungen gehört auch die Einbindung einer breiteren Öffentlichkeit zu den erklärten Zielen des Projektes „UmBauLabor“. Ein guter Vorsatz, meine ich. Denn wir müssen aus unserer Expertenblase heraustreten. Wir müssen mehr erklären. Und wir müssen fragen, wie die Nutzerinnen und Nachbarn den Wert eines Gebäudes beurteilen.
„Ist doch nichts Neues“, höre ich oft. „Wir wissen doch, wie wichtig die Bestandsarbeit ist und wie nachhaltiges Planen und Bauen geht.“ Das stimmt irgendwie.

Während meines Studiums kannte man den Begriff „Bauen im Bestand“ bereits. Schon damals wusste man um die Bedeutung von Kaltluftschneisen, Fassaden- und Dachbegrünung für das städtische Klima. Und auch die aktuelle Diskussion über geschlechtergerechte Stadtplanung ist keineswegs eine Erfindung der heutigen Zeit. Deshalb frage ich zurück: Was haben wir in den letzten 30 Jahren getan? Wenn das doch alles nichts Neues ist. Sagen Sie mir Ihre Meinung. Diskutieren Sie mit mir!

Es freut mich, dass der Nachwuchs im UmBauLabor beteiligt ist und bereits im Studium praxisnahe Erfahrungen sammeln kann. Ich hoffe, dass die Jugend sich mehr einbringt und wir gemeinsam schneller sagen: „Wir ändern das jetzt - und vielleicht sogar zum Besseren!“
Die Schlagworte „Bestandsentwicklung“, „Nachhaltiges Planen und Bauen“ und „Kreislaufwirtschaft“ sind richtig und wichtig. Es ist gut, dass die deutschen Länderarchitektenkammern gemeinsam den diesjährigen „Tag der Architektur“ unter das bundesweite Motto „Einfach (Um)Bauen“ gestellt haben. Bei uns in NRW werden Ende Juni viele Beispiele dafür aus der Praxis öffentlich vorgestellt.

Von der Theorie zur Praxis zu kommen, das bedeutet auch: Am Bestand zu experimentieren und nach praktikablen Lösungen zu suchen. Mit den Zielen nachhaltigen Agierens vom Planen zum Bauen zu kommen, das erfordert viel persönliches Engagement, aber auch bessere Rahmenbedingungen und verbindliches politisches Handeln.
Nachhaltigkeit muss in unseren Köpfen zum Standard werden. Die Vision einer klimagerechten Umwelt muss zur Realität werden. Damit dieses wichtige Wort nicht eine inflationäre Floskel bleibt, sondern als motivierendes Ziel mit Leben gefüllt wird.

Es grüßt Sie hoffnungsvoll und optimistisch Ihre

Dipl.-Ing. Katja Domschky
Vizepräsidentin der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen
 

 

Teilen via