Wider den Regulierungswahn der EU-Administration

Kommentar: Rote Karte für EU-Technokraten

Aufwändige Ausschreibungsverfahren für Klein- und Kleinstaufträge sind praxisfremd. Es hilft niemandem, wenn jeder Vorgang bis ins kleinste Detail normiert und reglementiert wird. So lässt sich allenfalls eine Scheinobjektivität bei der Auftragsvergabe herstellen – allerdings um den Preis hoher volkswirtschaftlicher Kosten.

17. Oktober 2006von Michael Arns

Liebe Kollegin,
lieber Kollege, 

wir sind ja inzwischen so allerhand gewohnt aus Brüssel. Aber die EU-Kommission kann einen immer wieder aufs Neue überraschen. Jüngste Kopfgeburt der Brüsseler Technokraten sind die „Leitlinien für die faire Vergabe von Aufträgen mit geringem Auftragswert“. Diese Handlungsanleitungen zielen darauf ab, dass künftig auch Aufträge unterhalb des Schwellenwerts von 200.000 € ausgeschrieben werden müssen. Damit will die Kommission größere Transparenz bei der Auftragsvergabe erreichen und die Voraussetzungen für einen intensiveren Wettbewerb im Binnenmarkt schaffen. 

Dieses Vorhaben ist insofern skandalös, als sich die EU-Kommission damit über geltende Regelungen – in diesem Fall die vereinbarten Schwellenwerte – hinwegsetzt und am europäischen Gesetzgeber vorbei Rechtsetzung betreiben will.  

Aufwändige Ausschreibungsverfahren für Klein- und Kleinstaufträge sind im Übrigen praxisfremd. Es hilft niemandem, wenn jeder Vorgang bis ins kleinste Detail normiert und reglementiert wird. So lässt sich allenfalls eine Scheinobjektivität bei der Auftragsvergabe, die wir bereits aus den VOF-Verfahren kennen, herstellen – allerdings um den Preis hoher volkswirtschaftlicher Kosten. 

Gerade Architekturbüros stehen in einem harten Wettbewerb. Diese würde eine solche Regelung doppelt treffen: Als Auftragnehmer – und mittelbar als Vertreter der Auftraggeber bei der Ausschreibung von Bauleistungen. Es kann nicht hingenommen werden, unserem Berufsstand immer neue Belastungen in Form von administrativem Aufwand aufzubürden. Jede Arbeitsstunde, die wir für das Ausfüllen von Formularen aufwenden müssen, kostet Geld und fehlt uns für unsere eigentliche Tätigkeit.  

Darum hat es im Vorstand der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen ein klares Votum gegen eine weitere Reform der Vergabepraxis gegeben. Auch die Bundesregierung lehnt eine solch weitreichende Änderung entschieden ab. Sie führt gegen das Ansinnen der EU-Kommission ins Feld, dass dadurch ein höherer Verwaltungsaufwand und Mehrbelastungen für die öffentliche Hand entstünden. Die AKNW teilt diese Einschätzung und unterstützt die Bundesregierung deshalb ganz entschieden bei der Abwehr dieses unsinnigen Vorhabens. 

Dieser jüngste Vorstoß der Kommission erscheint auch unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten widersprüchlich: Man kann sich nicht einerseits einen nachhaltigen Bürokratieabbau auf die Fahne schreiben, um die wirtschaftliche Entwicklung im europäischen Binnenmarkt zu dynamisieren – andererseits aber ständig neue Vorhaben initiieren, die zu einem Mehr an Bürokratie führen. Es reicht auch nicht, wenn Politiker in Sonntagsreden stets vollmundig davon sprechen, dass sie die Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen stärken wollen – und dann entgegen diesen Lippenbekenntnissen Neuregelungen bei bewährten Verfahren zustimmen, die große, leistungsfähige Marktteilnehmer exklusiv begünstigen. Hiergegen werden wir streiten.  

Der vorliegende Fall scheint symptomatisch für eine bedenkliche Entwicklung in der Europäischen Union: Die Verselbständigung der Brüsseler Administration. Es stimmt schon nachdenklich, wenn in diesen Tagen der deutsche Vizepräsident der EU-Kommission, Günter Verheugen, sich gezwungen sieht, die Machtfülle des Brüsseler Beamtenapparats öffentlich zu problematisieren.  

Wer einzelne Vorhaben aus Brüssel kritisiert, wird rasch als Europagegner verunglimpft. Diesen Vorwurf weise ich für unseren Berufsstand entschieden zurück. Als Architekten unterstützen wir den europäischen Integrationsprozess. Kritik in der Sache muss allerdings erlaubt sein. Es geht nicht um Fundamentalkritik am Projekt Europa, sondern darum, Auswüchse in Form bürokratischer Überregulierung, die sich zum Nachteil unseres Berufsstandes auswirken, zu verhindern. Dafür tritt Ihre Kammer in Brüssel auch weiterhin ein.  

Sie können uns beim Wort nehmen!
Ihr    

Michael Arns
Vize-Präsident der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen
arns@aknw.de

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