
Konvent der Baukultur: Infrastruktur
Am 19. und 20. Juni versammelten sich Bauschaffende aus ganz Deutschland in Potsdam zum „Konvent der Baukultur“. Im Fokus der Workshops und Diskussionen standen in diesem Jahr der Um- und Ausbau sowie die Gestaltung von Infrastrukturen. Dietmar Horn, Abteilungsleiter für Stadtentwicklung im Bundesbauministerium, erklärte pointiert: „Infrastruktur umfasst sehr viele Bereiche, die für die Transformation unserer Gesellschaft in Richtung Klimaneutralität entscheidend sind. Es sind gewaltige Umwälzungen, die unsere Städte und Strukturen massiv verändern werden.“
Auch die resiliente Stadtentwicklung und die soziale Entwicklung unserer Gesellschaft sowie der Mobilitätssektor gehörten dazu. „Zusammengenommen ist das eine Mammutaufgabe“, so Horn zur Begrüßung der rund 500 Teilnehmenden, von denen viele aus NRW angereist waren. Die Bundesstiftung Baukultur stellte im Rahmen des Konvents auch ihren „Baukulturbericht 2024/25“ vor - eine umfangreiche Sammlung von Daten, Fakten und Analysen zu Aspekten der Infrastruktur in Deutschland.
„Die vorhandenen Infrastrukturen instand zu halten, zu sanieren und auszubauen, ist die Aufgabe unserer Zeit“, sagte Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur. „Straßen, Wind- und Wasserkraftwerke oder Schaltkästen sind nie rein funktional – sie haben auch eine soziale und ästhetische Komponente: Infrastrukturen prägen Räume und Menschen.“
Baukultur könne und müsse dazu beitragen, eine lebenswerte Umwelt aktiv zu gestalten, in der der Mensch im Mittelpunkt steht.
Basislager der Baukultur diskutiert u.a. EFH
Der Konvent der Baukultur im Kunst- und Kulturquartier Schiffbauergasse in Potsdam ist grundsätzlich eine öffentliche Veranstaltung und bietet die Möglichkeit, sich mit Planenden, Bauschaffenden und Baukulturvermittelnden aus ganz Deutschland auszutauschen. Beim „Basislager der Baukultur“ am 19. Juni standen den Teilnehmenden fünf offene Foren zur Auswahl, die als Arbeits- und Diskussionsformate zur Mitwirkung einluden: „Brücken und Infrastruktur“, „Schule umbauen“, ein Studierendenforum als Planspiel „Schwedt - Überregional planen“, „Kundige Baustoffe und Handwerk“ sowie „Transformation der Einfamilienhausgebiete“.
„Wir brauchen eine baukulturelle Sukzession der vielen Siedlungen der 1960-er bis -80er Jahre“, forderte Reiner Nagel. 87 Prozent der Wohngebäude in Deutschland seien Einfamilienhäuser. Wenn es gelänge, nur zehn Prozent dieser Gebäude zu Zweifamilienhäusern umzubauen oder zu erweitern, habe die Bundesregierung ihr Wohnungsbauziel bereits übertroffen. Auch Anja Reichert-Schick von der Wüstenrot Stiftung und Christina Simon-Philipp von der HFT Stuttgart warben dafür, sich intensiv mit den EFH-Siedlungen auseinanderzusetzen. 84 Prozent aller deutschen Gemeinden wiesen weiterhin regelmäßig EFH-Gebiete aus. „Angesichts der zunehmenden Unternutzung der Häuser, der ökologischen Probleme und der Infrastrukturfragen gibt es hier einen enormen Handlungsbedarf, der aber weitgehend noch nicht als solcher erkannt wird“, warnten die Forscherinnen, die ihr Projekt „Leben vor der Stadt“ vorstellten.
Der Tag des Basislagers schloss mit einem beeindruckenden Vortrag von Dr. Hanno Rauterberg, Feuilletonist der „Zeit“. Er leitete historisch her, welche Bedeutung Infrastrukturentwicklungen für die Menschen gehabt habe und wie entsprechende Bauten der Vergangenheit bis heute über Generationen hinweg faszinierten. „Es ist nicht egal, wie es aussieht“, lautete sein klares Fazit.
Deutsche Infrastruktur: Viele Baustellen
Am „Konvent-Tag“ (20.06.24) wurde der Baukulturbericht 2024/25 „Infrastrukturen“ erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt, und die darin formulierten Handlungsempfehlungen wurden mit den Konventberufenen sowie Vertreterinnen und Vertretern aus Praxis, Politik und Lehre diskutiert.
Prof. Jörn Walter, Oberbaudirektor a. D. der Freien Hansestadt Hamburg, führte den Konvent thematisch mit einer Tour d’Horizon ein: „Infrastrukturen. Was jetzt wichtig ist“. Im Hochbau sei in den vergangenen Jahren „summa summarum viel Gutes geschehen“, meinte Walter. In der Verkehrsinfrastruktur sei allerdings vieles im Argen. Der emotionsbeladene Brückenbau etwa leide vielfach darunter, dass notwendige Reparaturen oder Ersatzbauten ohne baukulturellen Anspruch realisiert würden. Auch viele neue Großbauten für Rechenzentren, Bahnhöfe oder weitere Parkhäuser würden allzu häufig „schlecht und billlig“ umgesetzt. Eine Herausforderung stelle zunehmend der Hochwasserschutz dar. Betonschutzwände und monotone Deichanlagen könnten nicht der richtige Weg sein; vielmehr gehe es – bei hunderten und tausenden Kilometer, die wir vor uns hätten – darum, multicodierte Flächen zu schaffen, die im Alltag Qualität aufwiesen.
Ähnlich groß sei die Herausforderung beim Straßenbau und den Schallschutzwänden: „Warum stellen wir nicht mal einen Landschaftsarchitekten bei den entsprechenden Unternehmen ein“, fragte Walter unter dem Applaus des Publikums. Wie es gehe, zeigten Vorbilder in skandinavischen Ländern oder Singapur. „Begrünung kostet – im Verhältnis zu den Bauwerkskosten – fast nichts.“
Weitere Themen der Infrastruktur seinen Velorouten („Hier brauchen wir einen langen Atem und viel Geld.“) und die Bahn. Die Politik wage sich an dieses große Thema nicht wirklich heran. „Wir müssen hier Zeitfenster und Wirksamkeit beachten: Einzelne Großprojekte sind eher Nebelkerzen, als dass sie bis 2050 das Bahnfahren in Deutschland schneller und attraktiver machen könnten“, so Jörn Walter. Alle Fachverbände müssten in einen Schulterschluss darüber reden, wie „das Katastrophenunternehmen Deutsche Bahn“ wirklich reformiert werden könne. Der Applaus des Publikums machte deutlich, dass der Appell mit großer Zustimmung angenommen wurde.
Investitionsstau von 150 Milliarden Euro
Den aktuellen „Baukulturbericht 2024/25“ stellte Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur, dem Konvent vor. Die technische Infrastruktur verbrauche die Hälfte des CO2-Ausstoßes im Bausektor. „Während wir die Baustoffe für den Hochbau künftig in der Apotheke kaufen, planieren hinter uns ganze LKW-Kolonnen weiterhin Deutschland eifrig zu“, so die pointierte Aussage Reiner Nagels. Ein Riesenproblem sei der Investitionsstau, der allein in den Kommunen rund 150 Mrd. Euro betrage – wobei Straßen und Schulen den Löwenanteil ausmachten. Öffentliche Infrastrukturen seien aber nicht nur notwendig, sondern auch Ausdruck der Wertschätzung unserer Gesellschaft selbst. „Eine gute Infrastruktur ist deshalb konstitutiv für unsere Demokratie.“
Eine große Herausforderung sei die Implementierung von Solar- und Photovoltaikanlagen. „Das ist ein Gestaltungsthema, das Planerinnen und Planer aktiv annehmen müssen“, forderte der Vorstandsvorsitzende der Bundesstiftung Baukultur. Wichtig sei, dass in unseren Städten Orte der Begegnung ermöglicht werden, meinte Reiner Nagel. Dazu gehörten Schwimmbäder, Bibliotheken und Kulturbauten, aber auch eine qualitätvolle Umnutzung von aus der Nutzung gefallenen Sakralbauten.
Finanzielle und ideelle Werte
Einen Perspektivwechsel nahm Prof. Werner Sobek vor. Eigentlich müssten wir in Deutschland viel stolzer auf unsere Infrastrukturen sein, sagte er. „Das sind Strukturen, die uns allen gehören, der demokratischen Gemeinschaft.“ Dass viele Menschen unzufrieden sind mit einzelnen Aspekten, liege oftmals an mangelnder Ästhetik. Er warnte deshalb vor der Unterscheidung zwischen „Zweckbauten“ und gestalteter Umwelt. Für eine stärkere Beachtung der blau-grünen Infrastruktur warb die Präsidentin der Bundesarchitektenkammer, Andrea Gebhard. „Es ist unsere Aufgabe, Bedeutung und Wertigkeit der Infrastruktur aktiv in die Gesellschaft zu vermitteln.“
10 m2 Baukultur
Auf viel Zuspruch trafen bei Publikum des Konvents der Baukultur die studentischen Arbeiten, die zum Projekt „10 m2 Baukultur“ eingereicht worden waren und deren Ergebnisse im Basislager der Baukultur präsentiert wurden. Aufgabe: Welche alternativen Gestaltungsideen gibt es für einen Standardparkplatz? „Es ist gut, dass der Konvent der Baukultur auch viele junge Kolleginnen und Kollegen einbindet“, kommentierte Friederike Proff, Vorstandsmitglied der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen. Der Konvent sei ein wichtiges Forum des Austausches - auch zwischen den Generationen.
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