Neue Konzepte für ältere Siedlungen in Nordrhein-Westfalen
Die städtischen Siedlungen der 1950er bis 70er Jahre sind heute schwierige Zeitgenossen. Wenn von sogenannten sozial-räumlichen Instabilitäten, gar sozialen Brennpunkten die Rede ist, von gravierendem energetischen Modernisierungsbedarf, von Auswüchsen städtischer Anonymität, dann kommen die vielen noch bestehenden Siedlungen jener Jahre ins Gespräch, deren Zukunft nun in Frage steht. Zum Zeitpunkt ihrer Entstehung allerdings war das Wohnen etwa im Geschosswohnungsbau, in drei- bis vierstöckigen, in der Regel durch einfache Rasenflächen voneinander getrennten Gebäuden in Zeilenbauweise für breite Bevölkerungsschichten durchaus attraktiv – und manchmal sind sie es noch heute. Vor allem befriedigten sie den seinerzeit hohen Bedarf an preisgünstigen Wohnungen – und dies ist wohl vor allem der Anknüpfungspunkt an die Gegenwart, in der preisgünstiges Wohnen wie vor 50 Jahren selten geworden ist.
Heute sind fast alle Siedlungen dieser Epoche(n) erneuerungs- bzw. sanierungsbedürftig, wobei neben der Frage der technischen und energetischen Instandsetzung die konzeptionelle Weiterentwicklung des Siedlungstypus nicht vergessen werden sollte. Schon gegen Ende der 1960er Jahre entwickelte sich als neues Leitprinzip das der urbanen Dichte, welches - nun meist in Hochhausformen umgesetzt - einige der genannten Probleme noch verschärft hat. Die Frage des nachhaltigen Umgangs mit allen Siedlungsvarianten aber ist heute nicht mehr verschiebbar, da praktisch in allen Fällen weder die Wohnzuschnitte noch die Ausstattung, weder das monotone Erscheinungsbild noch das vernachlässigte Wohnumfeld den heutigen Bedürfnissen gerecht werden. Die grundsätzlichen Lösungen (Erneuerung, Modernisierung oder Mischformen) sind vielfältig – eines aber fällt auf: Siedlungen bleiben als Typus weiterhin eine Option, bisweilen erleben sie sogar eine Renaissance.
Energetische Sanierung in Düsseldorf-Garath
Häufig steht ein Energiekonzept im Zentrum der Erneuerungsüberlegungen. In Düsseldorf-Garath hat die Rheinwohnungsbau GmbH vor kurzem die (nach einer Siedlung im Medienhafen) zweite Solarsiedlung in der Landeshauptstadt errichtet. In diesem Fall ersetzten die Neubauten Werkswohnungen der Ruhrgas AG aus den 1950er Jahren. Auch hier sprachen die Bausubstanz und die unzeitgemäßen Grundrisse für einen Neubau, für den ein beschränkter Architektenwettbewerb durchgeführt wurde. Bisher entstanden in zwei Bauabschnitten (Druschke und Grosser Architekten, Duisburg und HGMB Architekten, Düsseldorf, 2.und 3. Bauab-schnitt) jeweils acht Gebäude mit insgesamt 122 Wohnungen, die je einen Innenhof mit Spielbereich umschließen. Die Gebäude sind zweieinhalb- bis viergeschossig errichtet worden, wobei die EG-Wohnungen sich zu kleinen Mietergärten öffnen. Um eine gemischte Bevölkerungsstruktur zu realisieren, entstand etwa ein Drittel als öffentlich geförderter Wohnungsbau. Abbruch und Neubau erfolgten schrittweise, so dass die ehemaligen Mieter umgesiedelt werden konnten. Alle Neubauten wurden im 3-Liter-Standard realisiert. Erreicht werden konnte dies unter anderem durch ein innovatives Fassadendämmmaterial. Zusätzlich sorgen Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung für Einspareffekte. Der Warmwasserbedarf wird zu 40 Prozent über Solarthermieanlagen gedeckt, die auf den Flachdächern aufgeständert sind. Seit Juli 2012 ist mit dem Abriss der bisherigen Wohntürme ein dritter Bauabschnitt begonnen worden, in dem erneut 64 Wohnungen, diesmal in fünf- bis sechsstöckigen Gebäuden, entstehen.
Entdichtung in Neuss-Erfttal
Nicht wegen der Energieeinsparung, sondern seiner städtebaulichen Qualitäten wegen, wurde die Siedlung in Neuss-Erfttal (Architekturbüros Agirbas & Wienstroer und Grosser Architekten) mit dem „Deutschen Bauherrenpreis 2012“ in der Kategorie „Hohe Qualität – Tragbare Kosten“ ausgezeichnet. Die aus neun Mehrfamilienhäusern und 18 Reihenhäusern bestehende Siedlung ersetzte einen bis zu achtgeschossigen Wohngebäudekomplex aus den 1970er Jahren, der nach einem Gutachten (Prof. Pesch, Stuttgart) keine realistischen Modernisierungsmöglichkeiten mehr aufwies. Die neuen Gebäude sind nun ebenfalls maximal dreigeschossig, wobei die Wohnungen entweder mit Garten oder mit Loggia ausgestattet wurden. Kern des Siedlungskonzepts war eine Reduzierung (fast Halbierung) der Wohneinheiten, wodurch vor allem auch das Wohnumfeld sich verbesserte. Sämtliche Wohnungen des neuen Quartiers sind nach Westen und Süden orientiert. Auch hier ist es nicht zuletzt das relativ abwechslungsreich begrünte Umfeld mit vielen Kinderspielplätzen zwischen den quer stehenden Gebäudeflügeln, das der Siedlung eine freundliche Attraktivität verleiht und die Akzeptanz sicherlich erhöht. Die Wohnanlage wird ferner durch eine in die Baukörper integrierte Lärmschutzwand aufgewertet, die darüber hinaus die Wohnsiedlung als erkennbare Einheit stärkt. Im Blick auf die differenzierte Nachfrage entstanden sowohl Mietwohnungen als auch 18 neue Eigenheime, eine Mischung, von der man sich speziell im Neusser Umfeld Zukunftsfähigkeit verspricht. Ein Gesamtkonzept, das eine deutliche Niveausteigerung bedeutet.
Die Siedlung als Einheit in Köln-Ostheim
Beides, Neubau und Sanierung in einer Siedlung, finden sich im rechtsrheinischen Kölner Stadtteil Ostheim. Hier hatte die Eigentümerin, die Kölner GAG, schon in den 1970er Jahren eine erste Sanierung für die Hälfte der Siedlungen durchgeführt. Die Wohnungen besaßen keine Zentralheizungen und erhielten Balkone sowie eine Wärmedämmung. Für die zweite Siedlungshälfte, deren Bausubstanz schlechter war, wählte man die Neubauvariante. In einem Gutachterverfahren wurden verschiedene Modelle analysiert, wobei die kostengünstigere Lösung des Neubaus ein Überdenken des Siedlungstyps erlaubte. Das Siegerkonzept von ASTOC Architects and Planners sah eine Lösung vor, die den Siedlungscharakter unter anderem durch eine einheitliche Farbgebung unterstrich, durch eine differenziertere Anordnung der Wohnblöcke aus der bisherigen anonymen Monotonie jedoch ausbrach, indem die Wohnblöcke einen Knick in der Mitte erhielten. Hierdurch entstand eine stärkere Raumbildung mit hof-ähnlich räumlicher Situation. Die neue Gruppierung führt so zu einer stärkeren Gliederung mit intimeren Situationen und ermöglicht nicht zuletzt auch die angestrebte Verdichtung mit einer erhöhten Wohnraumfläche. Auch eine größere Durchlässigkeit wurde erzielt, die dazu beitrug, die zuvor durch Mauerverbindungen zwischen den Baukörpern entstandenen dunklen Ecken (mit notorischen Drogenproblemen) zu vermeiden. Auch die abgestufte Gliederung der Freiflächen, die private Gärten einschloss, trug zu einer Belebung der Freiflächen bei. Die Erdgeschosswohnungen erhielten Vorgärten, die durch niedrige Hecken von der angrenzenden Fläche abgegrenzt wurden.
Großstrukturen in Ratingen-West
Zu den im definitorischen Sinn echten Großsiedlungen gehört der Stadtteil Ratingen-West, der neben mancher Befürwortung immer schon auch viel Kritik auf sich gezogen hat. Hier galt als neue städtische Leitlinie bereits das Prinzip Urbanität durch Dichte; entsprechend besteht ein erheblicher Teil dieses von 18.000 Menschen bewohnten Stadtteils aus Hochhäusern. Seit dem Jahr 2000 hat die LEG, der bei weitem größte Eigentümer, hier insgesamt 1700 Wohnungen saniert, darunter aktuell auch jene drei ehemals bunten „Papageien-Hochhäuser“, die in den Jahren 1972 und 1973 errichtet worden waren. Die Sanierung der 717 Wohnungen erfolgte bei laufender Nutzung. 19 Millionen Euro ihrer Gesamtinvestitionen in Ratingen-West wendet die LEG bis 2013 für die Modernisierung dieser drei nun zu „Himmelshäusern“ avancierten Gebäude auf, von denen vor kurzem das zweite wieder eröffnet werden konnte. Es ist das derzeit größte Niedrigenergiehaus-Projekt in NRW und umfasst 239 Wohnungen. Im Rahmen dieser Arbeiten wurden die bunte Verkleidung durch eine weiße Alucobond-Fassade ersetzt, das Gebäude umfassend gedämmt und sämtliche Fenster ausgetauscht. Außerdem erneuerte man Dächer, Blitzschutzanlagen und Balkone und gestaltete die Hauseingänge komplett neu. Der Eingangsbereich erhielt ein transparenteres Gesicht. Der Energieverbrauch konnte um ein Drittel reduziert werden, der CO2-Ausstoß sank von knapp 500 Tonnen pro Jahr auf rund 180 Tonnen. Gegen Ende des Jahres 2013 soll das Lifting des alten Hochhaustrios komplett sein.
Experimentierfelder
Ob sich Großstrukturen wie Ratingen-West langfristig erfolgreich entwickeln werden, ist dennoch ungewiss. Gegenüber den aufgelockerten, durchgrünten Stadtlandschaften, wie sie zuvor die Siedlungen der 1950er und 1960er Jahre in ihrer Zeilenbauweise darstellten, sind sie aufgrund ihrer geringeren Flexibilität im Hinblick auf bauliche Veränderungen im Nachteil. Die letztgenannten bieten den Vorteil, besonders jungen Familien ein verkehrsberuhigtes und (sozial gesehen) aufstiegsorientiertes Wohnumfeld zu bieten. Aber auch die alten Großstrukturen, deren demokratisch-experimenteller Charakter zu ihrer Entstehung gehört, bleiben potentiell nicht ohne Reiz: als vorhandenes Experimentierfeld für ‚mehr Stadt‘. Ein von urbanem Leben geprägtes Zusammengehörigkeitsgefühl unter heterogenen Bevölke-rungsgruppen wäre ihr Potenzial. Allerdings bedarf es erheblicher Anstrengungen – von Mieterbüros, wie sie die LEG eingerichtet hat, über Kultur- bis zu Sporteinrichtungen seitens der Eigentümer und der Kommunen, dieses weiterzuentwickeln. Die Großstrukturen bleiben das Kind, das nach wie vor die meiste Aufmerksamkeit beansprucht.
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