Referierten auf der Baukunst-Lecture am 22. Januar in der Kunstakademie Düsseldorf: Anne Femmer und Tibor Bielicky – Fotos: Christof Rose/Architektenkammer NRW

Neue Wege des Zusammenlebens

​​​​​​​Leben und Arbeiten - das könne sie nicht trennen, machte Anne Femmer gleich zu Beginn ihres Vortrags in der vollbesetzten Aula der Kunstakademie Düsseldorf klar. Die Leipziger Architektin, die mit ihrem „Büro- und Lebenspartner“ das Architekturbüro „summacumfemmer“ betreibt und auf der Biennale 2023 den Deutschen Pavillion mit dem viel beachteten Projekt „open for maintenance“ beleben konnte, vermittelte in ihrem leidenschaftlichen Vortrag in Düsseldorf ein Gefühl dafür, wie „Work“ und „Life“ als Einheit gelebt werden können.

26. Januar 2024von Christof Rose

Auch der zweite Referent der Baukunst-Lecture am 22. Januar, Tibor Bielicky (Ehrl Bielicky Architects, Zürich), machte deutlich, dass für viele jüngere Planerinnen und Planer die Suche nach neuen Möglichkeiten einer umweltverträglichen Um- und Weiternutzung des Gebäudebestandes eine Aufgabe sei, die über das rein berufliche Wirken hinaus das Leben bestimmen kann.

Zu den wichtigen Einflüssen ihrer Architektur gehöre die Literatur, überraschte Anne Femmer die rund 200 Architektur-Interessierten, die der Baukunst-Lecture - einer gemeinsamen Reihe der Kunstakademie Düsseldorf mit der Architektenkammer NRW - in der Kunstakademie oder im Live-Stream folgten. So betrachte sie das Buch „Korrektur“ des österreichischen Autors Thomas Bernhard als Inspiration für die Arbeit im Bestand. Ihr eigenes Haus, das sie mit ihrem Partner Florian Summa vor einigen Jahren in Leipzig als schweren Sanierungsfall erwerben konnte, werde sukzessive teils rekonstruiert, teils „korrigiert“. So stellten summacumfemmer in eigener Handarbeit Fassadenornament an der Straßenfront des Jahrhundertwendehauses wieder her. „Die Innenräume haben wir bisher erst in den unteren Bereichen unseren Nutzungszielen als Büroräume und Familienwohnung anpassen können“, berichtete Femmer.

Diese eigene Erfahrung spiele sich auch in ihrem Konzept für die Biennale 2023 in Venedig: „Open for Maintenance - Wegen Umbau geöffnet“ habe dazu eingeladen, sich unmittelbar, auch ganz physisch, mit der Wertigkeit von Bestand, altem Baumaterial und der Kreislaufwirtschaft insgesamt auseinanderzusetzen. Das Konzept habe zudem Aspekte wie Inklusion, Sorgearbeit und urbane Praxis aufgegriffen und in Workshops erlebbar gemacht. „Es bedurfte schon einer gewissen Offenheit, sich darauf einzulassen“, resümierte Anne Femmer die intensiven Erfahrungen der Biennale. Mit dem genossenschaftlichen Wohnhaus „San Riemo“ in München stellte die Leipziger Architektin ein weiteres Projekt vor, bei dem es darum gegangen sei, neue Formen des Zusammenlebens zu erproben und zugleich bezahlbaren Wohnraum auf einem extrem angespannten Wohnungsmarkt wie in München zu realisieren. Anne Femmer schloss ihren Vortrag mit dem Verweis auf die Publikation „Der kleinstmögliche Eingriff“ des Schweizer Soziologen Lucius Burckhardt, der mit seinem Werk dafür warb, durch kleine Eingriffe in die Natur bzw. unsere gebaute Umwelt große Wirkungen im ästhetischen Verständnis der Menschen zu erzielen. „Wir merken in unseren Projekten immer wieder, dass es stimmt: Kleine Interventionen können der Start für etwas ganz Großes sein“, so Anne Femmer. „Es lohnt sich, experimentell zu arbeiten“, richtete sie sich an die angehenden Kolleginnen und Kollegen an der Kunstakademie Düsseldorf.

Wie Anne Femmer arbeitet auch Tibor Bielicky sowohl als praktizierender Architekt als auch im Bereich von Wissenschaft und angewandter Forschung. Der junge Schweizer Architekt berichtete über die Teilnahme an verschiedenen Wettbewerben in der Schweiz, die zwar vielfältig und anspruchsvoll, in der Bearbeitung aber auch teuer seien. „Wir beteiligen uns dennoch, weil wir mit jedem Projekt zulernen“, ermunterte Bielicky, der mit seiner Partnerin Ellena Ehrl in Zürich das Büro „Ehrl Bielicky Architects“ betreibt.

In einer Interessensgemeinschaft von 21 Personen habe man einen Verein gegründet, um in Zürich einige Räume eines leerstehenden Beton-Bürogebäude aus den 1980er Jahren auszubauen und kooperativ zu nutzen. „Man braucht schon Mut und einen langen Atem“, so Bielicky. Erfahrungen aus solchen Projektarbeiten, aber auch aus der Lehre lässt Tibor Bielicky immer wieder in ambitionierte Publikationen einfließen. Er stellte das Magazin „Superposition“ vor, das bislang in zwei Ausgaben (2020 und 2023) erschienen ist und sich der „Erforschung der menschlichen Seite der Architektur“ verschrieben habe. „Wir glauben an den interdisziplinären Dialog, an die inspirierende Wirkung von Reibung und Kollaboration über die Grenzen von Disziplinen hinweg“, erläuterte Tibor Bielicky.

„Ihr versucht beide, neue Wege des Zusammenlebens zu finden“, fasste Prof. Inge Vinck, die den Abend moderierte, abschließend zusammen. „Euer Engagement und Eure Leidenschaft dabei sind für viele, die heute zugehört haben, sicherlich eine große Inspiration!“

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