Retrospektive : Regierungsbaumeister Otto Scheib (1893 – 1965)

Otto Scheib (1893 – 1965): Der Genese verpflichtet

Anlässlich der Ausstellung „Sehen lernen“, ein Projekt der Landesinitiative StadtBau-Kultur NRW, ist derzeit das Bert-Brecht-Haus in Oberhausen (1928, Foto oben) wieder in den Fokus der städtebaulichen Entwicklung und des öffentlichen Interesses gerückt. Es stammt vom Kölner Architekten Otto Scheib. - Ein Beitrag in unserer Reihe „Retrospektive – Einflussreiche Architekten in NRW“.

07. August 2009

Das Gebäude, ursprünglich unter dem Namen „Ruhrwachthaus“ nach Entwürfen des Regierungsbaumeisters Otto Scheib als erstes Hochhaus der Stadt errichtet, gilt heute als prominenter Vertreter des Backsteinexpressionismus in Oberhausen und des Ruhrgebietes insgesamt.

Inkunabel des Backsteinexpressionismus
Es zitiert in seiner exponierten Situierung und in seiner verjüngenden Form vor allem das wenige Jahre zuvor fertig gestellte Chile-Haus in Hamburg von Architekt Fritz Höger. 1978 wurde das Gebäude für umgerechnet 0,7 Mio. Euro von der Stadt Oberhausen erworben. Nach einem aufwändigen Umbau konnte das inzwischen unter Denkmalschutz stehende Bauwerk im Jahr 1985 von mehreren kommunalen Einrichtungen bezogen werden, darunter die Stadtbibliothek und die Volkshochschule, der ursprünglich das gesamte Gebäude zur Verfügung stehen sollte. Ein Wettbewerb thematisierte nun den Umbau des Gebäudes und die Gestaltung des Vorplatzes.

Gesunder Siedlungsbau
Im Schatten großer Städtebauer seiner Zeit wie beispielsweise Fritz Schumacher (Generalsiedlungsplan Köln 1922-23) hat Otto Scheib in seiner Funktion als Regierungsbaumeister zwar nicht einen vergleichbaren nationalen oder internationalen Ruhm erlangt - dennoch ist sein Schaffen im Kontext der großen Reformbewegung der 1920er Jahre und den damit einhergehenden Entwicklungen von Parkstädten im Kölner Raum und im Ruhrgebiet zu lesen. Die Koordinierung des Siedlungswesens in seinem Aufgabenbereich fand in Köln unter schwierigen Rahmenbedingungen statt. Zwischen den linksrheinischen und dem rechtsrheinischen Gebiet besteht ein wesentlicher struktureller Unterschied: Im rechtsrheinischen Raum entstanden vornehmlich die werkseigenen Siedlungen; im linksrheinischen Bereich entstanden dagegen geförderte Genossenschaftssiedlungen der klassischen Bauvereine.

Der in Köln geborene Regierungsbaumeister gehörte zu den Architekten und Stadt-planern, die sich das Leitbild der Genese der Stadt durch Licht, Luft und Sonne zu Eigen gemacht hatten. Die Siedlungsstruktur sollte so gestaltet werden, dass Bauwerke, Parks, individuelles Grün und Straßen eine erdverbundene und Licht durchflutete Ganzheit bilden (Reformkultur). Vor dem Hintergrund einer Industrialisierung mit gewaltigen Wachstum und immensen Eingriffen in die Natur gehört das Dogma einer "gesunden" und "erschwinglichen" Wohnung zum Grundbaustein der Stadt.

Auch die halböffentlichen, d. h. die kommunikativen Zonen im Siedlungsbau zu stärken, gehörte seinen Otto Scheibs Entwurfsthemen. Ein positives Beispiel in diesem Sinne ist das unter seiner Mitwirkung entstandene Naumann-Viertel in Köln-Riehl. Es ist ein typisches Beispiel einer Siedlung der  zwanziger Jahre mit sehr eigenständigem und unverwechselbarem Charakter. Es ist daher von besonderem sozialgeschichtlichem, städtebaulichem und bauhistorischem Wert. Der städtebauliche Siedlungsentwurf sieht eine Randbebauung mit einem vom öffentlichen Verkehr weitgehend abgeschotteten Innenraum vor. Wesentlicher Bestandteil der Siedlung sind die begrünten Freiflächen. Sie bestimmen das unmittelbare Wohnumfeld und tragen entscheidend dazu bei, den Wohnwert zu steigern. Jede Hauseinheit verfügt über eine Grünfläche im rückwärtigen Bereich und zahlreiche Wohnungen über einen Vorgarten. Otto Scheib entwickelte für viele Teilebereiche mit eigenen Ornamenttechniken besondere facettenartige Putzreliefe, die auch heute noch als besondere Merkzeichen innerhalb der Siedlung fungieren.

Die Architektur des Naumann-Viertels orientiert sich stilistisch sowohl an gemäßigt traditionellen, als auch an funktionalistischen Formensprachen. Beide Stile sind miteinander kombiniert und bilden eine eigene "Welt" im Wandel vom ornamental-expressiven zu einer internationalen Architektur. - Otto Scheib starb 1965 in Köln.

Bert-Brecht-Haus in Oberhausen auf baukunst-nrw

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