Retrospektive Fritz G. Winter (1910 - 1986): Hoffnungsvoller Beginn
"Begreifen wir das Bauen als einen Prozess sozialer Selbstverwirklichung, so kommt es darauf an, dem bequemen Argument der Sachzwänge die Notwendigkeit ständiger Entscheidung und Erneuerungsbereitschaft der unmittelbar Betroffenen entgegenzustellen." Trotz hervorragender architektonischer Einzelleistungen bezeichnete Fritz G. Winter 1970 den Wiederaufbau in Deutschland im Gesamtergebnis als misslungen angesichts von "Unwirtlichkeit, Verödung, Hässlichkeit der Stadtregionen und Zerstörung großer Landschaftsräume". Als er seine erste und letzte Werkübersicht publizierte, war seine "Werkkunstschule" in Krefeld noch nicht in eine Regelfachschule überführt und sein wichtigster Bau im öffentlichen Auftrag, das Rathaus in Wesel, stand noch.
Ein Jahr später war in Krefeld das Ende eines Experiments besiegelt, gleichzeitig ließ die Stadt Wesel ihr Nachkriegsrathaus abreißen zugunsten eines Kaufhausneubaus. In dem Werkbericht ist das Rathaus das erste dargestellte Objekt, ein weiteres die Evangelische Akademie in Mülheim an der Ruhr. Dieses "Haus der Begegnung" hat die Zeiten überdauert.
Fritz Gottlieb Winter wurde am 22. März 1910 in Düsseldorf geboren und verstarb in München am 12. November 1986. Um Verwechslungen mit dem fast gleichaltrigen Maler Fritz Winter auszuschließen, nannte er sich Fritz G. Winter. Sein Architekturstudium in Berlin bei Clemens Holzmeister und Hans Poelzig schloss er nach einem Zwischensemester an der Kunstakademie in Düsseldorf 1933 wieder in Berlin ab, gefolgt von zwei Jahren als Stipendiat in Toronto.
Durch Krankheit hatte F. G. Winter ein Auge verloren und wurde deshalb nicht zum Wehrdienst einberufen. Stattdessen begann er seine berufliche Laufbahn in Berlin mit Heimbauten der Hitlerjugend, darunter das als Denkmal eingetragene Italienhaus in Berlin-Gatow. Nach dem Krieg fand F. G. Winter zunächst Unterschlupf in Langenberg, wo er sich für den behutsamen Wiederaufbau einsetzte. 1947 trat er dem Deutschen Werkbund bei, dem er bis an sein Lebensende aktiv verbunden bleiben sollte.
Erste Aufmerksamkeit erregte Winter mit der "Ausstellung Düsseldorfer Architekten" 1948. Mitaussteller waren u. a. Helmut Hentrich und Heinz Thoma. 1949 wurde Winter zum Leiter der neu gebildeten Werkkunstschule in Krefeld berufen und wirkte dort bis zu seiner vorzeitigen Pensionierung 1971. Im Jahr 1976 gründete er die Stiftung "pro creatione", mit der er zahlreiche Veranstaltungen organisierte, u. a. mit Philosophen der Zeit wie Adolf Portmann und Jean Gebser. Das Symposium "Leben mit den Sinnen", veranstaltet von "pro creatione", dem Werkbund Bayern und der VHS München, war 1985 die letzte von ihm durchgeführte Tagung.
Die Werkkunstschule Krefeld wurde entscheidend durch F. G. Winter geprägt. Voraussetzung war ein Reformprogramm des Kulturministeriums in NRW, angeregt durch den "Werkkunst"-Begriff von Hans Schwippert. Wie am Bauhaus der 1920er Jahre, richtete Winter auch in Krefeld einen "Vorkurs" ein, nahm Bildende Kunst, Musik und Rhythmik in die Lehrpläne auf, um den Studierenden nicht nur das Handwerkliche und Technische zu vermitteln, sondern auch Grundlagen zur Gestaltung in Architektur und Städtebau. Während er Förderer bei der örtlichen Industrie fand, gab es Gegenwind von Seiten der Traditionalisten - mit dem Ergebnis einer Hetzkampagne gegen den Modernisierer. Aber die Idee ließ ihn nicht los. Noch 1977 publizierte Winter die programmatische Schrift "Didaktik oder Urprinzip? Ergebnis und Kritik des Experiments Werkkunstschulen 1949 – 1971".
Das Rathaus in Wesel kann als typischer Bau der Nachkriegszeit gelten. Es orientierte sich in den Dimensionen seiner Vierflügelanlage mit Lichthof an dem Grundriss (und den Fundamenten) der kriegszerstörten Mathena-Kirche, nutzte aber den neuen Betonskelettbau, dessen Raster die äußere wie innere Gestalt prägte. Flach gehaltene Pultdächer betonten das Kubische des lagernden Baukörpers, ein dynamisches Signal setzte der schlanke Turm.
Der zweigeschossige Ratssaal nahm mit seiner fast flächendeckenden Fensterwand das Grundmotiv der Transparenz aus dem Entwurf von Schwippert für das erste Bundeshaus in Bonn auf. In Etappen ab 1949 gebaut, konnte die erste Ratssitzung hier erst am 11.11.1958 stattfinden. Doch bevor noch die künstlerische Ausstattung vollendet war, wurde das Gebäude wieder abgerissen.
Abgerissen ist inzwischen auch der mit Hein Stappmann, Mitarbeiter an der Werkkunstschule, realisierte Erweiterungsbau in Krefeld. Der neben 16 Kleinkirchen vielleicht wichtigste erhaltene Baukomplex von F. G. Winter ist die 1959 - 60 geplante Ev. Akademie in Mülheim. Hier rückt der Neubaukomplex weit vom Bestand einer neubarocken Villa im Park ab. Um eine Senke zu überbrücken, ist der schlanke, verglaste Verbindungssteg ist ebenso aufgeständert wie der Saalbau, daran im Winkel anschließend der Zimmertrakt. Diesen rhythmisieren Fenster und kleine Balkongitter in der Kombination aus geometrischer Stringenz und eleganter, für die 1950er Jahre so charakteristischer Leichtigkeit. Der später erweiterte Bestand ist trotz Umnutzung als Hotel bisher äußerlich unverändert erhalten. Als Denkmal eingetragen ist jedoch nur die Villa.
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