Behnischs Dortmunder „Sonnensegel“ saniert

Die Architektur der Nachkriegsjahre, besonders die der 1960er und 1970er Jahre, hat es bekanntlich schwer. Ihre Akzeptanz in der Bevölkerung ist gering, ihr Ruf wird von Großbauten in Beton mit den bekannten sozialen Nebenfolgen überschattet; entsprechend umstritten sind Denkmalwert und die Bereitschaft zur in der Regel kostenintensiven Sanierung. In Dortmund jedoch wurde jüngst ein Zeugnis der architektonisch innovationsfreudigen 1960er Jahre erneuert: das sogenannte Sonnensegel, eine Art luftiger Pavillon mitten im Dortmunder Westfalenpark, der den Besuchern der Bundesgartenschau und der europäischer Gartenbauausstellung Euroflor im Jahr 1969 als zentraler Ort für Informations- und Vortragsveranstaltungen diente.

06. Dezember 2021von Dr. Frank Maier-Solgk

Architekt war niemand geringerer als Günther Behnisch, der wenige Jahre später mit dem Zeltdach des Münchner Olympiageländes an sein Dortmunder Experiment anknüpfen konnte. Im Jahr 2022 wäre Behnisch 100 Jahre alt geworden.

„Sonnensegel“ klingt eigentlich spielerisch. Tatsächlich aber handelt es sich um eine ingenieurtechnisch anspruchsvolle, 1200 Meter große Dachkonstruktion, eine sogenannte hyperbolische Paraboloidschale, die sich zwischen zwei jeweils gegenüberliegenden Hoch- und Ankerpunkten in doppelter Krümmung spannt, wobei die beiden Hochpunkte 18,5 Meter und 13, 5 m erreichen. Der Eindruck ist der von großer, spannungsvoller Dynamik. Eine Novität war auch das verwendete Holz: Der Pavillon war seinerzeit von der Arbeitsgemeinschaft Holz e.V. als Demonstrationsobjekt für fortschrittlichen Holzbau finanziert worden. Während Architekten wie der spanisch-mexikanische Architekt Félix Candela oder in der ehemaligen DDR Herbert Müller und Ulrich Müther damals bereits mit Schalenbauten aus Beton gearbeitet hatten, gilt das Sonnensegel als erstes zugbeanspruchtes Holzflächentragwerk in Deutschland.

Fast zwei Jahre dauerten nun die Sanierungsarbeiten. Zuvor war das ursprünglich nur temporär geplante Gebäude witterungsbedingt baufällig geworden; sogar ein Abbruch erschien zeitweise notwendig. Nachdem die Denkmalpflege mit Hinweisen auf die Bedeutung des Pavillons auf den Plan getreten war, erfolgte 2017 eine Machbarkeitsstudie durch die Wüstenrot Stiftung, die die Grundlage für die spätere Sanierung bildete. Diese erfolgte nach einem Konzept des Ingenieurbüros KnippersHelbig (Stuttgart/New York). Die stählernen Spannseile wurden ausgetauscht, ebenso die Holzstützen, die mit feuchtigkeitsreduzierendem Essigsäureanhydrid behandelt wurden, um Pilz- und Insektenbefall zu verhindern. Hinzu kam der Austausch eines Großteils der Dachfläche, wofür ein das gesamte Bauwerk einfassendes Raumgerüst aufgebaut werden musste. Die Kosten beliefen sich am Ende auf gut 2, 7 Millionen Euro und wurden zu gleichen Teilen durch die Wüstenrot Stiftung und die Stadt Dortmund getragen.

„Dass der Schwerpunkt unserer Förderung im Bereich der Sanierung von Baudenkmälern der Nachkriegsarchitektur liegt, hat damit zu tun, dass wir uns als gemeinnützige Stiftung vor allem für Fälle interessieren, bei denen die Sanierung mit neuen Erkenntnissen zum Beispiel über die verwendeten Materialien verbunden ist“, erläutert der Leiter des Denkmalprogramms der Wüstenrot Stiftung, Philip Kurz. „Im Dortmunder Fall haben wir uns vor allem für die konstruktiven Aspekte interessiert, ähnlich wie bei zwei anderen aktuellen Fällen: dem Bau der Multi-Halle von Frei Otto in Mannheim und einem Schalenbau des DDR-Ingenieurs und Bauunternehmers Ulrich auf der Insel Rügen.“ Vorzeigeprojekte der Stiftung, die in diesem Jahr ihr 100. Jubiläum feiert, gibt es inzwischen zahlreich. In NRW zählen hierzu an erster Stelle die Geschwister-Scholl-Schule von Hans Scharoun in Lünen und der Kanzlerbungalow von Sepp Ruf in Bonn.

Neben der Technik verkörpert das Dortmunder Sonnensegel tatsächlich auch ein Stück deutscher Architekturgeschichte. Behnisch hatte sich hierbei an dem Musikpavillon orientiert, den Frei Otto 14 Jahre zuvor auf der ersten deutschen Gartenschau in Kassel errichtet hatte, freilich damals in der Karlsaue noch aus Textilien. Auch Frei Ottos sogenanntes Sternwellenzelt über der Tanzfläche des Tanzbrunnens auf der Bundesgartenschau von 1957 in Köln sowie der gemeinsam mit Rolf Gutbrod entworfene Pavillon auf der Weltausstellung von 1967 in Montreal waren Etappen einer Entwicklung, die 1972 schließlich zu dem in Zusammenarbeit mit Frei Otto entwickelten Münchner Olympiagelände führte, wo die Materialfrage zugunsten von Acrylglas entschieden wurde. Hier entstand jene großflächige, ein großes Gelände zusammenbindende Zeltarchitektur, die in der hügelig-gewellten Parklandschaft der Umgebung eine Art Fortsetzung erfuhr und zum Symbol einer demokratischen Architektur der Bundesrepublik wurde.

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