Revisited: Mies-Ikone mit Perspektive

Aus der Serie „Revisited“: Wie steht es um die VerSeidAG-Gebäude in Krefeld?

26. Januar 2019von Dr. Frank Maier-Solgk

Krefeld ist in diesem Jubiläumsjahr 2019 (100 Jahre Bauhaus, 50. Todestag von Mies van der Rohe ) die Bauhaus-Stadt im Westen: Drei Mies-Klassiker finden sich bekanntlich in der einstigen Textilhochburg, in der zudem nicht weniger als 25 Bauhäusler, darunter Johannes Itten und Georg Muche, Lehrtätigkeiten an der damaligen Textilingenieurschule ausübten.

Im Mittelpunkt seinerzeit standen die Seidenindustriellen Hermann Lange und Josef Esters, deren berühmte Privatvillen derzeit saniert werden. Als Geschäftsführer der 1920 gegründeten VerSeidAG waren beide auch die Auftraggeber für die Gewerbebauten im Norden der Stadt, die Produktionshalle für die Färberei sowie einen Trakt für die Lagerung von Stoffen der Herrenbekleidung (HE-Gebäude). 

Die beiden einzigen Mies’schen Gewerbegebäude sind der Kern des sich bis Ende der 1930er Jahre erweiternden Firmenareals, das schließlich Kesselhaus, Schlichterei, den Uhrenturmflügel, ein Pförtnerhaus und ein weiteres Bürogebäude umfasste und zeitweise mehr als 6.000 Menschen Arbeit bot.

Ab 1934 wurden die genannten Bauten durch den Architekten der Bauabteilung der VerSeidAG Erich Holthoff in Anlehnung an das Erscheinungsbild der Mies’schen Gebäude errichtet. Auch das zunächst 2-stöckige HE-Gebäude wurde entsprechend der Pläne von Mies auf vier Etagen aufgestockt. 

Was das VerSeidAG-Areal heute auszeichnet, ist die bislang weitgehend gelungene Verbindung von denkmalgetreuer Bewahrung und innovativer Revitalisierung. In den vergangenen 20 Jahren, nach der Unterschutzstellung als Denkmal 1999, erfolgten in mehreren Phasen Sanierungen des Ensembles, dessen Schmuckstück nach wie vor das HE-Gebäude ist, das die Wendung vom Klinkerbau zu einer schnörkellosen Sachlichkeit am klarsten demonstriert.

Die Außenwände des Stahlfachwerkbaus werden von vier Reihen großflächiger Fenster geprägt, die durch schmale Stahlfensterrahmen jeweils in 16 Felder geteilt werden, wobei die Fassadengliederung durch die in 1:2:3:2:1 Reihung gesetzten Fallrohre bestimmt wird. Ein schmaler Sockel von fünf Backsteinreihen fundiert den Bau. 

Im Inneren zielte die Sanierung Anfang der 2000er Jahre auf die Wiederherstellung freier Raumfolgen. Über die auf der 3. Etage eingestellte Trennwand mag man aus heutiger Sicht streiten (Karl-Heinrich Eick; Innenarchitekten: raumkontor). Das Treppenhaus an der Schmalseite mit seinen dunklen, hart gebrannten Ziegeln vermittelt jedoch eindrücklich die ursprüngliche Atmosphäre. Auch die Fassade der heute von neun Sheds überdachten Halle wurde bereits saniert (von Houwald Architekten), wozu auch hier ein schmaler Backsteinsockel gehört, der entsprechend dem Ursprungszustand zurückgebaut wurde. 

Der Denkmalschutz ist die eine Seite. Die andere die Umnutzung des Areals in einen lebendigen Gewerbepark, der heutigen Ansprüchen genügt. Wolf-Reinhard Leendertz, der nach dem Konkurs der VerSeidAG das gesamte Gelände erwarb und dessen eigene Firma vor Ort noch Textilien produziert, hat in den letzten Jahren begonnen, einen Businesspark zu entwickeln, der außer der Sanierung bzw. Konvertierung von Bestandsbauten auch Neubauten vorsieht. In die nördlich des eigentlichen VerSeidAG-Geländes angrenzenden Flores-Hallen, die derzeit ebenfalls umgenutzt werden, ziehen teils Gastronomieeinrichtungen ein; auch Räume für sportliche Aktivitäten sind dort vorgesehen. 

Historisch interessant ist ferner ein geplanter Bürotrakt parallel zum HE-Bau, der bereits in den Plänen von Mies enthalten war. Größtes Projekt wird der Umbau der ca. 5.500 qm großen Färberei sein, die nach einer Teilverglasung der Sheds und einer eingefügten Zwischenebene als Bürostandort dienen soll. Insgesamt sind bis dato 12 000 m2 Bürofläche fertig entwickelt und weitere 11 000 m2 in Planung. Rund 50 Unternehmen aus verschiedenen IT- und anderen Dienstleistungsbranchen befinden sich am Standort. Natürlich wünscht man sich als Mieter – wen wundert‘s - auch das eine oder andere Architekturbüro.

Der Vorderteil des Erdgeschosses des HE-Gebäudes soll in ein Café sowie einen 150 m2 großen Ausstellungsraum umgenutzt werden. Hier wird ab dem 5. Mai 2019 der erste Teil der Ausstellung „grenzWertig, Mies im Westen“ eröffnen, die laut Prof. Daniel Lohmann von der TH Köln den Krefelder Anteil der insgesamt elf Mies-Projekte in NRW vorstellen wird; Museum meets Business. „Wer sich genauer über die Industriegeschichte Krefelds informieren will, dem sei das Buch „Industriekultur. Krefeld und der Niederrhein“, hrsg. v. W. Buschmann, Essen, 2017, mit Aufsätzen auch zur Baugeschichte empfohlen.

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